Merken

Kinder-Reich

Neschwitz im Kreis Bautzen hält Sachsens Geburtenrekord. Was hat das Dorf, das andere nicht haben?

Teilen
Folgen

Von Jana Ulbrich

Liam lebt im Paradies. Das ist groß und grün und weitläufig und trägt den Namen Neschwitz. Liam – gerade ein Jahr alt geworden – hat hier alles, was er braucht, sagt seine Mama: Platz zum Spielen, einen Platz in der Kinderkrippe und vor allem viele Spielgefährten. 37 Spielgefährten in seinem Alter ganz genau genommen. So viele Kinder sind in Neschwitz und seinen Ortsteilen letztes Jahr geboren. Das ist Rekord. Nicht nur in der Gemeinde selbst, sondern sogar im ganzen Land. Statistisch gesehen kommen im 2012er Jahrgang in Neschwitz 15,5 Kinder auf 1 000 Einwohner. Das ist die mit Abstand höchste Geburtenrate in ganz Sachsen – fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt, rund dreimal so hoch wie in Cunewalde oder Hoyerswerda.

Anja Melde lacht und hebt Liam schwungvoll auf den Arm. Wie jeden Nachmittag holt die 35-Jährige ihren kleinen Sohn und seinen großen Bruder Linus in der Neschwitzer Kindertagesstätte ab. Ja, sagt sie, die vielen Kinderwagen im Ort, die sind ihr schon aufgefallen. Aber nein, ein Zufall ist das bestimmt nicht. „Das Leben hier ist für Kinder wirklich paradiesisch – so viel Freiheit und so viel Freundlichkeit, das erlebt man selten“, sagt sie.

Anja Melde und ihr Mann sind extra wegen der Kinder vor ein paar Jahren von Bautzen nach Neschwitz gezogen. Die junge Familie wohnt im alten Gutshof im Ortsteil Luga. Viele junge Familien leben dort. „Es ist herrlich“, schwärmt Anja Melde. Linus und Liam haben auf dem Gehöft viele Spielgefährten. Sie haben einen schönen Park, viel Platz zum Toben und sogar einen eigenen kleinen Spielplatz mit Wippe, Schaukel und Holzpferd vorm Haus. Mehrere Eltern haben ihn zusammen gebaut. Zwar muss noch vieles an den Gebäuden des alten Gutshofs saniert werden, aber das ist zweitrangig für die jungen Bewohner. „Wichtig ist doch, dass wir hier einen Ort zum Wohlfühlen haben“, sagt Anja Melde und zieht dem kleinen Liam die Schuhe an.

In der Neschwitzer Kindertagesstätte ist schon Frühling. An den Fensterscheiben wachsen Tulpen und Schneeglöckchen aus Papier. Linus, der Fünfjährige, hat aus bunten Steckblümchen ein schönes Beet zusammengesetzt. Stolz zeigt er es beim Abholen seiner Mama. Er kann jetzt auch „Immer wieder kommt ein neuer Frühling“ singen. Die Kinder haben das Lied heute zusammen gelernt.

Kita-Leiterin Silvana Sauer freut und sorgt sich zugleich ob des neuen Neschwitzer Babybooms. Die DRK-Tagesstätte „Max und Moritz“, die einzige in Neschwitz, platzt mittlerweile aus allen Nähten: 187 Kinder werden hier zurzeit in Krippe, Kindergarten und Hort betreut. Vor allem die Krippe soll jetzt schnellstmöglich um sechs Plätze erweitert werden. Das ist schon lange beantragt. „Wir wollen ja keinem absagen müssen“, erklärt die Leiterin.

Bürgermeister Gerd Schuster hatte wohl schon vor Jahren den richtigen Riecher. Der 44-Jährige wollte die Schwarzmalerei von Abwanderung und Überalterung nicht hinnehmen. Allen Befürchtungen zum Trotz hat Neschwitz – statt die alte zu sanieren – eine neue Grundschule gebaut. 500 Gäste waren 2009 zur Eröffnung da. Und jetzt läuft die Schule in der 2 500-Einwohner-Gemeinde sogar zweizügig. Gut gelaunt sitzt der Bürgermeister in seinem großen Schreibtischsessel und freut sich, dass sogar die Leipziger Volkszeitung bei ihm angerufen hat. Dabei hält der freundliche, füllige Mann im Grunde nicht besonders viel von Statistiken. Aber das mit der höchsten Geburtenrate Sachsens, das kann ein Gemeindeoberhaupt schon mal stolz machen. Schließlich hat die Gemeinde ja auch viel dafür getan, dass Neschwitz so ein lebenswerter Ort für junge Familien geworden ist.

Jeder, der hier durchfährt, kann das sehen: Schmucke Einfamilienhäuser und schön sanierte Höfe, wo man auch hinschaut. Intakte Straßen und alle Einrichtungen, die man braucht, in der Nähe: Lebensmittelmarkt, Bäcker, Fleischer, Arzt, Apotheke. Und die Arbeitsplätze in Bautzen oder Dresden in akzeptabler Reichweite. Was will man mehr? Die Kita-Gebühren in Neschwitz sind niedrig im Vergleich mit denen vieler umliegender Gemeinden. Und ganz besonders wichtig, sagt der Bürgermeister, sei der dörfliche Zusammenhalt im Ort. Und erst das Vereinsleben. Das ist wirklich einmalig, schwärmt der Bürgermeister. Der Sportverein, die Heimatfreunde, die Feuerwehr oder der rührige Jugendklub in Luga – auch das alles macht ein intaktes Dorfleben aus.

Und auch diesen schönen Trend hat der Bürgermeister in den letzten Jahren festgestellt: „Viele Kinder sind nach der Wende weggezogen – und jetzt kommen die Enkel wieder und sanieren die Häuser.“ Und kriegen Kinder. Oberlausitzer sind bodenständig. Auch das kann man in Dörfern wie Neschwitz immer wieder spüren. Linus und Liam winken der Kindergärtnerin zum Abschied. Anja Melde schnallt die beiden auf die Kindersitze. Zu Hause warten schon die anderen Spielgefährten.

Wie familienfreundlich ist es in Ihrem Ort? Machen Sie mit bei der großen SZ-Umfrage. Unseren Fragebogen finden Sie im Internet: sz-link.de/familie