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Kinder- und Jugendpsychiatrie fehlen Ärzte

Bei psychischen Auffälligkeiten ist eine schnelle Therapie sehr wichtig. Doch oft gibt es lange Wartezeiten.

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© picture alliance / dpa

Von Jörg Schurig

Dresden. Ohne Angst kann Herr M. nicht an seinen Sohn denken. Der 16-jährige Robert ist vom Weg abgekommen, den sich Eltern für ihre Kinder wünschen. Er nimmt Drogen und zieht sich in seine eigene Welt zurück, hat zudem irgendwann einen Waschzwang entwickelt. Dem Vater wurde klar, dass nur eine ärztliche Behandlung und Therapie das Problem lösen könnte. Für den 1. Februar hatte er einen Termin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Arnsdorf bei Dresden. Doch kurz zuvor sagte ihm die Klinik ab. „Man sprach von akutem Ärztemangel. Seither sitzen wir auf dem Trockenen“, so der 47-Jährige.

Robert ist kein Einzelfall. Nicht nur die Klinik in Arnsdorf weist Patienten ab und schickt sie in andere Einrichtungen. Auch dort sind die Terminbücher voll. Dem Gesundheitsministerium ist das Problem seit Langem bekannt, Lösungen hat es aber nicht. Die Versorgungslage bei der Kinder - und Jugendpsychiatrie (KJP) wird als „angespannt“ beschrieben. In Kliniken drohten Versorgungsengpässe, weil offene Stellen mit Fachärzten nicht besetzt werden können. „Die psychiatrischen Fächer gehören zu den Fachgebieten mit dem höchsten Ärztemangel, der sowohl in den psychiatrischen Fachabteilungen wie auch im niedergelassenen Bereich spürbar ist“, heißt es.

Im Dezember hatten sich die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte aus dieser Fachrichtung in einem offenen Brief an das sächsische Gesundheitsministerium gewandt. Man sehe die Entwicklung „mit großer Sorge und Beunruhigung“, schrieben die Experten. In den drei Kliniken in Arnsdorf, Rodewisch und Mittweida/Chemnitz gebe es inzwischen nur noch ein eingeschränktes Versorgungsangebot. Eltern berichten von fatalen Folgen: Sie würden wie Bettler von Klinik zu Klinik geschickt und bekommen Termine mit monatelangen Wartezeiten, hört man immer wieder.

In den betroffenen Einrichtungen will man sich damit nicht abfinden. Die KJP müsse wie in anderen Ländern auch in Sachsen zur Chefsache erklärte werden, heißt es. „Nur wenn zusätzliche Stellen in den wenigen Kliniken mit genügend Bewerbern geschaffen werden, werden sich mehr Ärzte für eine Ausbildung in dem Fach entscheiden“, sagt Veit Roessner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Dresdner Uniklinikum. Zudem müssten ausreichend Zeitkontingente und Mittel zur Verfügung gestellt werden, die das Arbeiten in den Kliniken attraktiver machen. Ein Beispiel seien Weiterbildungs- oder Forschungsverbünde, die die Ärzte an den verschiedenen Kliniken regelmäßig vernetzen und motivieren.

Die Bewerbersituation in der KJP hat sich in den letzten Jahren immer weiter zugespitzt. Im Vergleich mit Chirurgen oder Radiologen werden Jugendpsychiater viel schlechter bezahlt. Der Beruf brauche dringend eine Aufwertung, betonen Fachleute. Auch im Studium, wo Kinder- und Jugendpsychiatrie kein Pflichtprüfungsfach ist.

Der Eindruck, dass immer mehr Kinder und Jugendliche als Folge des sozialen Wandels in die Psychiatrie müssen, lässt sich nach Angaben des Gesundheitsministeriums nicht belegen. Allerdings stellt man hier zwei Tendenzen fest: Die ärztliche und psychotherapeutische Kompetenz bei Diagnose und Behandlung hätte sich in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt.

Herr M. wünscht sich nichts sehnlicher als Hilfe für seinen Sohn. Er ist überzeugt, dass sein Sohn professionelle Hilfe braucht: „Nur bald muss sie kommen, sonst ist es vielleicht zu spät.“ (dpa)