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Kommt ’ne Bankerin in Kuhstall ...

Die Volksbank Pirna schickt ihre Nachwuchskräfte in die Landwirtschaft. Katerin Zinke ist die Kälberflüsterin.

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© Daniel Förster

Von Henry Berndt

Die Kühe wissen längst selbst am besten, wo es zum Melkkarussell geht. Ein Neuling dagegen kann sich zwischen all den Futterküchen, Ställen und Maschinen schnell verlaufen. Katerin Zinke kennt die Wege, wie ein Neuling wirkt sie nicht mehr. Gerade so, als habe sie nie etwas anderes gemacht, bewegt sich die 25-Jährige durch die Hallen der Agrargenossenschaft Niederseidewitz bei Pirna. Dabei ist sie gerade einmal seit zwei Wochen hier.

Eigentlich will Katerin Zinke Bankangestellte werden. Nach fünf Jahren Studium von BWL und Internationales Management in Dresden durchläuft sie seit einem halben Jahr das Trainee-Programm der Volksbank Pirna. Hier wandert sie von Abteilung zu Abteilung, war schon im Vorstandsbüro, am Serviceschalter und im Marketing. Stets trug sie dabei Blazer und Stoffhose. Die hat sie nun für vier Wochen gegen Latzhose und Gummistiefel getauscht. Statt Kunden zu beraten oder Konzepte zu erarbeiten, füttert sie jetzt Kälber.

Hinter dem ungewöhnlichen Seitenwechsel steckt ein Ausbildungsprojekt der Volksbank Pirna, das vor vier Jahren ins Leben gerufen wurde. „Die Agrarwirtschaft ist ein großer und wichtiger Kundenstamm für uns“, sagt deren Vorstandsvorsitzender Hauke Haensel. „Was spricht also dagegen, zu wissen, mit welcher schweren körperlichen Arbeit sie ihr Geld verdienen? Ich finde, das ist eine gute Schule.“ Vor allem ist es eine fruchtbare Symbiose, denn auch die Unternehmen freuen sich über die Verstärkung. Alle Auszubildenden und Studenten der Bank bekommen zu Beginn ihrer Karriere daher quasi Ferien auf dem Bauernhof verordnet – nur dass Ferienkinder sicher nicht den ganzen Tag arbeiten würden. In diesem Jahr wurden ein Auszubildender und zwei Trainees vermittelt.

Katerin Zinke soll live im Kuhstall erleben, was sie anschließend vermutlich ihr Leben lang nur noch in der Theorie beschäftigen wird. Und ob man es glaubt oder nicht, sie hat richtig Lust drauf. Die Gummistiefel hat ihr daheim die Mama geliehen, die grüne Latzhose gehört zur Arbeitskleidung. Einen festen Arbeitsplan hat sie in dem Agrarbetrieb direkt an der A17 nicht. 60 Mitarbeiter gibt es hier auf einem Gelände von 2.200 Hektar. Katerin Zinkes Aufgabe ist es, sich mit um die Kälber zu kümmern. Und das sind einige. Insgesamt rund 900 Kühe hat der Betrieb – und sorgt durch Besamung regelmäßig selbst für Nachwuchs. Gerade erst am Montag ist wieder ein Kalb geboren worden. Es trägt den schönen Namen 79407 und will nicht so richtig trinken. Die Praktikantin zieht sich blaue Handschuhe an und steigt in den Käfig. Mit einer kräftigen Kitzelattacke bringt sie das Kalb zum Aufstehen und schiebt seinen Kopf resolut in Richtung des Nuckels, hinter dem sich der Milchtrog befindet. „Am ersten Tag gibt es noch original Muttermilch“, sagt sie, „dann werden die Tiere langsam entwöhnt.“

Beim Rundgang durch die Ställe zeigt sie den einzigen Bullen, die Klauen-Schneide-Anlage und eine Apparatur, von der sich die Kühe kratzen lassen können, wie in einer Autowaschanlage. „Das macht sie glücklich“, sagt sie. „Und glückliche Kühe geben mehr Milch.“ Fachmännisch spricht die Bankerin von „Abkalben“ (gebären) und „Rindern“ (paarungsbereit sein), dabei hatte sie bis vor Kurzem noch nie ein Melkkarussell aus der Nähe gesehen. „Als Kind war ich mit meiner Familie auf dem Bauernhof“, sagt sie. „Seitdem hatte ich aber noch nie mit der Landwirtschaft zu tun.“ Zu Hause in Dresden pflegt sie mit ihrem Freund zusammen nur eine kleine Katze. Ein Grund mehr für sie, in den vier Wochen alles an praktischen Erfahrungen mitzunehmen, was möglich ist. Täglich von 7 bis 15.30 Uhr widmet sie sich den Kälbern, füttert, dokumentiert Krankheiten, reinigt Ställe und hilft bei der Besamung.

„Frau Zinke hat sich unheimlich schnell eingelebt“, sagt Julia Komnick, Ausbildungsleiterin der Agrargenossenschaft Niederseidewitz. „Sie scheut sich vor keiner Aufgabe und ist sehr wissbegierig.“ Solche Mitarbeiter wünscht man sich natürlich, auch wenn es nur für kurze Zeit ist.

So gut es ihr im Stall auch gefallen mag, ihre Zukunft sieht Katerin Zinke doch im Bankbüro, nicht nur, weil Mama ihre Gummistiefel zurückhaben will. „Ich will mein Studium nutzen und sehe meine Zukunft bei der Volksbank“, sagt sie. Das ist durchaus keine Selbstverständlichkeit. Die letzte Bank-Auszubildende, die die Niederseidewitzer Kühe kennenlernte, hat sich kurzerhand für einen Wechsel in die Agrarwirtschaft entschieden. Wo die Liebe hinfällt.