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Kopfstand statt Strafe

Mit ungewöhnlichen Methoden geht die Polizei auf der A4 gegen Gurtmuffel vor – Angstschweiß inklusive.

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© Uwe Soeder

Von Frances Scholz

Das Fahrerhaus kippt mit einem Ruck auf die Seite. Dann folgt noch eine Drehung und schon hängt der Fahrer kopfüber. Kuscheltiere fliegen wild umher. Jürgen Schöbel steuert den Überschlagsimulator und hat kein Mitleid. Er drückt nochmals den Knopf und das Lkw-Fahrerhaus dreht sich erneut. Nach nicht einmal einer Minute ist der Schrecken vorbei. Mit zitternden Händen steigt ein junger polnischer Lkw-Fahrer aus. Doch das bleibt nicht der letzte Test für ihn. Er muss noch in einen Gurtschlitten steigen, der mit acht Kilometern pro Stunde aufprallt. Und das alles, weil er sich nicht angeschnallt hat.

Die Autobahnpolizei und der Verein Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR) arbeiten gemeinsam bei der Aktion „Hat‘s geklickt?“. Dabei werden gezielt Gurtmuffel angehalten und aufgefordert in einen Überschlagsimulator oder den Gurtschlitten zu steigen. Auch einen Test zur Ladungssicherung gibt es. Die Fahrer müssen einschätzen, wohin die Gegenstände nach einem Aufprall fliegen. Wer an den Tests teilnimmt, dem wird das Verwarngeld in Höhe von 30 Euro erlassen. Die Simulatoren stehen seit Montag auf der Autobahnraststätte Oberlausitz. Die Beamten fahren zwischen der Auffahrt Bautzen Ost und der Raststätte und suchen gezielt nach nicht angeschnallten Fahrern. Die werden aufgefordert, ihnen bis zum Rasthof zu folgen.

Dort warten schon Jürgen Schöbel vom DVR und der Leiter der Autobahnpolizei Frank Wobst mit seinem Kollegen Martin Hottinger. „Diese Aktion soll die Fahrer sensibilisieren. Aber wir halten nicht nur Gurtmuffel an. Wir führen auch allgemeine Kontrollen durch und fragen die Fahrer, ob sie Lust haben die Simulatoren zu testen“, sagt Frank Wobst. Die meisten sind davon begeistert und machen mit. Auch Fahrschulen nutzen diese Gelegenheit.

Einer von den freiwilligen Testern ist Sven Mehlig aus Meißen. Er ist mit einem Kleintransporter unterwegs. „Ich bin immer angeschnallt“, sagt er und entscheidet sich für eine Fahrt im Gurtschlitten. Der schießt mit nur acht Kilometern pro Stunde in Richtung Aufprall. Sven Mehlig wird nach vorn geschleudert. Der Sicherheitsgurt hält ihn und wirft ihn in den Sitz zurück. Bei seinem Körpergewicht von 80 Kilo wirken auf dem Gurt bei der Kollision 314 Kilogramm. Der Kraftfahrer wirkt nach dem Test überrascht. „Das war eine interessante Erfahrung für mich. Ich hätte nicht gedacht, dass so ein Druck auf den Sicherheitsgurt wirkt. Und das bestätigt mir, wie wichtig es ist, angeschnallt zu fahren.“

Und genau diese Erkenntnis wollen die Autobahnpolizisten und der DVR erreichen. Seit zehn Jahren findet die Aktion zwei Mal im Jahr in Bautzen statt. Und es hat sich viel getan. „Vor etwa zehn Jahren waren nur rund 20 Prozent der Lkw-Fahrer angeschnallt. Heute sind es immerhin bis zu 60 Prozent“, sagt Martin Hottinger, Leiter des Verkehrsunfalldienstes. Bei den Autofahrern sei das Problem nicht ganz so gravierend. Statistisch gesehen schnallen sich 97 Prozent an. „Auch wenn der Großteil der Autofahrer sich anschnallt, führen wir diese Kontrollen weiterhin regelmäßig durch, sonst würde die Zahl der Gurtmuffel wieder steigen“, erklärt Frank Wobst.

7 500 nicht angeschnallte Lkw- und Pkw-Fahrer erwischte die Polizei auf der Autobahn und anderen Straßen im Landkreis Bautzen und Görlitz im vergangenen Jahr. 2014 sollen die Zahlen ähnlich aussehen. Jährlich gibt es rund 680 Unfälle auf der Autobahn in den beiden Landkreisen. „Damit ist die Autobahn zwar eine der sichersten Strecken, aber wer nicht angeschnallt ist bei einem Unfall, stirbt mit hoher Wahrscheinlichkeit.“ So wie eine junge Familie. Keine der vier Personen war angeschnallt. Sie wurden beim Unfall auf der Autobahn aus dem Fahrzeug geschleudert. „Die Eltern waren sofort tot. Ein Kind war schwer verletzt und starb wenig später. Das andere Kind überlebte den Unfall schwer verletzt“, erinnert sich Wobst.

Obwohl solche Unfälle meist tödlich enden, hören die Beamten von den angehaltenen Gutmuffeln oft nur Ausreden. „Lkw-Fahrer sind der Meinung, ihr Fahrerhaus ist so groß, da kann schon nichts passieren“, sagt Martin Hottinger. Bei Autofahrern überwiegt die Angst, im Falle eines Brandes nicht mehr aus dem Auto rauszukommen. „Das ist aber ein Trugschluss. Nur bei 0,5 Prozent der Unfälle mit Feuer wäre das so.“ Für den jungen polnischen Fahrer endet die Fahrt im Gurtschlitten. Er bekommt noch einen Kaffee und Infomaterial vom DVR. Dann setzt er seine Fahrt angeschnallt fort. Warum er vorher ohne Gurt gefahren ist, wollte er nicht sagen. „Wichtig ist aber, dass er jetzt den Gurt angelegt hat. Im Falle eines Unfalls ist es für ihn nun sicherer“, sagt Frank Wobst.

Die Polizei steht noch bis Donnerstag 13 Uhr an der Raststätte Oberlausitz in Fahrtrichtung Dresden. Interessierte können vorbeikommen und die Simulationen mitmachen.