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Junge Ärzte für das Land

In den Dörfern fehlen Allgemeinmediziner. Nun lockt das Land mit Geld. Nicht der einzige Vorteil für eine solche Stelle.

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© Sven Ellger

Von Annechristin Bonß

Marvin kommt zu spät. Der Bus stand im Stau. So hat es nicht geklappt mit der halben Stunde vom sächsischen Schmiedeberg bis nach Dresden. Der 20-jährige Student genießt derzeit nicht die Ferien. Er pendelt, zwischen seiner kleinen Bude in Striesen, einer Arztpraxis im Erzgebirge und der elterlichen Wohnung in der Nachbargemeinde. Ein gutes Training für den Alltag in seinem künftigen Job. Marvin Verhees weiß genau, was er später machen will. Er wird Hausarzt, nicht irgendwo in der Stadt, sondern auf dem Land.

Der Student ist einer der Hoffnungsträger, mit denen das Land Sachsen derzeit versucht, den Ärztemangel im ländlichen Raum zu beheben. Ein deutschlandweites Problem. Bis 2020 wird es rund 7 000 Hausärzte weniger geben als bisher, schätzt die Kassenärztliche Vereinigung. Jeder vierte Haus- und Facharzt in Deutschland will seine Praxis in den kommenden fünf Jahren aufgeben. Mehr als jeder Zweite hat noch keinen Nachfolger für seine Praxis gefunden. Zwar gibt es Bemühungen, mehr Mediziner für den Einsatz als Hausarzt auf den Dörfern zu begeistern. So das Landärztegesetz, in dem finanzielle Anreize für diese Posten geschaffen werden. Doch die haben noch nicht richtig angeschlagen.

Sachsen setzt seit zwei Jahren an einem anderen Punkt an. Schon im ersten Semester sollen sich künftige Mediziner für einen Posten auf dem Land entscheiden. In einem Stipendium wird diese Entscheidung mit monatlich 1 000 Euro belohnt. Das Geld bekommen die Studenten maximal 75 Monate lang. Zurückzahlen müssen sie nichts. Das Geld reicht, um das Studium abzuschließen und die Facharztausbildung zu beginnen. 20 dieser Plätze gibt es. In den ersten beiden Jahrgängen wurden alle vergeben. 40 neue Landärzte wird es in den kommenden Jahren auf jeden Fall für Sachsens Dörfer geben.

Ein Job für die Menschen zu Hause

Marvin Verhees ist einer davon. Am ersten Tag seines Studiums hat er von dem Programm erfahren und sich beworben. „Ich wollte sowieso nach dem Studium wieder aufs Land“, sagt er. Er liebt seine Heimat, Schellerhau, ein kleines Dorf, das zu Altenberg gehört. Den Leuten dort will er etwas zurückgeben. Hier ist er aufgewachsen und hat erfahren, was Ärztemangel bedeutet. „Zum Kinderarzt mussten wir eine halbe Stunde mit dem Auto fahren“, sagt er und erinnert sich an die Gespräche mit alten Menschen in seiner Umgebung, die über weite Wege und das lange Warten auf Termine klagten.

Die Menschen in seiner Heimat könnten bald Marvins Patienten sein. Das Stipendium verpflichtet. So viele Monate, wie er das Geld bekommt, muss er auch als Hausarzt auf dem Land arbeiten. Entscheidet er sich doch noch anders, muss er das Geld zurückzahlen, plus Zinsen. Zudem müssen die Stipendiaten 24 Praktikumstage pro Jahr bei einem Landarzt absolvieren. So lernen sie die Arbeit kennen.

Dazu gehört weit mehr als Rezepte verschreiben und Puls messen. Marvin kann nun schon Blut abnehmen. Das lernen seine Kommilitonen erst ab dem fünften Semester. Er hat eine Kopfplatzwunde genäht und einen Blasenkatheter gewechselt. Und er war bei einer Leichenschau dabei. „Wenn jemand stirbt, muss so schnell wie möglich ein Arzt dazukommen“, sagt Marvin Verhees. „Auf dem Land ist der nächste Arzt eben der Hausarzt.“ Aber auch viel Papierkram am Feierabend sowie kilometerlange Fahrten zu den Hausbesuchen gehören zum Alltag eines Landarztes. Noch hat keines seiner Erlebnisse den Studenten von seinem Vorhaben abgebracht. Marvin Verhees hält sein Versprechen. „Ich werde Landarzt“, sagt er.

Die Arbeit macht ihm Spaß. Vorteile kennt er genug, auch wenn die Studenten neben ihm im Hörsaal lästern. „Ärzte auf dem Land kennen oft die ganze Familie über mehrere Generationen“, sagt er. Sie helfen nicht nur, sondern kennen die Geschichten der Menschen, von den Großeltern und von den Enkeln.

Der Reiz an der Heimat

Derzeit läuft die dritte Runde für das Stipendium. 17 der 20 Plätze sind vergeben. Für die restlichen drei dürfen sich nun erstmals auch Studenten höherer Semester bewerben. Marvin Verhees findet das gut. „Nicht alle Studenten wollen sich gleich im ersten Semester festlegen“, sagt er. Sein zwei Jahre älterer Bruder studiert ebenfalls Medizin. Die beiden sind im gleichen Semester. Ab Oktober lernen sie die Fachbereiche kennen: Radiologie, Pharmakologie, Kinderchirurgie. Viele künftige Mediziner entscheiden erst dann, was ihnen Spaß macht und in welche Richtung sie sich spezialisieren. So auch Marvins Bruder. „Landarzt will er nicht werden“, sagt der Student.

Er selbst hat dafür schon einen konkreten Plan. Vier Jahre lang dauert sein Studium noch, weitere drei die Facharztausbildung. Dann sollte in seiner Heimat eine Arztpraxis frei sein. Schon jetzt sind in der Region viele Praxen unbesetzt. Viele Ärzte haben bis zu 40 Prozent mehr Patienten, als sie betreuen können. Marvin Verhees freut sich auf die Selbstständigkeit. Das Startkapital spart er schon jetzt, von dem Geld, was monatlich übrig bleibt. Und er freut sich auf die Rückkehr in die Heimat. Auch wenn das Studentenleben in der Stadt ebenfalls seine Reize hat. „Ich hab‘ das Gefühl, das passt.“