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Kriminelle Kreisläufe

In Leipzig ist einer der größten internationalen Crystal-Deals aufgeflogen. Es geht um 2,9 Tonnen Chemikalien, um 184 Millionen Euro und einen Chemiehändler.

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© dpa

Von Sven Heitkamp und Thomas Schade

Deutschlands ranghöchster Kriminalbeamter Jörg Ziercke und Tschechiens zweitwichtigster Drogenfahnder Peter Koci inspizierten gestern im Wiesbadener Bundeskriminalamt höchstpersönlich den Fund. Es geht um eine komplette Lkw-Ladung – Plastiksäcke, gefüllt mit einem weißen Pulver, dazu einige Kilopackungen prallvoll mit schmutzig weißen Kristallen. Die beiden Spitzenbeamten stehen vor 2,9 Tonnen Chlorephedrin – geeignet zur Herstellung von bis zu 2,3 Tonnen der gefährlichen synthetischen Droge Crystal. Wäre es zur Herstellung des Methamphetamins gekommen, hätte die Menge beim Verkauf auf der Straße geschätzt 184 Millionen Euro eingebracht, so das BKA gestern. Was Beamte des Amtes und der Leipziger Polizei vor einer Woche im Lager des 32-jährigen Chemie- und Pharmahändlers P. F. aus Leipzig gefunden haben, sprengt alles, was deutsche Drogenfahnder in den vergangenen Jahren sicherstellen konnten.

Nach SZ-Informationen kamen die Ermittlungen im Sommer vergangenen Jahres nach einer Geldwäsche-Verdachtsanzeige so richtig ins Rollen. Dabei wurde bekannt, dass der Chemiehändler in der Schweiz mehr als vier Tonnen Chlorephedrin im Wert von über einer Million Euro gekauft und eingeführt hatte.

Zu dieser Zeit hatten Leipziger Drogenfahnder der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift (GER), einer Spezialeinheit aus Polizisten und Zollfahndern, Hinweise auf einen internationalen Drogenring. Der stand im Verdacht, mit Crystal zu dealen. Dabei entdeckten die Ermittler, dass die Bande von dem 32-jährigen Pharmahändler auch Chlorephedrin bezog. Da es sich um eine internationale Organisation handelte, übernahm das Bundeskriminalamt den Fall. Die Leipziger Staatsanwaltschaft führt jedoch das Verfahren. Deren Sprecher, Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz, sagte gestern: Es sei das erste Mal, dass den Drogenküchen in dieser Größenordnung der Grundstoff entzogen werden konnte.

Am 5. November schlugen die Ermittler zu, anscheinend unmittelbar bevor ein weiterer Deal mit größeren Mengen des Crystal-Rohstoffes über die Bühne gehen sollte. Mit mehreren Einsatzgruppen durchsuchten sie 19 Objekte in Leipzig, Wohnungen und ein Gewerbegrundstück, das als Lager der Chemikalien ausgemacht worden war.

Der Pharma- und Chemikalienhändler gilt derzeit als Hauptbeschuldigter. Mit ihm wurden sechs weitere Personen festgenommen. Nach BKA-Angaben handelt es sich bei den anderen Verdächtigen um einen Aserbaidschaner (45), vier Armenier im Alter zwischen 22 und 47 Jahren und um eine Ukrainerin (24). Bei den Osteuropäern soll es sich um Mitglieder der Gruppe handeln, die bereits im Visier der sächsischen Drogenfahnder war. Sie steht unter anderem im Verdacht, Chlorephedrin an Vietnamesen in Tschechien zu verkaufen.

Wie gestern bekannt wurde, hatten Mitglieder der Bande zehn Kilo Chorephedrin zum Abtransport vorbereitet. Bei den Durchsuchungen in Leipzig stellten die Beamten zudem Bargeld, Munition, gestohlene Ausweispapiere und Dutzende Mobiltelefone sicher. Die Ermittler sind davon überzeugt, dass sich die Bandenmitglieder um Transport, Vertrieb und Weiterverkauf der heißen Ware kümmerten. So sei festgestellt worden, dass die Chemikalie jeweils in Mengen zwischen zehn und zwanzig Kilo nach Tschechien gebracht wurde. Ein Teil des fertigen Rauschgiftes gelangte schließlich wieder über Leipzig an Zwischenhändler und Konsumenten – ein verhängnisvoller und gefährlicher Kreislauf.

Ermittlern des BKA war es bereits im Oktober im Leipziger Stadtteil Markkleeberg gelungen, vier Kilo Crystal sicherzustellen. Daraufhin konnte der direkte Zusammenhang zwischen den weitergegebenen Chemikalien und der Herstellung der Drogen nachgewiesen werden, so das BKA gestern. Dass auch in Leipzig Crystal produziert wurde, dafür habe man derzeit keine Erkenntnisse, sagt Oberstaatsanwalt Schulz. Experten der Universität Leipzig halfen den Ermittlern bei der korrekten Bestimmung des Chemikalienfundes.

Von den Durchsuchungen am 5. November war auch eine Shisha-Bar in der Nähe der Innenstadt betroffen. Dort verkehrte ebenfalls ein mutmaßlicher Abnehmer der Bande – ein 37 Jahre alter, einschlägig vorbestrafter Iraker, der bereits in Haft sitzt. „In dessen Umfeld wurden weitere fünf Objekte durchsucht und verschiedene Beweismittel sichergestellt“, berichtet das BKA. Die Shisha-Bar war ein bekannter Treffpunkt der Szene. Der Betreiber der Bar selbst wird aber nicht beschuldigt.

Bestimmt war die riesige Menge des Crystal-Rohstoffs für die Drogenküchen jenseits der sächsisch-böhmischen Grenze. Dort ermittelt die Nationale Anti-Drogen Zentrale in Prag in der gleichen Sache ebenfalls seit längerer Zeit. Drei Tage nach der Aktion in Leipzig nahmen die Drogenfahnder im Nachbarland ebenfalls sieben mutmaßliche Mitglieder der Drogenbande fest und durchsuchten mehr als ein halbes Dutzend Wohnungen. Dabei beschlagnahmte die Polizei mehrere Schusswaffen, mehrere Tausend Euro und Pkws.

Es ist nicht der erste Drogenring in Sachsen, dessen Mitglieder versuchten, derartige kriminelle Crystal-Kreisläufe aufzubauen. Bereits im Jahr 2004 erhielten Zollfahnder Hinweise, dass eine 28-jährige Tschechin von Bautzen aus eine Gruppe von Kurieren lenkte, die Crystal Meth in Plüsch-Gorillas über die sächsisch-tschechische Grenze schmuggelten. In die Geschäfte waren zwei Berliner Apotheker verwickelt. Sie lieferten der Tschechin damals 120 Kilo Ephedrin, aus denen etwa 90 000 sogenannte Konsumeinheiten Crystal im Marktwert von 4,5 Millionen Euro hätten hergestellt werden können. Fahndern gelang es damals, der elfköpfigen „Gorilla“-Bande 75 Kilo Ephedrin abzunehmen. Die meisten Verdächtigen wurden später zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Die Geschäfte des Leipziger Pharma- und Chemikalienhändlers P.F. stellen dagegen eine neue Dimension dar. Mit dem Großeinkauf in der Schweiz wollte er wohl das Geschäft seines Lebens machen. Da die Chemikalie Chlorephedrin zwar nicht dem Betäubungsmittelgesetz, aber den Bestimmungen des Grundstoffüberwachungsgesetzes unterliegt, musste er damit rechnen, dass sich die zuständigen Behörden angesichts der ungewöhnlich großen eingeführten Menge bei ihm melden und nach dem Verbleib der Substanz fragen. Genau das passierte nach SZ-Informationen im Frühjahr dieses Jahres. Dabei gab der 32-Jährige gegenüber dem Zoll an, er habe die Substanz vernichtet. Die Zöllner fanden jedoch heraus, dass der Beschuldigte nicht das Chorephedrin, sondern offenbar vier Tonnen Streusalz in einer Müllverbrennungsanlage entsorgt hatte. Mit dem portionsweisen Verkauf des Drogengrundstoffes wollte er vermutlich reich werden.

Seit vergangener Woche sitzt der 32-Jährige in U-Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zum unerlaubten, bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln in nicht unerheblicher Menge vor. Bestätigt sich der Verdacht, drohen ihm bis zu elf Jahre Haft.

Bei den Ermittlungen ist es den Fahnder anscheinend gelungen, in den oberen Führungskreisen eines internationalen Drogenringes zuzuschlagen. Sie stellten im Rahmen der Vermögensabschöpfung insgesamt 600 000 Euro Bargeld sicher. Den Rohstoffnachschub für die tschechischen Speedküchen dürften sie zumindest für eine gewisse Zeit empfindlich gestört haben. In den Küchen wird mit einfachsten Mitteln aus dem Chlorephedrin Crystal Meth „gekocht“. Dem Hauptbeschuldigten P.F. müssen die Staatsanwälte allerdings noch nachweisen, dass er wusste, was die Abnehmer mit der Chemikalie trieben, die er ihnen verkaufte. Immerhin könnte er, gemessen an der eingeführten Gesamtmenge, bis zu 1,2 Tonnen Chlorephedrin im Laufe eines Jahres abgesetzt haben.