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Komm, hol’ den Panzer raus!

Der Heidenauer Bauingenieur Jörn Bindig betreibt ein Reservat für alte Kampfwagen mit viel Auslauf und Matsch.

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© Kristin Richter

Alles, was kaputt gehen kann, lieber hierlassen. Zu Befehl. Ich stecke nur das Handy in die Brusttasche meiner NVA-Felddienstuniform. Eigentlich Unsinn. Bei dem Getöse könnte ich es sowieso nicht benutzen. Mithilfe einer Klappleiter erklimme ich das lärmende Ungetüm und rutsche auf den Kommandantenplatz. Zu melden habe ich nichts. Die Kommandos gibt Jörn Bindig, dessen Kopf dick gepolstert aus der Fahrerluke schaut. „Wenn ich hupe, festhalten“, scheppert es aus den Kopfhörern, „dann fahr’ ich los. Und wenn Sie Angst kriegen, einfach melden.“ Es hupt. Ich umklammere den Lukendeckelrand. Die Maschine brüllt auf, speit Dieseldunst, ruckt an – dreizehn Tonnen Kampfgewicht setzen sich in Marsch.

Panzerfahrer von Berufung

Wenn sich Panzer in der Stadt zeigen, dann ist entweder Parade oder Krieg. Beides kommt hierzulande seit vielen Jahren nicht mehr vor. In Heidenau rollen die Kampfwagen trotzdem. Am Ufer der Müglitz, zwischen Ahorngesträuch und Birkengrün, hat ihnen der Gerüstbau-Unternehmer Jörn Bindig ein Reservat eingerichtet, 12 000 Quadratmeter groß, mit Kletterbergen, Talfahrten, engen Kurven und langen Geraden und, wenn es wie heute mal wieder geregnet hat, mit ganz viel Matsch.

Der Matsch fängt gleich jenseits des Betriebshofs an. Einst verklappte hier das Heidenauer Graugusswerk seinen Abfall. Nun arbeitet sich unser Stahlkoloss röhrend durchs zerfurchte Terrain. Es ist ein BMP 1, ein Schützenpanzer sowjetischer Bauart. Jörn Bindig hat ihn vor etwa zwei Jahren in Tschechien aufgelesen. Mit gut einhundert Betriebsstunden ist das Gerät beinahe werksneu. Eingesetzt wurden die BMPs in den motorisierten Schützenregimentern des Warschauer Pakts, auch im Mot.-Schützenregiment 7 in Marienberg, wo Jörn Bindig einst diente. Wie man einen Panzer fährt, hat er erst gelernt, als er wieder Zivilist war, als die Leidenschaft für klirrende Ketten ihn ergriffen hatte.

Seinen ersten Panzer, einen sowjetischen T-34, erwarb Bindig Ende der 1990er-Jahre, irgendwo in der Gegend von Pilsen. Was er für das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg bezahlt hat, will er so genau nicht sagen. Heute jedenfalls werde ein restaurierter „34er“ für 150 000 oder 200 000 Euro gehandelt. In Deutschland gibt es noch etwa ein halbes Dutzend fahrbereite Exemplare, sagt Bindig. Für Filmregisseure ist sein Panzer ein willkommenes Requisit.

Heute besitzt Jörn Bindig rund ein Dutzend Gefechtsfahrzeuge. Die Oldtimer wie den T-34 schont er bis auf gelegentliche „Bewegungsfahrten“. Mit den neueren Modellen wie dem BMP kurvt er hingegen häufig über die alte Halde. Eine gute Methode, um Stress abzubauen, findet er. Und um Gaudi zu haben. Alle Jungs stehen doch auf große, schwere Fahrzeuge, sagt er, „das lässt sich nicht abstreiten.“ Allerdings sagt er auch, dass Panzer fahren nur dann Spaß macht, wenn keiner darauf schießt.

Nach ein paar zahmen Runden um den Aussichtshügel tritt Jörn Bindig aufs Gas. Mit vierzig, fünfzig Sachen treibt er den Schützenpanzer durch seine Privatprärie, an der Müglitz entlang und dann volle Pulle vorbei an der Malzfabrik, die Kanone voraus, Richtung Papierwerk gedreht. Ein paar Jungen, die bei der Autowerkstatt ihre vierrädrigen Schätzchen umstehen, spähen staunend nach dem nahenden Kettenvehikel. Sicher würden sie jetzt lieber in unsere Karosse steigen als in ihre eigene. Da hupt es wieder. „Achtung!“, plärrt der Funk, dann sackt der Panzer in ein Bodenwellental hinein.

Anfangs ging es Jörn Bindig bei seiner Panzerliebe um den Jux, um das Herumdüsen und die urige Technik. Doch schnell wurde ihm klar, dass er mit den ausrangierten Kampfmaschinen auch ein Stück Zeitgeschichte wieder lebendig machte, was nicht jedem gefiel. In Jüterbog, wo er mit den Panzern eine Art fahrendes Museum installieren wollte, stellten sich die Bürger quer. Auch als Bindig mit Firma und Panzern nach Heidenau zog, gab es erst mal Aufruhr. Die Polizei rückte an. „Die Leute dachten, der Krieg geht los.“

Für Kampfhandlungen sind die Fahrzeuge aber nicht zu gebrauchen. Amtlich demilitarisiert können sie keinen Schuss mehr abfeuern. Die Panzerung ist an neuralgischen Punkten durch dünnes Blech ersetzt. So könnte selbst ein Streifenpolizist mit seiner Dienstwaffe solch ein tonnenschweres Monstrum stoppen.

Nützlich sind die Panzer in Bindigs Augen, weil sie, anders als die Stücke im Museum, bei ihm in Funktion zu erleben sind. So lässt sich vorstellen, wie es den Soldaten damals ging, sagt er, denen, die darin saßen und denen, die davorstanden. Ein alter Herr, der einmal bei Bindig zu Besuch war, weinte, als der T-34 aus der Halle fuhr, nicht vor Freude, sagt Herr Bindig, sondern vor Angst. Der Mann hatte solche Panzer im Krieg auf sich zurollen sehen, hatte erlebt, wie Kameraden in ihren Schützenlöchern eingestampft wurden. Das Geräusch der rasselnden Ketten hatte er bis ins hohe Alter nicht vergessen können.

Auf und ab wogt unser Fahrzeug. Mein Klammergriff erlahmt langsam, die Hüfte scheuert am Lukenrand. Obwohl Jörn Bindig fleißig die Warnhupe drückt, werde ich diese Spazierfahrt womöglich mit blauen Flecken bezahlen. Später sagt er grinsend: Wären bei dieser Tour echte Soldaten an Bord gewesen, sie hätten ihm, dem Fahrer, wohl eine reingehauen.

Im Panzer mitfahren oder selber steuern: Panzerarena Heidenau, Naumannstraße 12, Tel.: 03529 529596 www.panzer-arena.de