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Internettempo zum Verzweifeln

Die Lücke zwischen Werbung und Realität ist in Sachsen vielerorts groß. Doch ab wann ist langsames Netz zu langsam?

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© Robert Michael

Von Andreas Rentsch

Gut ein halbes Jahr ist es her, dass Familie Meinel aus Radebeul in die Sächsische Schweiz umgezogen ist. Genauer gesagt nach Ottendorf, einen Ortsteil von Bahretal. „Netztechnisch sind wir damit in die Steinzeit katapultiert worden“, sagt Familienvater Gotthard Meinel. Der promovierte Geoinformatiker hat nachgemessen: Über Wochen hinweg lag die mittlere Datenrate des häuslichen DSL-Anschlusses bei 400 Kilobit pro Sekunde. Was das im Online-Alltag bedeutet, erklärt der 60-Jährige so: „Das Abrufen von E-Mails bricht ab, Internetseiten lassen sich nicht aufrufen.“ Von zu Hause aus arbeiten, wie er es in Radebeul gemacht hat, ist unmöglich. Auf dem Papier sollte der Tarif eigentlich bis zu 16 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) bieten.

Die Momentaufnahme stammt vom Morgen des 13.Oktober.
Die Momentaufnahme stammt vom Morgen des 13.Oktober.

Als Reaktion auf seine Beschwerden vermietete ihm die Telekom einen sogenannten Hybrid-Router. Das Gerät bündelt Bandbreiten aus Festnetz und LTE-Mobilfunk, um schnelleres Surfen zu ermöglichen. „Wir sind jetzt mit ein bis drei Mbit unterwegs und erreichen damit 50 Prozent des minimalen Sollwerts“, sagt Gotthard Meinel. Für Anschluss und Router-Miete bezahlt die Familie fast 45 Euro im Monat.

Tempo-Kollaps am Abend

Fälle wie diesen gibt es viele in Sachsen. Das zeigen Rückmeldungen von Lesern, die auf einen Aufruf der Sächsischen Zeitung reagiert haben. Oft klaffen beim häuslichen Internetanschluss beträchtliche Lücken zwischen Soll- und Ist-Tempo. Dies gilt für kleinere Kommunen und größere Städte, für nominell geringe Bandbreiten ebenso wie für hohe. So berichtet beispielsweise ein Dresdner Kabelinternet-Kunde mit 100-Mbit-Vertrag bei Vodafone, sein Anschluss erreiche maximal 25 Mbit/s. „Werktags zwischen 18 und 22 Uhr oder an Feiertagen kollabiert die Leitung aber auch mal.“ Dann liegen teilweise nur noch zweistellige Kilobit-Werte an.

Doch ab wann gilt ein Internetanschluss eigentlich als zu langsam? Darauf eine Antwort zu finden, ist nicht trivial. Die Bundesnetzagentur hat vor einigen Monaten konkretisiert, was sie unter einer „erheblichen, kontinuierlichen oder regelmäßig wiederkehrenden Geschwindigkeitsabweichung“ bei leitungsgebundenen Anschlüssen versteht. Demnach gilt eine Leistung als nicht vertragskonform, wenn einer der drei folgenden Fälle eintritt:

An zwei unterschiedlichen Messtagen werden jeweils nicht mindestens einmal 90 Prozent des versprochenen Maximaltempos erreicht.

Die normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit wird nicht in 90 Prozent der Messungen erreicht.

Das versprochene Mindesttempo wird an beiden Messtagen unterschritten.

Um valide Werte zu erhalten, seien 20 Messungen an zwei Tagen vonnöten, erklärt Michael Reifenberg von der Bundesnetzagentur. Zudem solle der Prüfvorgang nicht im WLAN, sondern per Kabelverbindung (LAN) erfolgen, um die Werte nicht zu verfälschen. Was als minimales, maximales und normalerweise verfügbares Download- oder Upload-Tempo gilt, müssen Anbieter vor Vertragsabschluss angeben. So sieht es die seit Juni geltende TK-Transparenzverordnung vor.

Jürgen Burkhardt aus Weißwasser hat seinen DSL-Vertrag seit 2008. Kürzlich hat er seinen Anschluss nach den Vorgaben der Behörde gemessen. Angesichts der dürftigen Werte habe er ein Schreiben an seinen Provider 1&1 aufgesetzt, sagt der Freiberufler. Die Beschwerde wegen mangelnder Vertragserfüllung sei aber versandet, sagt er. 1&1 sehe sich im Recht. Burkhardt zitiert aus der Antwort eines Kundendienstlers: „Wir stellen Ihnen immer die maximal verfügbare Bandbreite zur Verfügung, mit der ein dauerhaft stabiles DSL-Signal möglich ist. Dies haben wir Ihnen vertraglich zugesichert.“ Auf Nachfrage erklärt eine 1&1-Sprecherin, man habe bei einem Umzug im Jahr 2012 darauf hingewiesen, dass am neuen Wohnort nur eine Bandbreite von maximal 8,19 Mbit/s möglich sei, nicht aber das ursprünglich genannte Downloadtempo von bis zu 17,312 Mbit/s.

Verbraucherschützer raten beim Bandbreiten-Streit in der Regel dazu, dem Unternehmen zunächst eine Frist zur Nachbesserung zu setzen – und zu kündigen, falls diese ungenutzt verstreicht. „Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass eine außerordentliche Kündigung durch unzufriedene Verbraucher von den Unternehmen oft nicht akzeptiert wird“, sagt Stefanie Siegert von der Verbraucherzentrale Sachsen. Wird die Wirksamkeit der Kündigung bestritten, müssen Gerichte entscheiden, ob den Kunden dieses Recht zustand.

Bisher ergangene Urteile niederer Instanzen sehen ein außerordentliches Kündigungsrecht als gegeben an, wenn weniger als die Hälfte der vereinbarten Bandbreite beim Kunden ankommt. So entschied das Amtsgericht München 2014 im Sinne eines Nutzers, der dauerhaft nur mit sechs Mbit/s surfen konnte, obwohl ihm bis zu 18 Mbit/s in Aussicht gestellt worden waren (Aktenzeichen: 223 C 20760/14).

Jürgen Burkhardt müsste sich diese Mühe nicht machen. 1&1 hat inzwischen mitgeteilt, ihn vorfristig zu einem anderen Provider ziehen zu lassen. Doch die neue Freiheit nützt ihm nichts. „In unserer Straße ist keine andere Bandbreite verfügbar.“

Solche Probleme sind typisch im ländlichen Raum. Die Haushalte dort seien mehr oder weniger alternativlos an einen Anbieter gebunden, wenn sie DSL behalten möchten, sagt Stefanie Siegert. Stationäres Funk-Internet via LTE sieht längst nicht jeder als Ausweg. „Für die berufliche Nutzung ist das völlig inakzeptabel“, sagt Tino Bellmann, IT-Dienstleister aus dem erzgebirgischen Holzhau. Das Problem liege in den Volumenbegrenzungen vieler LTE-Tarife. Dazu kommt, dass das Mobilfunknetz der vierten Generation in manchen Regionen nicht gut genug ausgebaut ist.

Funkmast überlastet?

Pleißa, ein Ortsteil von Limbach-Oberfrohna, dürfte so ein Beispiel sein. Dort hofft Jochen Bonitz schon seit Jahren auf schnelleres Internet. Seit 2016 nutzt er den Hybrid-Tarif der Deutschen Telekom. Dass von „bis zu 50 Mbit/s“ im Mittel nur um die 20 ankamen – geschenkt. „Es war trotzdem wie ein Wunder.“ Seit Jahresbeginn jedoch seien die Datenraten stetig geschrumpft, sagt Bonitz. Teilweise liegen nun weniger als die zwei Mbit/s an, welche der rein leitungsgebundene Anschluss vorher bot. Möglicherweise ist ein nahe gelegener Sendemast überlastet. Auf Bonitz’ Beschwerden hin bot ihm der Konzern an, den Hybrid-Router zurückzugeben. Die Telekom hat sich trotz Nachfrage bisher nicht zu dem Fall geäußert.

Bis 2019 soll der Internetausbau in Limbach-Oberfrohna deutlich vorangekommen sein. Beim Ausbau in Pleißa setzt der Konzern hauptsächlich auf das sogenannte Vectoring. Dabei werden vorhandene Kupfernetze ertüchtigt. Einen zukunftsträchtigen Glasfaseranschluss wird es für Jochen Bonitz aber vorerst nicht geben. Sein sarkastisches Fazit: „Wir leben in einem Entwicklungsland.“

www.breitbandmessung.de

Die Tempomatrix in der Grafik zeigt, welche Datenraten es für ausgewählte Anwendungen in etwa braucht.