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Kochen mit Big Chef

Mahlzeiten mit der Familie sind für manche Kinder eine Ausnahme. Die Christliche Initiative Bautzen will etwas tun dagegen – und erhielt von Lichtblick einen Herd.

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© Robert Michael

Von Christina Wittig-Tausch

Die Karotte ist hartnäckig. „Sie mag nicht klein geschnitten werden!“, ruft der 10-jährige Ron aus Bautzen. Der blonde, schmale Junge im gestreiften Sweatshirt steht am Küchentisch des Christlichen Zentrums Bautzen. Ron guckt auf den Haufen ungeschälter Möhren, der vor ihm liegt. Immer wieder nascht er von dem Gemüse, das er bereits geschnitten hat. Neben ihm steht Leon, elf Jahre. Leon kämpft mit Tränen – er hackt gerade Zwiebeln.

Es ist Dienstagnachmittag. Wie jede Woche außer in den Ferien findet im Christlichen Zentrum auf der Karl-Liebknecht-Straße der Kindernachmittag statt. Es herrscht ein ziemliches Gewusel in den Räumen des alten Bürogebäudes. 45 Kinder und Jugendliche sind in die freie christliche Gemeinde gekommen, manche mit Vater, Mutter oder Geschwistern. Die jüngsten sind zwei Jahre alt, die ältesten sind im Teenager-Alter, tragen Ringe oder Stecker in den Ohren und tippen gelegentlich auf ihren Handys herum. Fester Bestandteil des Nachmittags: Das Kochen, „und anschließend essen wir gemeinsam“, sagt Marko Trompler, einer der fünf ehrenamtlichen Betreuer des Nachmittags. Die gemeinsamen Rituale sind ihnen wichtig. Manche der Kinder und Jugendlichen stammen aus schwierigen Familienverhältnissen. Aus Lebensumständen, die von Arbeitslosigkeit geprägt sind, von Alkoholkrankheit oder von Trennungen, und manchmal fallen diese Dinge auch zusammen. Für manche der Kinder sind gemeinsames Kochen und gemeinsame Mahlzeiten mit der Familie nicht selbstverständlich.

Zu Beginn eines Nachmittags gibt es immer ein Programm, das die Ehrenamtlichen gestalten. Marko Trompler ist Apotheker und hat das Glück, das ihm sein Arbeitgeber einen freien Nachmittag gibt. Seine Frau Tabitha, die mit ihm die Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde verantwortet, ist in Elternzeit. Danach teilen sich die Kinder in betreute Gruppen auf, spielen oder basteln. Eine kleine Gruppe, die jede Woche wechselt, geht mit in die Küche.

Leon hat endlich zu seiner Erleichterung den Berg Zwiebeln bewältigt. Er schichtet mit Ron und der zehnjährigen Neela Möhren und Mini- Tomaten auf Tabletts. Am Herd steht Grady Weedage, 58, kippt die Zwiebeln in einen Wok und rührt. Heute gibt es Hühnerfrikassee. Die Holländerin hat das Frikassee größtenteils zu Hause vorbereitet und eingefrostet mitgebracht, „sonst schaffen wir das heute nicht in der kurzen Zeit“. Grady Weedage lebt seit 1990 in Bautzen. Sie und ihre Familie wurden von ihrer Gemeinde geschickt, um christliche Gemeinden aufzubauen. Deshalb wird der Kindernachmittag manchmal als „Hollies“ bezeichnet.

IIn den ersten Jahren hatte die Gemeinde kein eigenes, ausreichend großes Domizil, also fuhren die Holländer und die deutschen Gemeindemitglieder dahin, wo sie glaubten, gebraucht zu werden. Im Neubauviertel Gesundbrunnen boten sie beispielsweise Sport und Fußball in einer Turnhalle an und brachten immer auch ein Picknick mit. „Da haben wir gemerkt, dass Kinder zu uns kamen, die an dem Tag noch keine ordentliche Mahlzeit gegessen hatten“, erzählt Tabitha Trompler.

Als das Christliche Zentrum vor knapp zehn Jahren das Domizil auf der Liebknecht-Straße übernahm, war von Anfang an klar, dass Kochen und Essen fester Bestandteil der Kinder- und Jugendarbeit sein würden. Die Kinder, die vorwiegend aus dem Gesundbrunnen kommen, werden abgeholt und wieder nach Hause gefahren. Da die Gemeinde keine Kirchensteuereinnahmen hat, sondern von Spenden und von Beiträgen ihrer Mitglieder finanziert wird, gehen Sanierung und Einrichtung nur schrittweise. Groß war die Freude, als eine gebrauchte Einbauküche günstig gekauft werden konnte – und als vergangenes Jahr zu Weihnachten die Stiftung Lichtblick das Geld für einen ordentlichen Herd gab. „Dafür sind wir richtig, richtig dankbar“, sagt Grady Weedage. Der neue Herd heißt „Big Chef“ und ermöglicht es mit seinen fünf Kochstellen und dem großen Backofen, schnell für viele Menschen zu kochen. Außer an den Kindernachmittagen ist er auch Freitagabend im Einsatz, wenn sich die Teenager treffen. „Denn es war schnell klar, dass wir den Älteren ein eigenes Angebot machen müssen“, sagt Tabitha Trompler. Beim Kochen und Essen wird viel geredet, und manchmal wird so ein Gespräch zur Lebensberatung.

Manche der Kinder und Jugendlichen kommen schon seit Jahren. „Es ist uns wichtig, den Kindern was mit auf den Weg zu geben“, sagt Trompler. Dass sie wichtig sind, angenommen werden. Wie schön und erleichternd eine gute Gemeinschaft sein kann. Dass der Glaube an Gott ein Halt sein kann. „Es wird momentan viel gebaut überall“, meint Marko Trompler, „aber es gibt kaum öffentliche Räume und Gelegenheiten, Gemeinschaft zu erleben, miteinander zu reden. Familienfreundlichkeit kann ja nicht nur darin bestehen, im Schuhladen Zeichentrickfilme zu zeigen.“

In der Küche duftet es nach gebratenen Zwiebeln und Knoblauch. Eins der älteren Mädchen kommt herein: „Krieg ich eine Tomate? Ich hab soo Hunger!“ Nach ihr kommen die größeren Jungs und fragen, wann es Essen gibt. „Wisst ihr was? Ihr deckt jetzt mal bitte den Tisch“, ruft Grady Weedage. Die Jungs murren ein bisschen, gehen aber los. Leon und Ron flitzen hinterher und tragen das klein geschnippelte Gemüse in den Essraum. Dort stehen lauter Tische und Stühle, wie sie in Klassenräumen genutzt werden. „Auch das waren Spenden“, sagt Marko Trompler.

Er gibt schließlich das Signal, dass das Essen fertig ist. Aus allen Räumen kommen die Kinder und Jugendlichen angeschossen und stürmen in den Essraum. Was übrig bleibt, wird nicht weggeworfen, sondern einigen der Kinder mitgegeben. Heute nehmen die Geschwister einer Großfamilie etwas Essen mit. Der Rest der Familie freut sich ebenfalls über eine warme Mahlzeit.