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In den Mühlen der Justiz

Seit drei Jahren kämpft die Zittauer Unternehmerin Steffi Braun um eine offene Rechnung über 67 Euro – bisher ohne Erfolg.

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© Rafael Sampedro

Von Thomas Mielke

Zittau. Steffi Braun kämpft mit einem Fall, wie er Unternehmer vermutlich häufig trifft. Die Inhaberin des Sanitätshauses in der Zittauer Johannisstraße hat einem Kunden Ware verkauft, der nicht zahlt.

Frau Brauns Sanitätshaus hat einem Zittauer im Januar 2014 ein Hilfsmittel auf dessen Bedürfnisse zugeschnitten, das er vom Arzt verschrieben bekam, und ihm im Februar übergeben. Weil er Privatpatient ist, muss er die Rechnung in Höhe von 117,40 Euro vorstrecken, bekommt sie aber von der Krankenkasse wieder.

Nach einer ersten Mahnung im März vereinbaren beide Seiten telefonisch eine Ratenzahlung. Tatsächlich überweist der Mann danach zwei Raten a 25 Euro. Dann stellt er die Zahlung ein, erkennt die Forderung auch nach einer zweiten Mahnung und einem Gespräch an seiner Haustür im August nicht mehr an, will stattdessen die Ware zurückbringen und die angezahlte Summe zurück.

Steffi Braun sieht sich keinen anderen Rat und klagt die offenen 67,40 Euro als Zivilsache beim Amtsgericht Zittau ein. Am 25. September 2014 bestätigt ihr das Gericht, dass es losgehen kann und weist sie an, ihre Forderung zu begründen. Damit sie nichts falsch macht, geht Steffi Braun eigenen Angaben zufolge selbst zum Gericht und gibt ihre Aussage zu Protokoll. Die abgeforderten Unterlagen wie das Rezept des Arztes und die Rechnung reicht sie ein. Am 3. November schreibt ihr das Gericht, dass ein schriftliches Urteil ergehen kann, wenn beide Seiten auf eine mündliche Verhandlung verzichten. Das Gericht kann auf dieses vereinfachte Verfahren zurückgreifen, weil der Streitwert so niedrig ist. „Ich habe noch gedacht: Schön, da kann der Richter ja entscheiden“, erinnert sich Frau Braun. „So jedenfalls habe ich mir das vorgestellt. Doch weit gefehlt.“

Im Januar 2015 wechseln erst das Aktenzeichen und der Richter, dann beginnt ein ewiges Brief-Pingpong. Immer, wenn einer der beiden Streitparteien sich schriftlich äußert, wird die andere angehört. Im April, Mai, Juni, Juli 2015 bekommt Frau Braun Post, entweder mit Stellungnahmen ihres säumigen Kunden oder mit der Aufforderung, sich zu äußern. Mehrfach soll sie Zeugen benennen und nachweisen, wie der Vertrag zustande gekommen ist, geht aus den Schreiben hervor, in die die SZ Einblick genommen hat. Frau Braun wiederholt und wiederholt ihre Aussagen und bittet immer wieder um eine Entscheidung.

Nach der Sommerpause 2015 geht das Brief-Pingpong weiter. Im September, Oktober und November findet sie Schreiben des Gerichts im Briefkasten. Als sie am 6. November wieder eine mit abstrusen Theorien gespickte Antwort des Kunden zur Kenntnis erhält und dazu Stellung nehmen soll, platzt ihr der Kragen. Sie reicht Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter ein. Nun bekommt sie Post vom Landgericht in Görlitz: zuerst die Eingangsbestätigung, dann die Entscheidung. „Die Überprüfung hat zu dem Ergebnis geführt, dass keine Veranlassung für dienstaufsichtliche Maßnahmen besteht“, teilt man ihr in einem Brief, der der SZ vorliegt, mit. „Insgesamt lässt sich der Akte kein Zeitraum einer Nichtbearbeitung entnehmen, der dienstrechtlich erheblich sein könnte. Auf die Gestaltung des Verfahrens und den Inhalt der zu erwartenden Entscheidung kann seitens des Präsidenten des Landgerichts kein Einfluss genommen werden.“

Ab Dezember kommt die Post wieder vom Amtsgericht Zittau. Diesmal erhält Steffi Braun eine Rüge, weil sie sich zum Schreiben vom November nicht geäußert hat. Zudem fordert der Richter eine Entschuldigung von ihr. Einen Tag später, am 23. Dezember 2015, antwortet die Unternehmerin, die ihr Sanitätshaus in dritter Generation führt. Wieder weist sie darauf hin, dass alle geforderten Unterlagen seit mehr als einem Jahr vorliegen, und fragt, was sie sonst noch tun könne.

Der Januar-Brief vom Gericht bringt eine Überraschung: Nun soll es doch eine mündliche Verhandlung geben. Im April. Geladen sind auch drei Angestellte von Steffi Braun, als Zeuginnen. Bis 18. März soll sie für ihre Mitarbeiterinnen 300 Euro Unkostenvorschuss einzahlen. Schließlich könnten die Frauen Fahrtkosten und Verdienstausfall beanspruchen. Sollte sie gewinnen, würde Frau Braun das Geld wiederbekommen. Sonst nicht. Parallel dazu schickt ihr die Landesjustizkasse bereits einen Einzahlungsschein zu. Anfang Februar 2016 bittet die Unternehmerin darum, dass sie das Geld nicht einzahlen muss, und schickt dem Gericht die für diesen Fall erforderlichen Verzichtserklärungen der Mitarbeiterinnen. Neun Tage später kommt der nächste Brief vom Gericht. Dem Antrag wird stattgegeben. Und Frau Braun möge sich zur neuesten Stellungnahme ihres einstigen Kunden äußern.

Bis zum 4. April ist Ruhe. Dann wird am Amtsgericht verhandelt – und nur zehn Tage später ergeht „Im Namen des Volkes“ das schriftliche Urteil. Frau Braun bekommt Recht.

Mit diesem Urteil im Rücken schickt sie ihrem Gegner eine Rechnung über die 67,40 Euro und knapp 130 Euro Auslagen. Doch auch diesmal zahlt der Mann nicht.

Am 25. April 2016 wendet sich die Unternehmerin erneut an das Gericht und fragt, was sie nun tun kann. Das Urteil allein reicht nicht, um einen Gerichtsvollzieher loszuschicken. Dafür braucht sie eine sogenannte vollstreckbare Ausfertigung. Darum bittet sie den Richter noch im April. Dieser will im Mai aber erst einmal wissen, wie es zu den 130 Euro kommt. Sie erstellt eine Liste mit den Kosten für die Briefe. „Das ist ein Spaß gegen die tatsächlich angefallen Kosten“, sagt Frau Braun.

Im Juli scheint sich etwas zu bewegen. Der einstige Kunde lässt ihr einen Scheck über einen Teilbetrag der geforderten Summe zukommen. Als Kopie. Die Bank lehnt ihn natürlich ab.

Das Brief-Pingpong zwischen Gericht und Streitparteien lebt derweil wieder auf. Im August ruht der Vorgang wegen Urlaub und Krankheit. Im September erreicht Frau Braun dann der erhoffte Kostenfeststellungsbeschluss des Gerichts, den sie an den Gerichtsvollzieher weiterleitet.

Parallel dazu bietet ihr der einstige Kunde den nächsten Scheck an, wieder von der ihr unbekannten englischen Bank. Diesmal allerdings im Original. Am 20. September reicht sie ihn bei der Bank ein. Am 14. Oktober bekommt sie die Mitteilung, dass die Verarbeitung des Schecks nicht möglich ist. Sie schickt den Scheck wieder an ihren Klagegegner mit der Aufforderung, zu zahlen und droht noch einmal mit dem Gerichtsvollzieher. Der Mann teilt ihr mit, dass er ja zahlen würde. Ihre Hausbank müsse nur seinen Scheck einlösen. Am 9. November setzt sie sich wieder mit ihrer Bank in Verbindung, doch die reagiert nicht. Am 14. November fasst sie mit einer Mail nach. Die simple Antwort: Es geht nicht. Einen Tag später fragt Frau Braun zurück, warum es nicht geht. Wieder kommt keine Antwort. Am 21. November wendet sie sich an den Filialleiter. Drei Tage später bekommt sie die Auskunft, dass keine deutsche Bank einen Scheck dieses englischen Geldhauses einlösen würde.

Nun ist ihre letzte Hoffnung der Gerichtsvollzieher. Sie füllt einen achtseitigen Antrag auf seine Hilfe aus. „Der Gerichtsvollzieher meldete sich dann bei mir, weil er mit dem Urteil nichts anfangen könnte, da es keine vollstreckbare Ausfertigung wäre“, schreibt Frau Braun am 1. Dezember an die SZ. Der Kostenfeststellungsbeschluss reicht, anders als erhofft, also nicht. „Somit habe ich nun beim Amtsgericht erneut schriftlich um eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils gebeten.“ Nur zwei Tage später ist wieder Post vom Gericht im Briefkasten. „Das vollstreckbare Urteil ist bei mir eingetroffen, also schneller konnte es nicht gehen“, teilt Steffi Braun mit. „Wunder geschehen halt auch ab und an.“

Das Geld hat sie trotzdem noch nicht. Bleibt abzuwarten, was Frau Braun in diesem Fall noch erlebt. „Man muss sich mal vorstellen, dass es um eine richtig hohe Summe ginge“, sagt sie. Eine Summe, von der die Existenz ihrer Firma abhinge. „Ich bin zum Glück nicht so ein Fall, bei dem es um Leben und Tod des Unternehmens geht.“ Ihr ginge es ums Prinzip: Für eine ordentliche Leistung muss auch bezahlt werden.