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Lang lebe Frieda

Frieda Szwillus aus dem Erzgebirge ist mit 112 die älteste lebende Deutsche. Einst winkte sie Kaiser Wilhelm zu.

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© Laura Groschup

Von Gabi Thieme und Henry Berndt

Immer dieselbe Frage. Wie kann man nur so alt werden? Die Antwort scheint so einfach wie plausibel: Zu jedem Frühstück ein Butterbrötchen mit Marmelade, keine Margarine, und zu Weihnachten immer schön das Gänsefett auslöffeln. Das soll Frieda Szwillus aus Raschau im Erzgebirge mal verraten haben. Heute würde sie eine solche Frage nicht mehr verstehen. „Die Oma leidet inzwischen an schwerer Altersdemenz“, sagt ihre Enkelin Heike Groschup, aber wer 112 Jahre alt ist und zwei Weltkriege miterlebt hat, der darf auch anfangen zu vergessen.

Frieda Szwillus wohnt unter einem Dach mit ihrer 47-jährigen Enkelin, deren Mutter und ihrer eigenen Familie, zu der die 18-jährige Urenkelin Laura gehört. „Die meiste Zeit lebt sie wie in einer eigenen Welt und wie ein Kind. Sie kann nichts mit Tageszeiten anfangen und gleich gar nichts mit ihrem Alter“, sagt Heike Groschup.

Dabei ist Frieda Szwillus seit wenigen Tagen eine kleine Berühmtheit. In dem Moment, als eine Frau in Göttingen in der Nacht zum Dienstag im Alter von 112 Jahren in einem privaten Wohnstift starb, wurde die Sächsin zur mit hoher Wahrscheinlichkeit ältesten lebenden Deutschen. Eine offizielle Liste führt das Statistische Bundesamt in Wiesbaden dazu zwar nicht, dennoch bestätigt das Bundespräsidialamt in Berlin, dass derzeit keine ältere Person bekannt ist.

Keinerlei Medikamente

Zu ihrem 112. Geburtstag Ende März überbrachte der Bürgermeister von Raschau-Markersbach ihr ein Glückwunschschreiben von Bundespräsident Joachim Gauck. Schon häufiger hatte Manfred Meyer die Dame in den vergangenen Jahren besucht. Inzwischen erkennt sie ihre Gäste aus dem Rathaus, der Kirche und der Nachbarschaft allerdings nicht mehr.

Enkelin Heike Groschup arbeitet als gelernte Krankenschwester in der Altenpflege. Das kommt ihr auch zu Hause zugute. Die Oma sei eine große Anstrengung – für alle, gesteht sie. Aber die Familie sei auch stolz, dass eine Frau, die schon Kaiser Wilhelm zugewinkt hat, noch unter ihnen ist. Dass sie immer die Familie um sich hatte, habe sie vermutlich so lange auf Trab gehalten. Bis heute nimmt Frieda Szwillus keinerlei Medikamente. Die Gene scheinen nicht die schlechtesten zu sein. Auch drei ihrer Geschwister kamen nah an die 100 Jahre ran. An der sportlichen Aktivität kann es dagegen kaum liegen. Zwar war Deutschlands Alterspräsidentin als Jugendliche mal im Frauenturnverein aktiv, seitdem habe sie aber nur noch wenig für Sport übrig gehabt. Viel lieber sei sie stressfreien Hobbys nachgegangen wie Stricken oder Sticken.

Zweimal war die kleine Frau verheiratet, hat ein leibliches und drei Stiefkinder großgezogen. Alle starben vor ihr. Und sie habe immer bescheiden und sparsam gelebt. Sicher auch gezwungenermaßen – mit einem Job in einer Strumpffabrik.

Das persönliche Glückwunschschreiben des Bundespräsidenten konnte die Erzgebirgerin nicht selbst lesen. Die Augen machen schon einige Jahre nicht mehr mit, sagt Urenkelin Laura Groschup, die die Oma „mit dem faszinierenden faltigen Gesicht“ immer wieder gern fotografiert – für die Familienchronik.

Sachsen werden besonders alt

Vielleicht ist es kein Zufall, dass auch die zweitälteste Deutsche in Sachsen lebt: Johanna Klink aus Oschatz feierte im Januar ihren 111. Geburtstag. Laut Statistischem Landesamt werden Sachsen die heute 60 sind im Schnitt 85,22 Jahre alt. Das ist der höchste Wert aller Bundesländer nach Baden-Württemberg mit 85,61 Jahren.

„Sachsen ist ein wirtschaftsstarkes Land. Nach unseren Forschungen ist das einer der Hauptgründe für die regionalen Unterschiede“, sagte Christoph Rott, Co-Projektleiter der Heidelberger Hundertjährigen-Studie der Bild-Zeitung. „Die Sachsen sind deshalb aktiver, gelassener, optimistischer und werden dadurch älter.“

Ingesamt beglückwünschte Joachim Gauck im vergangenen Jahr exakt 6 392 Deutsche zum 100. Geburtstag. Knapp 600 sind 105 oder noch älter. „Unsere Glückwunschliste könnte aber nicht ganz vollständig sein, weil wir auf die Meldungen aus den Kommunen angewiesen sind“, heißt es aus dem Präsidialamt. Sie seien angehalten, ihre hochbetagten Jubilare mitzuteilen, tun es aber nicht immer.

Auch für Thomas Breining steht zweifelsfrei fest: Frieda Szwillus ist nun die älteste Deutsche. Der Radiologe von der Uniklinik Ulm befasst sich seit Jahren als Hobby mit Hochbetagten. Er ist Mitglied der „Gerontology Research Group“ in den USA, die fortlaufend an einer Liste der ältesten Menschen der Welt ab 108 Jahre arbeitet. Für Frieda Szwillus wird die Aufnahme gerade vorbereitet, verrät er.

Ihr selbst wird das egal sein. (mit fp)