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Killerkrebse in der Elbe

Vor Radebeul untersuchen Wissenschaftler, welchen Schaden ein eingewanderter Flussbewohner anrichtet.

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© Udo Rose

Von Ulrike Keller

Sonderbare Plastikflöße treiben bei Radebeul-Serkowitz in der Elbe. Drei kleine Forschungsstationen sind es, die einem Wesen mit zweifelhaftem Leumund nachgehen. Einem Krebs. Im englischsprachigen Raum „killer shrimp“ genannt. Dieser zwei bis drei Zentimeter große Killerkrebs steht in dem Ruf, besonders räuberisch zu leben. Deutlich räuberischer als Bachflohkrebse, seine einheimischen Verwandten. Als eingewanderte Art stellt der Große Höckerflohkrebs, wie der Killerkrebs hierzulande heißt, damit womöglich eine Gefahr für den Fortbestand einheimischer Arten dar. Im Rhein soll er bereits viel Schaden angerichtet haben. Soll. Beweisen konnten das die Wissenschaftler bislang nicht.

„Der Rhein ist dominiert von eingewanderten Arten“, sagt Projektleiterin Carola Winkelmann von der Universität Koblenz-Landau. Die gebürtige Dresdnerin vergleicht: „In der Elbe gibt es ein paar eingewanderte, aber sehr viele einheimische Arten.“ Deshalb findet das Experiment in Rhein und Elbe statt. Um beide Gewässer gegenüberzustellen. Jedes Plastikfloß enthält in der Mitte drei Rinnen. Durch diese fließt Elbwasser. Darin hängen Körbe, die mit Steinen vom Grund befüllt sind. Sie wurden als leer stehende Wohnungen für tierische und pflanzliche Bewohner geschaffen. „Damit haben wir die Elbe ein Stück hochgeholt“, veranschaulicht die Biologin vom Koblenzer Institut für Integrierte Naturwissenschaften.

Im nächsten Schritt wurde die Anzahl der Großen Höckerflohkrebse künstlich verändert. In einer Rinne hat man es beim normalen Bestand belassen, in einer wurden alle Killerkrebse herausgelesen, und in der dritten Rinne wurden die nebenan herausgenommenen Tiere dazugegeben. Nun ist die spannende Frage, was passiert. Für den Menschen sind die dunkelweißen Flussbewohner ungefährlich. Doch wie wirkt sich ihre Zahl auf das Vorkommen anderer Arten aus? Werden einheimische Tiere seltener oder verschwinden gar, weil sie ins Beuteschema des Krebses fallen? Danach hat es bisher ausgesehen. Sowohl im Rhein als auch im Labor wurde beobachtet, dass er neben Pflanzenresten größere Mengen eines anderen eingewanderten Flohkrebses frisst.

Verwunderlicherweise scheint er sich jedoch in der Elbe vor allem von Dreck und Blättern zu ernähren. Erste Ergebnisse zeigen Carola Winkelmann zufolge, dass er hier vermutlich nicht als großer Räuber auftritt, sondern als „vegetarischer Killerkrebs“. Eine mögliche Erklärung: „Das könnte darauf hinweisen, dass dieser Einwanderer ein sehr breites Verhaltensrepertoire hat“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Die Tiere könnten sich also je nach Umgebung und Umweltbedingungen sehr verschieden ernähren.“

Woran das liegt, ist noch nicht bekannt. Und auch ansonsten gibt es zahlreiche offene Fragen. Etwa die, wie der Killerkrebs vom Schwarzen Meer in hiesige Gewässer einwandern konnte. Eine Annahme ist, so Carola Winkelmann, dass es mit dem zunehmenden Schiffsgüterverkehr zusammenhängt. Andere Stimmen halten die Öffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals für ursächlich.

Doch man könnte es auch ganz anders betrachten: „In der Eiszeit sind alle Krebse bei uns ausgestorben“, erzählt die Wissenschaftlerin. „Es ist ein natürliches Phänomen, dass es lange dauert, bis Krebse wiederkommen.“ Ebenfalls unklar bleibt, weshalb die Folgen des Krebses in der Elbe bei Weitem nicht so drastisch zu sein scheinen, wie geglaubt wurde. Möglich wäre, dass sich der Große Höckerflohkrebs in den Rinnen anders verhält als in Freiheit.

Die Ergebnisse der nächsten Wochen sollen etwas Licht ins Dunkel bringen. Teil eins des Experiments liegt bereits vor. Er fand im Herbst 2012 statt. Doch zu jedem Experiment gehört eine Wiederholung. Die war für Frühjahr 2013 geplant, wurde jedoch durchs Hochwasser vereitelt. Alle Plattformen wurden weggespült, konnten jedoch Kilometer entfernt unbeschadet wieder eingesammelt werden. Nun hofft Carola Winkelmann, dass diesmal bis Ende Juni nichts dazwischen kommt.