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Leben in einer eigenen Welt

Immer häufiger haben Ämter und Behörden im Landkreis Bautzen mit sogenannten Reichsbürgern zu kämpfen.

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© Archivbild: Danilo Dittrich

Von Sebastian Kositz

Kleinsaubernitz im April 2013: Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot an, durchsucht in dem kleinen Malschwitzer Ortsteil Wohnungen und Geschäftsräume. Der Einsatz richtet sich gegen zwei sogenannte Reichsbürger. Bis heute handelt es sich dabei um eine der spektakulärsten Aktionen im Kreis Bautzen, bei denen Reichsbürger öffentlich in Erscheinung getreten sind. Doch tatsächlich müssen sich Mitarbeiter hiesiger Behörden regelmäßig mit ihnen und ihren absurden Weltansichten herumärgern – und werden dabei nicht selten beleidigt oder sogar massiv bedroht.

Zuhause in einer ganz anderen Welt: sogenannte Reichsbürger basteln sich nicht selten ihre eigenen Ausweise und Pässe.
Zuhause in einer ganz anderen Welt: sogenannte Reichsbürger basteln sich nicht selten ihre eigenen Ausweise und Pässe. © dpa

Wie gefährlich Reichsbürger mitunter sind, hatte sich erst vor zwei Wochen auf besonders tragische Weise im bayrischen Georgensgmünd gezeigt. Als die Polizei die Wohnung eines Reichsbürgers durchsuchen will, eröffnet der ohne Vorwarnung das Feuer, verletzt vier Polizisten. Einer der Beamten verstarb kurze Zeit später in einem Krankenhaus. Dass die Polizei seinerzeit auch in Kleinsaubernitz mit einem Großaufgebot agierte, lag allen voran darin begründet, dass zumindest einer der Verdächtigen im Vorfeld gegenüber Behördenmitarbeitern handgreiflich geworden sein soll. Der Einsatz im April 2013 ging schließlich ohne Zwischenfälle über die Bühne.

Seitdem liefern Reichsbürger im Landkreis Bautzen jedoch immer wieder Schlagzeilen. Erst im April dieses Jahres hatte das Bautzener Amtsgericht einen selbstbekennenden Reichsbürger zu einer Geldstrafe wegen eines Hitlergrußes verurteilt. In der vergangenen Woche schickte ein Richter am Amtsgericht in Hoyerswerda schließlich einen wiederholt straffällig gewordenen 39-Jährigen wegen Fahren ohne Führerschein für acht Monate ins Gefängnis.

Wer sind die Reichsbürger?

Reichsbürger verneinen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Rechtsordnung. Stattdessen berufen sie sich auf das nach ihrer Ansicht fortbestehende Deutsche Reich im Zustand von 1937 oder 1914.

Die genaue Anzahl der Reichsbürger im Landkreis ist nicht bekannt. Sachsenweit wird deren Anzahl auf einen höchstens niedrigen dreistelligen Bereich geschätzt. Nicht genau erfasst ist indes auch die Zahl der Straftaten.

Feste Strukturen unter Reichsbürgern gibt es nicht, ebenso wenig wie eine sie einende Ideologie.

Das Kalkül der Reichsbürger sei vielfach, staatliche Maßnahmen wie Bußgelder oder Steuern infrage zu stellen, heißt es aus dem Innenministerium.

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Längst sind Prozesse gegen Reichsbürger vor den Gerichten im Landkreis keine Ausnahme mehr. Das kann auch Markus Kadenbach, Direktor des Bautzener Amtsgerichts, bestätigten. Zwar gebe es keine Statistik zu den geführten Verfahren. Aber: „Nach hiesiger Einschätzung ist ein leichter Anstieg einschlägiger Verfahren zu erkennen“, sagt Markus Kadenbach. Schwerpunkte seien dabei Straf- und Bußgeldverfahren, aber auch Zwangsvollstreckungen.

Leben in einer eigenen Welt

Weil für die Reichsbürger die Bundesrepublik nicht existiert, wird von ihnen zumeist auch die Legitimation des Gerichtes infrage gestellt. Amtsrichter Dr. Dirk Hertle hat das bereits mehrfach erlebt. So sei es sogar vorgekommen, dass das Wort Richter und sein Doktortitel von einem Reichsbürger in einem Schriftstück in Klammern gesetzt worden sei. „Da wird dann seitenweise Blödsinn erzählt, warum die BRD nicht existiert. Darüber diskutiere ich allerdings gar nicht erst“, sagt der Strafrichter.

Dass Reichsbürger tatsächlich in ihrer ganz eigenen Welt leben, offenbart sich der Bautzener Justiz aber auch durch vorgelegte Dokumente. Schriftlichen Stellungnahmen werden oft selbst hergestellte Ausweisdokumente oder Personenstandsurkunden beigefügt. „Der gestalterischen und inhaltlichen Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt“, sagt Markus Kadenbach.

Doch nicht nur vor Gerichten sorgen Reichsbürger für Ärger. Auch bei den Behörden der Kreisverwaltung oder in hiesigen Finanzämtern berichten die Verantwortlichen von allerlei Zwist. Dass etliche Probleme ausgerechnet im Jobcenter zutage treten, ist nicht frei von Ironie. Zwar wähnen sich Reichsbürger gern in staatlichen Verhältnissen wie anno 1937 – doch zur Sozialhilfe der aus ihrer Sicht eigentlich nicht existenten Bundesrepublik sagen etliche nicht Nein. Jedoch sei der Umgang mit dieser Klientel „problembelastet bis unmöglich“, erklärt Landratsamtssprecher Gernot Schweitzer. Denn die Reichsbürger würden sehr oft „respektlos und von Herrschaftsgedanken geprägt“ auftreten.

Bedrohungen an der Tagesordnung

Zu handfesten Übergriffen sei es bislang noch nicht gekommen. Doch die Mitarbeiter werden regelmäßig beleidigt, teilweise sei zudem zumindest verbal Gewalt angedroht worden, so Gernot Schweitzer. Die Verantwortlichen im Jobcenter und anderen Einrichtungen des Kreises reagieren mit Hausverboten, bei rechtlichen Verstößen drohen sogar Strafanzeigen.

Ähnlich halten das auch die Mitarbeiter in den hiesigen Finanzämtern. Wer die Existenz der Bundesrepublik verneint, hat zumeist wenig Interesse daran, Steuern zu zahlen. Stattdessen werden Besteuerungsverfahren durch das Erzeugen von hohem Verwaltungsaufwand ausgebremst oder sogar Vollstreckungsmaßnahmen behindert, erklärt Markus Kallinke vom Landesamt für Steuern und Finanzen (LSF). Bedrohungen und Beleidigungen durch Reichsbürger stünden auch hier auf der Tagesordnung.

Das LSF hat in den vergangenen Jahren ebenfalls einen Anstieg bei den Vorgängen mit den sogenannten Reichsbürgern registriert. Die Finanzämter beschränken sich aber nicht nur auf das Anzeigen von Vorfällen. Inzwischen gibt es für die Mitarbeiter einen Leitfaden zum Umgang mit Reichsbürgern. Und: Der Schutz der Bediensteten wird generell – nicht nur wegen der Reichsbürger – verbessert. Besonders gefährdete Mitarbeiter erhalten Fortbildungen im Konfliktmanagement und werden mit Schutzwesten und Reizgas ausgestattet.

Mit der Frage „Wer sind eigentlich die Reichsbürger“ beschäftigt sich am 9. November ab 19 Uhr der Stammtisch der CDU im Brauhaus, Thomas-Mann-Str. 7. Zu Gast ist unter anderem der Staatsanwalt Christopher Gerhardi.