Merken

Freiheit für Stefan Arzberger

15 Monate durfte der Leipziger Geiger die USA nicht verlassen und wartete in New York auf seinen Strafprozess. Den wird es nicht geben. Trotzdem will er noch bleiben

Teilen
Folgen

Stefan Becker

Der Albtraum hat doch noch ein Ende: „Von allen wesentlichen Vorwürfen entlastet, ohne Auflagen oder Strafen, ich bin wieder ein freier Mann“, beschreibt Stefan Arzberger gewohnt nüchtern seine Situation gegenüber der Sächsischen Zeitung. Die genau das Gegenteil dessen darstellt, was den Geiger aus Leipzig über 15 Monate wie ein böser Fluch durch die Straßen von New York begleitete: eine mögliche Anklage wegen vorsätzlichen versuchten Mordes. Doch die gehört jetzt der Justiz-Geschichte an.

Zwölf Tage habe es gedauert, bis seine Anwälte und die Vertreter der Staatsanwaltschaft eine Einigung getroffen hätten, erzählt der Musiker. Offiziell sollten sich Anklage und Verteidigung erst wieder am 10. August vor dem Richter treffen, doch nach einem Deal zwischen den Parteien ist der Termin nun hinfällig: Wie Arzberger in einer E-Mail an seine Unterstützer mitteilte, habe er auf Anraten seiner Juristen dem Gericht gegenüber eine geringe Teilschuld eingeräumt. Im Gegenzug erhielt er seinen Pass zurück und damit seine Freiheit.

Ode an die Freude

„Wir haben gejubelt, das können Sie sich wohl denken“, erzählt Rainer Ohler am Donnerstagmorgen zwischen zwei Terminen. Der Kommunikationschef von Airbus gehört zu den offiziellen Unterstützern des Musikers, die seit Beginn des Dramas im März 2015 Geld sammeln für den Freund, den Kollegen oder einfach den geschätzten Künstler. Auf ihrer Homepage beleuchteten sie den bizarren Fall von allen Seiten, baten Fachleute zu Wort, warben um Hilfe und organisierten ein Benefizkonzert.

Von Anhörung zu Anhörung hofften die Helfer in Deutschland, dass Richter Ronald Zweibel vom New York State Supreme Court in Manhattan endlich eine Ansage zugunsten von Stefan Arzberger treffen würde, nachdem die Staatsanwaltschaft immer wieder die Präsentation eines psychologischen Gutachtens hinausgezögert hatte. Bis zum Schluss blieb die Behörde das Dokument schuldig und bot einen Deal an. Der Jurist Ohler interpretiert den darin vereinbarten Tatbestand als das Eingeständnis eines fahrlässigen Vergehens, im speziellen Fall vergleichbar mit ungebührlichem Verhalten.

Am liebsten würden Familie und Freunde den Musiker natürlich schon morgen auf dem Flughafen in Leipzig begrüßen, doch müssen sich wohl alle noch bis Ende Juli gedulden. „Zum einen bleibe ich noch in New York wegen der Zivilklage von Frau Robinson – da stehen noch Befragungen durch die Anwälte aus, und zum anderen möchte ich noch mit einem Immigration-Anwalt meinen Status klären. Weil ich mit dem Gesetz in Konflikt geraten bin, könnte mir ein Einreiseverbot von mehreren Jahren drohen“, erklärt Arzberger seinen diesmal freiwilligen Aufenthalt in New York.

Wie es genau dazu kam, dass die damals 64-jährige Pam Robinson aus einer Kleinstadt in North Carolina in den Würgegriff des Geigers geriet, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Das Drama ereignete sich vom 26. auf den 27. März 2015. In der Nacht machte der Musiker wahrscheinlich die Bekanntschaft mit K.o.-Tropfen, wurde auf seinem Hotelzimmer von einem Transvestiten ausgeraubt, geisterte nackt und verstört durch die Gänge der Herberge und würgte laut Zeugenaussagen schließlich eine ihm völlig fremde Frau. Seinen eigenen Erinnerungen zufolge kam er erst wieder zu Bewusstsein, nachdem die Polizei ihn auf seinem Zimmer fixiert hatte, ohne ihm seine Rechte vorzulesen.

Alter Fall schafft neue Fakten

Nach der Festnahme verzichtete der Richter sowohl auf eine Blutprobe als auch auf einen Drogentest bei Arzberger. Zwar pochten seine Anwälte auf die Sicherstellung des liquiden Beweismittels, liefen mit ihrem Begehren allerdings ins Leere. Doch die renommierten Strafverteidiger Nicholas Kaizer und Richard Levitt ließen sich nicht beirren, bewogen die Ankläger anhand eines über 40 Jahre alten Falles zu einer Neubewertung und handelten schließlich im Sinne ihres Mandaten den Deal aus.

In den nächsten Tagen wollen Arzberger und seine Unterstützer überlegen, wie es mit welchen Aktionen weitergeht. Jetzt kann sich der Musiker in Ruhe von den Helfern vor Ort verabschieden, die ihm stets ein Obdach gewährten und an den verbleibenden Sonntagen in der St. Pauls Kirche musizieren: Pfarrerin Miriam Groß freut sich mit ihrem Gast-Geiger über den glimpflichen Ausgang des monatelangen Anhörungs-Marathons, auch wenn die Gemeinde seine Auftritte vermissen wird.