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Kugel-Café für Leipzig

Ein Unternehmer lässt ein Restaurant nach Entwürfen des legendären Architekten Oscar Niemeyer bauen.

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© Philipp Kirschner/Kirow

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Er baute das Uno-Hauptquartier in New York City, die Reißbrett-Hauptstadt Brasília und entwarf 1 000 weitere Gebäude - der Brasilianer Oscar Niemeyer gehört zu den wichtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Seine kühnen Entwürfe veränderten die architektonische Moderne. In Deutschland allerdings ist trotz seiner deutschen Vorfahren bisher nur ein Wohngebäude in Berlin von ihm bekannt. Dass wird sich nun ändern: Auf dem Gelände der Leipziger Kirow-Werke, Nachfolger des großen DDR-Schwermaschinenbauers, entsteht seit voriger Woche ein futuristischer Kugelbau nach Originalplänen Niemeyers. Es wird eine filigrane, runde Stahlbeton-Konstruktion mit einem Gitter aus dreieckigen Scheiben, die die Ingenieure an ihre Grenzen führt.

Voraussichtlich bis Ende 2018 sollen in der Nachbarschaft zum Kunstareal an der Spinnereistraße ein Restaurant, eine Bar und ein Café einziehen. Die weitere Besonderheit des Gebäudes: Es entsteht auf der Dachecke eines alten Fabrikgebäudes und soll komplett selbsttragend sein. Bei einem Durchmesser von knapp zwölf Metern wird die Kugel im Inneren eine Fläche von gut 90 Quadratmetern bieten.

Geplant sind zwei Ebenen, zudem ein großer Austritt auf den Dachgarten mit Panoramablick. Eine gebogene Kachelwand soll eine von Niemeyer gezeichnete Strandskizze zeigen. Nachdem der bekennende Kommunist Ende 2012 in Rio de Janeiro kurz vor Vollendung seines 105. Lebensjahres gestorben war, verwirklichen nun seine architektonischen Weggefährten das Projekt posthum.

Dass das lange geplante Projekt überhaupt verwirklicht werden kann, ist ein Husaren-Stück des heutigen Besitzers der Kirow-Werke, Ludwig Koehne. Mit einer gehörigen Portion Chuzpe schrieb der heute 50-jährige Familien-Unternehmer Oscar Niemeyer vor einigen Jahren einen ebenso persönlichen wie launischen Brief. Er wurde zur Grundsteinlegung vor wenigen Tagen verlesen und erklärt die amüsante Geschichte. Der Familienbetrieb seines Vaters, so schrieb Koehne, habe vor mehr als 35 Jahren 100 Hafenkrane in Brasilien aufgestellt, einige würden noch die Straßen bei Rio säumen. Bei seinen Besuchen des südamerikanischen Landes habe er sich viele Werke Niemeyers angesehen. „Sie strahlen eine Vitalität und Lebensfreude aus, die sehr ansteckend ist.“

Und dann weiter: Kirow betreibe eine Kantine in der ehemaligen Werkstatt eines Backsteingebäudes von 1927. Der Koch sei ein veritabler Restaurant-Chef, der nur frische Zutaten verwende und jeden Tag etwas anderes koche. „Wie jeder künstlerisch veranlagte Mensch strebt unser Koch nach Höherem.“ Dafür brauche es den richtigen Raum für feine Küche und kleine Feste – und Niemeyers Architektur würde bestens dazu passen. „Als Kranbaubetrieb reizt uns zudem Ihr Ansatz, zuweilen an die Grenzen des Machbaren zu gehen.“ Der Stararchitekt, damals schon über 100, legte los. Es sollte einer seiner letzten Entwürfe werden.

Ludwig Koehne hatte die einstige DDR-Schwermaschinen-Fabrik Takraf/Kirow 1994 für den symbolischen Preis von einer D-Mark von der Treuhand übernommen, sie war ein Sanierungsfall. Doch der Sohn einer Gleisbauer-Familie aus Oberhausen mit eigener Eisenbahnkranflotte machte das Unternehmen wieder zu einem Weltmarktführer seiner Branche. Die tonnenschweren Spezialfahrzeuge unter Kirow-Flagge sind heute überall auf der Erde im Einsatz. In den Standort in Leipzig-Plagwitz flossen zugleich 35 Millionen Euro, neue Fertigungshallen und andere Gebäude entstanden.

Und Koehne hat neben dem unternehmerischen Talent ein Faible für Kunst und Architektur. Auf seinen mutigen Brief angesprochen, sagt Koehne lächelnd: „Wir sind eine Weltfirma. Also müssen wir auch im Weltmaßstab bauen.“ Und er ergänzt lakonisch: „Man kann ja mal fragen.“ Tatsächlich konnte er nach seinem Brief Niemeyer in Rio de Janeiro treffen. Die Umsetzung verantworten nun Jair Valera, seit 1976 Partner und Assistent Niemeyers, und der Leipziger Architekt Harald Kern. Valera erzählte auch, warum der Meister den Auftrag angenommen habe: „Oscar hat immer gesagt: Schönheit liegt im Neuen, in der Diversität, im Überraschenden.“

Begeistert von der Idee zeigte sich auch Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD): Das Bauwerk werde Leipzig „neue touristische und architektonische Impulse“ geben. „Wir brauchen solche Bauherren, die mutig sind“, sagt Jung. „Uns fehlen diese Zeichen in der Stadt.“