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Kein Mindestlohn für Milchkühe

Der Milchpreis deckt die Kosten der Landwirte schon lange nicht mehr. Die ersten Bauern geben auf.

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© Steffen Unger

Von Jana Ulbrich

Der große Stall ist schon halb leer. Der Verkauf der Milchkühe läuft reibungslos. Mario Voigt kann kaum hinsehen. „Die Kühe waren doch mal unsere Existenz“, sagt der Chef der Geißmannsdorfer Agrar GmbH leise. Er steht mit den Händen in den Taschen und versteht die Welt nicht mehr. Er hat lange mit sich gerungen bis zu dieser endgültigen Entscheidung. Sehr lange. Jetzt ist sie gefallen: Die Geißmannsdorfer Agrar GmbH schafft ihre Milchkühe ab!

210 Kühe standen bis vor Kurzem im großen Stall. 5 000 Liter Milch haben sie gegeben jeden Tag, 150 000 Liter im Monat. Um die 27 Cent hat der Landwirtschaftsbetrieb zuletzt für einen Liter bekommen. Das ist – wenn man das so sagen will – weit, weit unter dem erforderlichen Mindestlohn. Es ist viel zu wenig, um auch nur einen Cent zu verdienen, es reicht nicht einmal, um auch nur annähernd die Kosten zu decken. „An die fünf Cent haben wir an jedem Liter zugesetzt“, sagt Mario Voigt. „Und das geht ja das ganze Jahr schon so. So kann doch kein Betrieb überleben.“

Mario Voigt erzählt von Kollegen, die vor zwei, drei Jahren, als es für Milch noch redliches Geld gab, in neue, modernere Ställe und neue teure Melktechnik investiert haben, auf denen jetzt auch noch hohe Kredite lasten. Manfred Uhlemann, der Vorsitzende des Sächsischen Landesbauernverbandes,  bestätigt das. Er geht sogar davon aus, dass die Milchbauern im Durchschnitt zehn Cent auf jeden Liter Milch zulegen, um die eigenen Kosten zu decken. Die Erzeugerpreise sind für die Milchbauern existenzgefährdend, heißt es beim Landesbauernverband. Und die Politik sei jetzt gefragt. Es ist bekannt, dass im letzten Jahr mindestens acht Landwirtschaftsbetriebe aufgrund des anhaltend schlechten Milchpreises ihre Produktion vollständig eingestellt haben. Es könnten aber auch noch mehr sein, sagt Juliane Bergmann, die Fachfrau für die Milchwirtschaft. Eine genauere Erhebung gibt es nicht. Die Geißmannsdorfer Agrar GmbH ist da auch noch nicht mitgezählt.

Der Betrieb produziert ja auch weiter. Nur eben keine Milch mehr. Stattdessen Strom und Wärme. „Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, dass die Biogasanlage mal unser stabilster Faktor wird“, sagt Mario Voigt, „ich hätte ihm einen Vogel gezeigt.“ Der Landwirt schüttelt den Kopf. „Da muss man sich schon fragen, wie viel die Landwirtschaft heute überhaupt noch wert ist.“

Der Wert wird vom Weltmarkt bestimmt. Egal ob Getreide, Milch oder Fleisch – alles gibt es gegenwärtig im Überfluss. Wer verkaufen will, muss billige Preise bieten. Mario Voigt kann den Sarkasmus in seiner Stimme nicht verbergen: „Unsere Milch ist nichts mehr wert – und unsere Kühe sind es auch nicht.“ Keine 1 000 Euro bekommt er mehr für eine leistungsstarke Milchkuh. Auch mit dem Verkauf wird der Betrieb wohl Verlust machen. „Es hat für uns keine Alternative gegeben“, sagt der 44-Jährige. Der Betrieb hätte jetzt dringend investieren müssen in Stall und Melktechnik, die langsam veraltet und verschlissen sind. Aber wer investiert denn jetzt in die Milchproduktion, für deren Überleben die Prognosen schlecht stehen? In der Branche erwartet niemand, dass sich der Milchpreis wieder auf ein für hiesige Landwirte auskömmliches Niveau einpegelt. Das müsste bei wenigstens 36, besser noch 37 Cent liegen. So viel haben die Milchbauern zuletzt vor mehr als anderthalb Jahren verdient. Seitdem fallen die Preise fast kontinuierlich. Beim Landesbauernverband hat man ausgerechnet, dass den sächsischen Milcherzeugern im letzten Jahr ein Verlust von 160 Millionen Euro entstanden ist.

Mario Voigt betrachtet nachdenklich die nicht mal mehr 100 Kühe, die noch im Stall stehen. Auch, dass der langfristige Liefervertrag mit der Heinrichsthaler Molkerei in Radeberg gerade ausläuft, hat ihm die Entscheidung leichter gemacht. Ende und Aus. Aber ganz so einfach ist auch das nicht. Die guten und leistungsstarken konnte er an andere Milchbetriebe in der Region vermitteln, die alten und kränklichen landen auf dem Schlachthof. Die Kälber, die noch geboren werden, bleiben in Geißmannsdorf. Die Jungbullenmast soll erst einmal weiterlaufen. Es geht ja auch um die Mitarbeiter, sagt Mario Voigt.

Kündigungen sind das Schlimmste

Sieben seiner 17 Mitarbeiter muss er entlassen, alles gute Leute. „Das ist das Schlimmste“, sagt der 44-Jährige. „Es sind doch Leute aus dem Ort, Kollegen, von denen mancher hier schon seit mehr als 20 Jahren arbeitet“. Mario Voigt hat mit allen schon gesprochen. Er selbst hat sich an alle umliegenden Agrarbetriebe gewandt und versucht, wenigstens die jungen Mitarbeiter irgendwo anders unterzubringen. Einigen kann er das anbieten.

Den großen Stall wollen die Geißmannsdorfer irgendwie umnutzen. Die Pflanzenproduktion auf den 850 Hektar Ackerland läuft weiter. Und das Gras von den 250 Hektar Grünland wird in Zukunft eben an die Biogasanlage verfüttert. „Die ist ein zuverlässiger und vor allem stabiler Abnehmer“, sagt Mario Voigt. Die Bio-Energie, die die Agrargesellschaft nicht selbst verbrauchen kann, wird für gutes Geld ins öffentliche Netz eingespeist, die Abwärme als Heizwärme ans Bischofswerdaer Krankenhaus geliefert. Nach einer Statistik des Sächsischen Landesbauernverbands stehen gegenwärtig noch 190 000 Milchkühe in den Ställen des Freistaats – rund 2 500 weniger als noch 2014.