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„Jetzt können wir endlich umsiedeln“

Jahrelang bangen die Menschen in der Lausitz um ihre Dörfer. Nun haben sie zumindest etwas Gewissheit. Manche müssen gehen, andere können bleiben.

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© dpa

Miriam Schönbach und Christiane Raatz

Mühlrose/Mulkwitz. Von Fern ist das Klappern der riesigen Bagger zu hören, in der Luft hängt Braunkohlestaub. Mühlrose, ein 200-Seelen-Dorf am Rande des sächsischen Tagebaus Nochten, lebt seit Jahren mit der Kohle. Lange schon sitzen die Bewohner auf gepackten Koffern, während der Tagebau Tag für Tag näher rückt. In einem der Grundstücke steht ein großes Transparent: „50 Jahre war Kohle unser Leben, wir haben Freunde, Wälder, Straßen hergegeben. Haltet endlich euer Wort, lasst uns zum neuen Heimatort“.

Eigentlich sollten rund 1 700 Menschen in der Region der Braunkohle weichen, die Verträge mit den Umsiedlern hatte Vattenfall bereits fertig verhandelt - aber nicht unterschrieben. Seitdem der Energiekonzern 2014 ankündigte, seine Braunkohlesparte in der Lausitz zu verkaufen, herrschte Ungewissheit. Das ist nun vorbei.

Donnerstagabend verkündete der neue Betreiber Leag seine - im Vergleich zu Vattenfall - deutlich abgespeckten Pläne: Mühlrose muss der Kohle weichen, die Dörfer Mulkwitz und Rhone sowie Schleife-Süd, die ebenfalls umgesiedelt werden sollten, bleiben.

Am Tag nach der Leag-Entscheidung in Mühlrose: Dorfidylle. Irgendwo macht jemand Holz, ein Bauer füttert sein Zicklein. „Ist schon Mist“, sagt er. Claudia Paufler und Tochter Peggy Lunkenheimer genießen den Sonnenschein beim Spaziergang. „Zwei Drittel unseres Dorfs wurde schon in den 1970er Jahren weggebaggert. Jetzt können wir endlich umsiedeln“, sagt die ehemalige Ortsvorsteherin.

Paufler sieht nicht nur das schwindende Dorf. „Es ist ein Nehmen und Geben mit der Kohle“, sagt sie. Ein Großteil der Einwohner arbeitet bei der Leag. Die Mühlroser hätten nun endlich Sicherheit. Nun könnten sie alle gemeinsam in einen neuen Ort umziehen. Dazu gibt es bereits Pläne, am Ortsrand von Schleife sollen die Menschen ihr neues Zuhause aufbauen. Wie die Umsiedlung erfolgt, ist noch nicht klar. Da heißt es abwarten - allerdings mit Perspektive.

Auf diese hofft Tochter Peggy. Sie lebt mit ihrer Familie in Mühlheim an der Ruhr. „Wir wären geblieben, aber die Zukunft war uns zu ungewiss. Jetzt werden wir vielleicht zurückkehren.“ Einige Mühlroser sind bereits gegangen, andere werden das sorbische Dorf schweren Herzens verlassen. „Ich verspüre tiefe Trauer und Anteilnahme. Im Gedanken bin ich bei all denen, die dadurch einen Teil ihrer Heimat, Geschichte oder Identität verlieren“, sagt Domowina-Vorsitzender David Statnik. Im Bund Lausitzer Sorben sind über 7 000 Sorben organisiert. Für die Politik ist er der Ansprechpartner.

Beim Vorsitzenden des Domowina-Regionalverbands, Manfred Hermasch, gibt es ein Krisengespräch. „Eine Seelsorgerin kümmert sich heute um diese Leute.“ Die Briefe der Leag an die Einwohner liegen auf dem Tisch. Eigentlich seien es für Rohne und Mulkwitz gute Nachrichten, sagt Hermasch. Andere in der Lausitz, die Menschen in Welzow-Süd etwa, müssen weiter bangen. Die Entscheidung über einen Abbau will die Leag erst 2020 fällen.

Der Rohner Ortsvorsteher Matthias Jainsch sitzt gemeinsam mit Hermasch am Tisch. „Wir müssen jetzt sehen, wie wir die Zukunft für Rohne gestalten werden. Leichter wird es auf keinen Fall“, sagt er. Schließlich seien über Jahre kaum Gelder in die Region geflossen. Es herrscht Nachholebedarf beim Thema Gasanschluss, Abwasser und auch Internet. Auch das Bleiben braucht eine Strategie, zumal die Bagger erst kurz vor dem Dorf halt machen werden.

Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) kennt das Problem: „In den vergangenen Jahren sind bestimmte Infrastrukturmaßnahmen in den Braunkohlegebieten aufgeschoben wurden, da nicht klar war, wie es dort weitergeht. Diese Klarheit haben wir nun.“ Die Staatsregierung werde nun die Initiative ergreifen. Mit dem Thema werde sich das Kabinett am Dienstag in seiner Sitzung befassen.

Oberbürgermeister Torsten Pötzsch (Bürgerinitiative Klartext) aus dem sächsischen Weißwasser spricht von gemischten Gefühlen. Einerseits geeb es eine gewissen Planungssicherheit, andererseits stünden viele Einwohner aus den Dörfern, die abgebaggert werden sollten, vor einer neuen Situation. „Manche haben schon andere Grundstücke gekauft, nichts mehr an ihren Häusern gemacht.“ Auch an kommunalen Gebäuden gab es in jüngster Zeit kaum Investitionen, Straßen wurden nicht mehr saniert, weil sie ohnehin für den Tagebau verschwinden sollten.

Bis es mit der Braunkohle im Lausitzer Revier zu Ende geht, dauert es bis zu 25 Jahre, schätzt Pötzsch. Fest aber steht, der Strukturwandel kommt - und dafür ist ein Masterplan nötig. „Wir wollen weiter Druck machen und nicht die Hände in den Schoß legen“, sagt er. Seine Kollegin aus dem brandenburgischen Spremberg, Christine Herntier (parteilos), fordert die Bundesregierung zum Handeln auf. „Wir erwarten, dass sie die seit 2015 bereitstehenden vier mal vier Millionen Euro für den Strukturwandel endlich freigegeben werden.“

Für Braunkohlegegnerin Edith Penk aus Rohne ist es ein guter Tag. Jahrelang hat gegen die Umsiedlung ihres Ortes gekämpft - und freut sich über die neue Richtung des Bergbaubetreibers. „Ich habe heute Nacht zum ersten Mal wieder durchgeschlafen.“ Ihre Vorfahren leben seit 1700 rund um Rohne. „Das ist Heimat und jetzt auch Zukunft.“ (dpa)