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Komm, wir spielen Indianer!

Etwas Wildwest war in fast jedem Kinderzimmer der DDR daheim. Eric Palitzsch aus Rabenau hat die Rothäute und Bleichgesichter aus Gummi immer noch gern.

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© Carmen Schumann

Von Jörg Stock

Im Westernstädtchen brennt die Luft. Schwer bewaffnet sprengen Indianer auf wilden Pferden heran. Messer blitzen auf. Schon kämpfen Rothäute und Bleichgesichter Mann gegen Mann. Auf dem Balkon der Bank haut man mit Gewehrkolben aufeinander los. Und wo steckt der Sheriff? Im Saloon? Könnte sein. Am County-Jail, seinem Dienstsitz, klebt neben dem neusten Steckbrief ganz groß eine Reklamebotschaft: „Whisky, Whisky, Whisky“.

Nicht jugendfrei? Die Produktion dieser Zweikämpfer wurde Ende der 1970er-Jahre eingestellt. In einer früheren Version hatte der Cowboy dem Indianer das Messer sogar in die Brust gerammt.
Nicht jugendfrei? Die Produktion dieser Zweikämpfer wurde Ende der 1970er-Jahre eingestellt. In einer früheren Version hatte der Cowboy dem Indianer das Messer sogar in die Brust gerammt. © Carmen Schumann

Den Ausgang des Scharmützels entscheiden weder Indianer noch Cowboys. Auch nicht der Sheriff. Hier hat ein anderer das Sagen, und das ist Eric Palitzsch. Immer neue Figuren wickelt er aus dicken Knäueln von Küchenrolle und Zeitungspapier und schiebt sie in die Szenerie. Nicht nur Männchen stellt er da hinein, auch Lagerfeuer, Marterpfähle, Bären und Bisons. Zwischendurch kramt er angestrengt in einem Dutzend Pappkartons herum. Den Wilden Westen aufzubauen, scheint Schwerstarbeit zu sein. „Es ist Stress“, gibt Eric Palitzsch zu. „Aber ein positiver Stress.“

Eric Palitzsch, 43, Elektriker, Industriemechaniker und Kaufmann aus Rabenau, hat eine Nebentätigkeit: als Spielzeugmuseumsdirektor. Aber kein eigenes Museum. Seine mehr als viertausend Exponate aus der Spielzeugproduktion der DDR sind permanent eingelagert. Zur Weihnachtszeit aber holt er einen Teil hervor, um damit in deutschen Museen Gastspiele zu geben. Von Nürnberg bis fast hinauf zur Nordsee hat er sein Sammelgut schon vorgeführt. Jetzt erobert er das Stadtmuseum Bautzen mit Hunderten Cowboys und Indianern für eine Kabinettausstellung.

Die bunten Figuren, anfangs aus Masse gefertigt, einem variierenden Mix aus Holzmehl, Gips, Papierabfall, Harzen und Leim, später aus Gummi, waren zur DDR-Zeit äußerst populär und praktisch in jedem Kinderzimmer daheim, auch in dem von Eric Palitzsch. Man sammelte sie, kaupelte mit ihnen und ließ ihnen Auslauf in den Sandkästen. Wer weiß, wie viele darin bis heute verschüttet liegen.

Anders als bei den meisten Jungs ist das Interesse an Spielzeug wie den Wildwestfiguren bei Eric Palitzsch mit dem Großwerden nicht abgekühlt. Schon als Teenager begann er zu sammeln und erfuhr zur Wendezeit, wie groß die sozialistische Spielewelt wirklich gewesen war. In den Müllcontainern konnte man ihre Vielfalt besichtigen. Auch die meisten der Indianer und Cowboys, die er heute besitzt, sah Eric Palitzsch damals zum ersten Mal. Er nahm sie mit nach Hause. „Ich fand sie einfach zu schade zum Wegschmeißen.“

Palitzschs Sammellust weitete sich aus, auf Dachböden und Kellerzellen, auf Sperrmüllsammlungen und Flohmärkte. Durch Mundpropaganda bekam er manches Konvolut angeboten. So kann er nun im Gemäldefoyer des Bautzner Museums gleich mehrere Westernstädte mit Personal ausstatten, dazu Indianersiedlungen samt Tipis und Hütten und diversen Grotten. Geordnet sind die Exponate nach ihren Herstellern, die Anton Röder, Richard Hopf oder Emil Bayer hießen, und die alle in einem Thüringer Dorf mit dem sperrigen Namen Mengersgereuth-Hämmern produzierten, zuletzt unterm Dach des VEB Spielzeugland.

Eine Erfindung der DDR sind die kleinen Wildwestler keineswegs. Die ersten kamen nach Eric Palitzschs Kenntnis schon um 1900 auf den Markt. Doch waren Soldaten als Spielkameraden wohl deutlich populärer. Nach dem Zweiten Weltkrieg war damit Schluss.

Die Produzenten suchten ein neues Thema. So kam der Wilde Westen groß heraus. Den DDR-Oberen behagte das zunächst nicht sonderlich. Auch von Karl May wollten sie lange nichts wissen, hielten seine Abenteuerschmöker für antihumanistisch und schlichtweg für überflüssig. Doch war der Einzug der Indianer und Cowboys in die Spielwarenläden nicht zu stoppen, auch weil sich mit ihnen Geld verdienen ließ, im Osten wie im Westen.

Exportiert wurden vor allem die Behausungen der Spielfiguren, Holzbauten, wie die Bank, die Postkutschenstation oder der „General Store“. Zum Beweis blättert Eric Palitzsch einen Quelle-Katalog von 1977 auf, zeigt die „Westernhäuser“, angepriesen als passend für Playmobil-Männchen. Dass sie von Spielzeugmachern aus Thüringen und aus dem Erzgebirge gebaut wurden, erfuhr der Kunde nicht. Palitzsch klappt den Katalog wieder zu und wird ein wenig ironisch. Der Wilde Westen der DDR ist Geschichte, sagt er, „und Quelle auch.“

Der Spielzeugsammler hat nicht die Absicht, den Sozialismus mit seiner Schau hochleben zu lassen. Er ist an einer sachlichen Darstellung des Kapitels Spielzeugland DDR interessiert. So zeigt er, wie sich die Wildwestwelt der 1950er- und 1960er-Jahre mit ihren aufwendig bemalten, teils mehrteiligen Unikaten hin zum materialsparenden Massenprodukt wandelte. Großen Wert legt er auf Originalität, was aber nicht heißt, dass ihm unbenutzte Stücke die liebsten wären. „Ein paar Spielspuren dürfen schon zu sehen sein“, sagt er.