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Krank ohne Versicherung

Das Problem ist bislang wenig bekannt: Mehrere tausend Menschen in Sachsen sind ohne Krankenversicherung. Aber auch sie benötigen medizinische Hilfe. Ihre verzwickte Lage ist nun Thema im Landtag.

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© Maurizio Gambarini / dpa

Von Thilo Alexe

Dresden. Das Problem ist in der Öffentlichkeit bislang wenig bekannt: Geschätzt mehrere tausend Menschen in Sachsen sind ohne Krankenversicherung. Auch sie benötigen medizinische Hilfe. Wer gibt sie ihnen – und wer bezahlt sie?

In Leipzig kommen regelmäßig Patienten in die Notfallaufnahme des Universitätsklinikums, die über keinen Versichertenschutz verfügen. „Wir schicken niemanden weg“, sagt Sprecherin Helena Reinhardt. Das wollen und dürfen die Ärzte des Klinikums auch gar nicht. Auch wer nicht versichert ist, hat zumindest Anspruch auf eine Notfallbehandlung.

Kenner des Gesundheitssystems nennen vier Gruppen, die häufig unter Nichtversicherten anzutreffen sind. Eine ist die der Selbstständigen, die Beiträge für private Gesundheitskassen nicht mehr zahlen können – oder die als freiwillig in gesetzlichen Kassen Versicherte ausgestiegen sind. Patienten ohne wirksamen Versicherungsschutz können auch Obdachlose und EU-Ausländer sein. Bei jenen klappt häufig die Kooperation mit der einheimischen Krankenkasse nicht. Unter Nichtversicherten sind auch Geflüchtete.

Das Problem ist in der Regel nicht die Behandlung. Das Problem sind die Kosten, die dafür anfallen. Die Krankenhäuser, sagt Klinikumssprecherin Reinhard, seien zu einer Überprüfung verpflichtet, ob – und falls ja – wie Geld für die Finanzierung aufgetrieben werden kann. Die sächsische Krankenhausgesellschaft, die als Landesverband 80 sächsische Krankenhäuser repräsentiert, berichtet von umfangreichen Verfahren. Der Verwaltungsaufwand binde Ressourcen, sagt die Sprecherin der Gesellschaft, Gundula Bitter-Schuster.

Zunächst geht es um die Feststellung der Identität. Das kann bei Ausländern nicht zuletzt aufgrund der Sprachbarriere ein Problem sein. Dann geht es darum, ob Patienten bereit sind, bei der Klärung der Finanzfragen mitzuwirken. Obdachlose sind häufig in gar keinem sozialen System. So kann es vorkommen, dass Krankenhausmitarbeiter für sie einen Sozialhilfeantrag vorbereiten, der dann nur noch unterschrieben werden muss. Das ist die Vorbedingung dafür, dass eventuell ein Sozialamt Behandlungskosten übernimmt.

Auch das beobachten die Krankenhäuser: Aus welchen Gründen auch jemand nicht versichert ist – in der Regel kommt derjenige nicht bei einem Schnupfen zum Arzt. Die Behandlungen seien, sagt Reinhard, aufgrund der Krankheiten oder schweren Verletzungen meist umfangreich. Die Kosten dafür lägen häufig im vier- oder fünfstelligen Bereich.

Die Krankenhausgesellschaft nennt ein Beispiel aus der Praxis: Einem Nichtversicherten kann bei einem diabetischen Schock binnen zehn Minuten geholfen werden. Doch um Risiken zu vermeiden, wird der Patient danach in der Regel nicht weggeschickt, sondern für mehrere Tage im Krankenhaus beobachtet.

Eine umfassende Statistik gibt es bislang nicht. Das Leipziger Klinikum beziffert die finanziellen Ausfälle durch die Behandlung Nichtversicherter auf rund 300 000 Euro im Jahr. Selbst wenn ein Teil der Kosten erstattet wird, ihren Verwaltungsaufwand tragen die Krankenhäuser.

Rund 77 500 Menschen in Deutschland waren nach Angaben der Bundesregierung 2015 ohne Versicherungsschutz. Der Bevölkerungsanteil Sachsens an der Bundesrepublik entspricht etwa einer Größe von fünf Prozent. Rein rechnerisch lässt das den Schluss zu, dass rund 4 000 Menschen in Sachsen nicht versichert sind.

Belegt ist, dass im vergangenen Jahr etwa 8 200 Versicherte der AOK Plus in Sachsen – der im Freistaat größten Kasse – Beitragsrückstände hatten und damit nur eingeschränkten Schutz genossen. Die Linkenabgeordnete Susanne Schaper, die das per Anfrage an die Staatsregierung herausfand, forderte Gesetzesänderungen. Für Etliche sei schon der Mindestbeitrag von 174 Euro im Monat kaum zu stemmen.

Das Problem hat auch die sächsische Koalition erkannt. CDU und SPD brachten daher einen Antrag in den Geschäftsgang des Landtags. Wird das Papier voraussichtlich im März beschlossen, muss die Staatsregierung Daten vorlegen: Wie viele sind in Sachsen nicht versichert? Wie hoch sind die Beitragsschulden? Welche Personengruppen sind besonders betroffen?

Zudem soll sich Sachsens Regierung mit Krankenkassen, Sozialhilfeträgern und anderen Organisationen zusammensetzen, um zu prüfen, wie die Ausgetretenen wieder in die Kassen aufgenommen werden können. Auch um Fragen der Kostenübernahme soll es dabei gehen. In der Begründung des Landtagsantrages, den der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Kupfer und die SPD-Fraktionsvizechefin Dagmar Neukirch unterzeichneten, heißt es: „Jeder Mensch hat das Recht auf Gesundheit und damit in Notlagen einen Behandlungsanspruch.“