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Zehntausende feiern Karl May

Die Karl-May-Festtage feierten in diesem Jahr eine wichtige Botschaft des Abenteuer-Schriftstellers – mit Krach und Tanz.

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© dpa

Von Dominique Bielmeier

Der Santa-Fe-Express um 17 Uhr ist keine gewöhnliche Bimmelbahn. „Sonderzug“ hat schon eine halbe Stunde zuvor der historisch gekleidete Schaffner am Wartehäuschen geraunt. Kurz danach marschieren uniformierte Soldaten aus dem gegenüberliegenden Fort Virginia an die Haltestelle Lößnitzgrund. Ein blondes Mädchen in Kriegsbemalung fragt aufgeregt seinen Vater: „Kommen die auch richtig in den Wagen rein?“

Radebeul feiert Karl May

Indianer der Oneida Nation tanzen während des Karl-May-Festes auf dem Festgelände im Lößnitzgrund.
Indianer der Oneida Nation tanzen während des Karl-May-Festes auf dem Festgelände im Lößnitzgrund.
Gut besucht sind die Karl-May-Festtage immer.
Gut besucht sind die Karl-May-Festtage immer.
Die Schlacht von Radebeul: Soldaten der Südstaaten (hinten) kämpfen beim Bahnüberfall auf den Santa-Fe-Express gegen die "Outlaws".
Die Schlacht von Radebeul: Soldaten der Südstaaten (hinten) kämpfen beim Bahnüberfall auf den Santa-Fe-Express gegen die "Outlaws".
OK, die Waffen waren auch schon mal schärfer.
OK, die Waffen waren auch schon mal schärfer.
Auftritt des US-Amerikaners Rick Harris auf der Bühne in der Westernstadt Little Tombstone.
Auftritt des US-Amerikaners Rick Harris auf der Bühne in der Westernstadt Little Tombstone.
Auch Angelika und Peter aus Hamburg kamen zu den 24. Karl-May-Festtagen.
Auch Angelika und Peter aus Hamburg kamen zu den 24. Karl-May-Festtagen.
Auch Ganoven müssen mal baden. Die Locci - Gang machte die Westernstadt Little Tombstone unsicher und sorgte mit Schießereien und Schlägereien für allerlei Aufregung unter den Besuchern.
Auch Ganoven müssen mal baden. Die Locci - Gang machte die Westernstadt Little Tombstone unsicher und sorgte mit Schießereien und Schlägereien für allerlei Aufregung unter den Besuchern.
Auch im Gefängnis ging es zur Sache.
Auch im Gefängnis ging es zur Sache.
Und im Saloon sowieso.
Und im Saloon sowieso.
In Little Tombstone konnten die Kinder in einem Bottich Gold waschen.
In Little Tombstone konnten die Kinder in einem Bottich Gold waschen.
Matthias Zieger (55) vor dem Saloon in der Westernstadt
Matthias Zieger (55) vor dem Saloon in der Westernstadt
So sehen Radebeuler heute aus.
So sehen Radebeuler heute aus.
Tausende verfolgten das Spektakel im "sächsischen Nizza", wie Einheimische Radebeul aufgrund der dortigen Millionärsdichte nennen.
Tausende verfolgten das Spektakel im "sächsischen Nizza", wie Einheimische Radebeul aufgrund der dortigen Millionärsdichte nennen.
Die Landesbühnen Sachsen zeigten Auszüge des Stückes "Ein Greenhorn im Wilden Westen".
Die Landesbühnen Sachsen zeigten Auszüge des Stückes "Ein Greenhorn im Wilden Westen".
Mit dabei: Indianer der Oneida Nation
Mit dabei: Indianer der Oneida Nation
Die Kinder tobten auf dem sandigen Abhang am Hohen Stein
Die Kinder tobten auf dem sandigen Abhang am Hohen Stein
In der Westernstadt Little Tombstone wird den Besuchern vor allem Country-Musik geboten.
In der Westernstadt Little Tombstone wird den Besuchern vor allem Country-Musik geboten.
Dieser Cowboy braucht offenbar eine Pause.
Dieser Cowboy braucht offenbar eine Pause.
Soldaten der Nordstaaten marschieren durch Radebeul.
Soldaten der Nordstaaten marschieren durch Radebeul.

Mit etwas Verspätung dampft die Schmalspurbahn heran und das große Schieben beginnt. Jeder will ausgerechnet in diesem Zug sitzen – oder wenigstens stehen. Die „German Rifles“ aus den Südstaaten nehmen im offenen Wagen Platz, der Rest drängt sich in die Abteile, als gäbe es etwas umsonst. Und das gibt es auch: einen echten Bahnüberfall durch Desperados nämlich. Schon zum zweiten Mal an diesem Sonnabend.

Ruckelnd setzt sich die Schmalspurbahn in Bewegung. Auf Höhe der Grundmühle, etwa auf halber Strecke zur Haltestelle Weißes Roß, kündigt sich der Überfall schon durch die Zuschauermengen an, die hinter den Absperrbändern am Lager der „Outlaws“ – der Gesetzlosen – stehen. Dann: ein großer Knall. Die Südstaatler springen vom Wagen. Schüsse. Gegenschüsse. Wer in einem Waggon zu weit vorne und nicht direkt am Fenster sitzt, bekommt vom Angriff nicht viel mehr mit. Die Soldaten kämpfen noch, da ruckelt die Bahn schon weiter. Überfall überlebt.

Aller Schießerei zum Trotz ist ausgerechnet „Und Friede auf Erden“ das Motto der 24. Karl-May-Festtage, die wie immer am Wochenende nach Himmelfahrt in der Heimatstadt des Schriftstellers stattfinden. Überall auf dem Festgelände findet man Zitate dazu. „Die Klugheit ist stärker als die Gewalt, und die Milde mächtiger als der Mord“, hat der Lieblingsautor der Deutschen geschrieben. Oder: „Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann; wie man den Frieden führt, das weiß kein Mensch.“

Weil es das eine nicht ohne das andere gibt, werden im Lößnitzgrund ein Wochenende lang Krieg und Frieden gelebt. Wer nicht gleich im Soldaten-, Indianer- oder Südstaatenschönheit-Kostüm nach Radebeul gekommen ist, der trägt zumindest irgendwas mit Fransen oder aus Leder – beziehungsweise nimmt es sich für das nächste Jahr fest vor. Ein paar Damen in Reifröcken und mit spitzenbesetzten Sonnenschirmen flanieren an Lángos-, Knobi-Brot- und Traumfänger-Ständen vorbei – denn auch die gibt es – und treffen auf eine Gruppe Soldaten. Die Männer führen wie selbstverständlich eine Hand an die Hutkrempe, nicken den Damen zu. „Ma’am.“ Milde grüßen diese zurück. So perfekt war die Szene, dass die Frauen ein paar Meter weiter in lautes Gelächter ausbrechen.

An Orten wie der Westernstadt „Little Tombstone“ (kleiner Grabstein) finden die Cowboy-und-Indianer-Fans die passende Kulisse. Ein Barbier verpasst mutigen Männern hier an der frischen Luft einen „Westernhaarschnitt“ für sechs Euro, während die Country-Band auf der Bühne ihre Sehnsucht nach Carolina beteuert. Gefängnis reiht sich an Poker-Saloon reiht sich an Friedensrichter. Der kann jedoch nicht mehr schlichten, als am Nachmittag die zwei Ganoven der Locci-Gang auf einer kleinen Tribüne in Wannen eingeseift und mit Schrubbern bearbeitet werden – unter dem Geschrei der Zuschauer, die gleich mit gewässert werden.

Der heilige Schläger der Irokesen

Fort Henry gleich nebenan ist der holzgewordene Traum der Zeitreisenden. Hier gibt es einen Saloon, einen Stellmacher und natürlich einen Sheriff. Der Bestatter sitzt zwischen ausgestopften Tieren in einem Sarg, aus dem bei Bedarf Nebelschwaden wabern, und nimmt einen kräftigen Schluck aus einer Flasche, die sicher nicht umsonst mit einem Kreuz versehen ist. Der „Doc“ steht auf der Veranda seines Häuschens, richtet die Pistole im Gürtel und murmelt mit geschwellter Brust: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.“

Ron Patterson muss das zum Glück nicht hören. Auf der Bühne am Hohen Stein, wo zwischen Tipis und gigantischen Felswänden die Westernillusion perfekt ist, bringt der Oneida-Indianer die wahre Friedensbotschaft des Wochenendes – in Form eines Lacrosse-Schlägers. Der hölzerne Stab mit dem Körbchen aus Lederriemen daran wird von dem 45-Jährigen in Handarbeit bis zu einem Jahr lang gefertigt. Bei den Irokesen, zu denen auch die Oneida gehören, ist der Schläger heilig. Vor langer Zeit, als sich die Stämme gegenseitig fast ausrotteten, sei ihnen das Spiel vom Schöpfer geschenkt worden, erzählt Ray Halbritter, oberster Repräsentant der Oneida. Mit Lacrosse lösten sie daraufhin ihre Konflikte. Heute wird der Sport in einer Profi-Liga gespielt – mit Plastikschlägern.

Während im Hintergrund immer wieder Kanonenschläge und Schüsse zu hören sind, erfahren die Besucher am Hohen Stein noch mehr über die Indianer: Dass sie vor der Jagd bei einem Tanz darum bitten, das Tier mit dem ersten Schuss zu erlegen, damit es nicht leiden muss. „Das ist die Achtung vor der Natur“, sagt ein Zuschauer zu seiner Begleitung. „Die ist uns in Europa abhandengekommen.“ Oder, dass sie bei ihren Handlungen immer an die Folgen für die nächsten sieben Generationen denken.

„Viele verstehen dieses Konzept nicht“, sagt Ron Patterson abseits der Bühne, auf der die Mitglieder seines Stammes noch die traditionellen Tänze vorführen. „Aber jede Entscheidung, die ich heute treffe, hat Einfluss auf die nächsten Generationen, auf die Nachfahren unserer Ahnen. Heute geht es oftmals nur noch um die Industrie oder den Dollar und dabei ruinieren wir unsere Nahrungsgrundlage.“ Karl Mays Romane hat der Indianer selbst nie gelesen.