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Leipzig im Ausnahmezustand

Anhänger und Gegner von Legida kämpften am Mittwoch an der symbolischen Route der Montagsdemos. Auch der Polizeieinsatz nahm historische Dimensionen an.

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© Reuters

Von Sven Heitkamp und Thomas Schade

Angespannte Stimmung herrscht gestern bis in den späten Abend in der Leipziger Innenstadt: Nach der Absage des Dresdner Pegida-Aufmarsches am Montag wegen möglicher Terrorwarnungen erlebt die Stadt einen Großkampftag zwischen etwa 10 000 Anhängern des lokalen Legida-Bündnisses – deutlich weniger jedoch als die zunächst angekündigten 30 000 bis 40 000 Teilnehmer – und zehntausenden Gegendemonstranten. Sie protestieren rings um den Augustusplatz und an der Demonstrationsstrecke mit Trillerpfeifen und lauter Musik, rufen lautstark „Haut ab!“- und „Nazis raus!“. 19 Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationen von Kirchen, der Stadt, Parteien, Künstlern, Gewerkschaften, Hochschulen und Studenten kreisen den Legida-Versammlungsort nahezu ein.

An den engen Zugängen zum Kundgebungsareal gibt es am frühen Abend immer wieder Rangeleien, weil Legida-Gegner den Anhängern den Zugang versperren. Die Polizei muss teils mit Gewalt den Mitläufern von Legida eine Gasse freihalten. Vereinzelt werden Protestierer festgenommen. Am Nachmittag und Abend werden zudem mehrere Anschläge auf die Bahnstrecke von Dresden nach Leipzig verübt – offenbar um anreisende Pegida-Anhänger aufzuhalten. Die Schäden können aber schnell behoben werden.

Einer der Legida-Redner ist der Rechtspopulist Jürgen Elsässer. Gegen 19.30 Uhr setzt sich dann der lange Zug durch eine Geisterstadt in Bewegung: Der Innenstadtring ist schon seit dem Mittag für den Verkehr gesperrt, Straßenbahnen und Bussen fahren nicht mehr, viele Geschäfte sind vorzeitig geschlossen. Selbst in vielen Schulen ist der Unterricht schon mittags beendet worden, damit die Schüler noch nach Hause kommen konnten. Am Abend ist die Marschroute komplett von Polizeiwagen, Absperrgittern und Polizisten in Helmen, Schutzwesten und mit Schlagstöcken gesäumt, auch Wasserwerfer und Räumfahrzeuge stehen bereit. Das Bürgerbündnis „Leipzig nimmt Platz“ wollte mit Sitzblockaden den Marsch aufhalten – dazu kommt es jedoch nicht.

4 500 Polizisten aus der ganzen Republik waren im Laufe des Tages zusammengezogen worden, um die verfeindeten Lager zu trennen und für Sicherheit sorgen. Dies sei der größte Polizeieinsatz in der Geschichte Leipzigs seit 1989, sagt Polizeipräsident Bernd Merbitz. Oper und Gewandhaus sind komplett verdunkelt, auch in vielen Hochhäusern an der Strecke sind die Lichter aus. Durch die Häuserschluchten dröhnt aus dem Legida-Marsch immer wieder der Ruf „Wir sind das Volk“. Vom Innenstadt-Ring war bei den Montagsdemos im Revolutionsherbst 1989 dieser Slogan ausgegangen.

Die symbolische Route ist im Vorfeld auch juristisch umstritten. Das Rathaus hatte entschieden, den Ring aus Sicherheitsgründen nicht komplett für einen Aufmarsch freizugeben. Zugelassen wurde nur eine Marschroute mit einem kurzen Abschnitt des Ringes. Das Verwaltungsgericht bestätigte am Nachmittag die Entscheidung. Zuvor hatte Pegida-Führer Lutz Bachmann seine Sympathisanten dazu aufgefordert, in Leipzig dabei zu sein - er selbst trat aber am Abend zurück. „Er war sowieso nicht der Richtige an der Spitze“, sagt dazu schulterzuckend ein älterer Mann auf der Legida-Kundgebung. Bereits am Montag voriger Woche waren in Leipzig etwa 4 000 Legida-Anhänger marschiert, dagegen hatten 35 000 Menschen protestiert. Danach wurden die Montags-Demos von Legida auf den Mittwoch verlegt, weil zuerst Gegendemos der Kirche angemeldet worden waren.

Laut Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Meyer-Plath haben sich bei Legida in Leipzig anders als bei Pegida in Dresden von Beginn auch Rechtsextremisten engagiert. Auch für gestern hätten die NPD und die Jugendorganisation JN in anderen Bundesländern massiv Anhänger mobilisiert. Der Leipziger Ableger habe sich zudem von Beginn radikaler geäußert und Begriffe von Rechtsextremisten wie die vom angeblichen „Kriegsschuldkult“ benutzt. Parteigebundene Rechtsextremisten, die Kameradschaftsszene und rechtsextreme Hooligans hätten schon mehrfach gemeinsame Sache gemacht und versuchten jetzt, bei Legida eine Plattform zu finden“, ergänzte Meyer-Plath in der Zeitung „Die Welt“. Allerdings agiert in der Stadt zugleich eine gewaltbereite linke Szene. Mehrere Hundert Autonome und Studenten waren erst vorige Woche mit einer unangemeldeten Spontandemo durch die Stadt gezogen und hatten Schaufenster eingeworfen, Verkehrszeichen herausgerissen, Polizeiautos und Beamte mit Steinen bewarfen. Zuletzt wurden etwa 40 Fenster im Amtsgerichts eingeschmissen auch die Fassaden des Bundesverwaltungsgerichts besprüht.

Auch gestern Abend stand zu befürchten, dass Linksradikale randalieren.