Merken

Im Jemen vermisste Sachsen sind tot

Vor fünf Jahren wurde im Jemen ein Ehepaar aus Ostsachsen mit ihren drei Kindern entführt. Jetzt brachte ein Schreiben des Auswärtigen Amtes traurige Klarheit.

Teilen
Folgen
© privat

Meschwitz. Das vor fünf Jahren im Jemen entführte Ehepaar aus Ostsachsen und sein kleiner Sohn sind tot. Das Auswärtige Amt habe die Angehörigen in einem Schreiben informiert, dass Johannes, Sabine und Simon Hentschel nicht mehr am Leben sind, sagte der Sprecher der Familie, Pastor Reinhard Pötschke, am Dienstag in Meschwitz nahe Bautzen. Zuvor hatte das evangelische Magazin „Idea Spektrum“ online darüber berichtet. Für die Angehörigen sei damit traurige Gewissheit, was sie seit Jahren befürchtet haben, sagte Pötschke. Unklar blieben die Hintergründe der Geiselnahme.

Laut Pötschke heißt es in dem Schreiben des Auswärtigen Amtes: „Gemäß hier vorliegendem zuverlässigen nachrichtendienstlichen Aufkommen wurden Johannes, Sabine und Simon Hentschel im Verlauf ihrer Entführung im Jemen getötet bzw. verstarben.“ Die bei der Geiselnahme 36 Jahre alten Eltern seien getötet worden, der kleine Junge sei - vermutlich an einer Infektion - gestorben, sagte Pötschke. Das Auswärtige Amt wollte den Bericht über den Tod der Familie aus Meschwitz bei Bautzen weder bestätigen noch dementieren. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns nicht dazu äußern können“, sagte eine Sprecherin lediglich.

Mädchen ohne Entführungs-Trauma

Die insgesamt fünfköpfige Familie war 2009 im Jemen von Geiselnehmern verschleppt worden. Die Eltern hatten in dem Land für eine kleine christliche Hilfsorganisation gearbeitet. Die Töchter Lydia und Anna - heute zehn und acht Jahre alt - kamen im Mai 2010 frei und kehrten nach Deutschland zurück. Den Mädchen gehe es gut, sie lebten bei ihrer Großfamilie und besuchten die Schule. Lydia und Anna hätten bei der Entführung kein Trauma erlitten, sagte Pötschke. „Sie haben von diesen schlimmen Dingen nichts mitbekommen.“ Von den Eltern und dem damals knapp einjährigen Simon fehlte lange jede Spur.

Chronologie: Das Schicksal der entführten Familie im Jemen

12. Juni 2009: Das Ehepaar unternimmt mit seinen beiden Töchtern und dem Sohn in der nordwestlichen Provinz Saada einen Ausflug. Ihnen schließen sich vier Arbeitskollegen an - ein britischer Ingenieur, eine südkoreanische Lehrerin und zwei Pflegehelferinnen aus Niedersachsen. Sie arbeiten für die niederländische Hilfsorganisation „Worldwide Services“ in einem Krankenhaus. Auf dem Rückweg werden sie von bewaffneten Männern verschleppt.

15. Juni 2009: Die Leichen der beiden deutschen Pflegehelferinnen und der Koreanerin werden im Nuschur-Tal nahe der Ortschaft Akwan entdeckt. Die Frauen wurden erschossen. Von den restlichen Geiseln fehlt jede Spur. Es ist unklar, ob Kriminelle oder islamistische Terroristen die Täter sind.

23. Dezember 2009: Die „Bild“-Zeitung berichtet, dass es von den drei Kindern ein Lebenszeichen gebe. Der Bundesregierung soll ein Video der Kidnapper vorliegen. Im Auftrag des Krisenstabes reist der frühere Außenstaatssekretar Jürgen Chrobog als Vermittler in den Jemen. Dort waren er und seine Familie im Dezember 2005 selbst Opfer einer Geiselnahme geworden.

11. Januar 2010: Zum Abschluss seiner Reise an den Golf macht der damalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) einen Blitzbesuch in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Er spricht mit Vertretern der Regierung über das Schicksal der deutschen Familie. Danach erklärt er, die jemenitische Führung kenne den Aufenthaltsort der Geiseln.

12. Januar 2010: Die jemenitische Regierung hat Kontakt zu den Entführern der sächsischen Familie. Außenminister Abu Bakr al-Kirbi erklärt in der Hauptstadt Sanaa: „Wir verhandeln jetzt über ihre Freilassung.“ Wer die Entführer sind, sagt der Minister nicht.

13. Januar 2010: Nach Informationen von „Spiegel Online“ verlangen die Kidnapper unter anderem zwei Millionen Dollar (1,4 Millionen Euro) Lösegeld. Sie wollen außerdem Straffreiheit und freies Geleit.

18. Mai 2010: Eine Spezialeinheit aus Saudi-Arabien rettet die beiden Mädchen. Sie soll die Kinder in einem Dorf im Bezirk Schadha in der Provinz Saada nahe der saudischen Grenze aufgespürt haben. Die Schwestern kehren nach Deutschland zurück.

23. September 2014: Die Angehörigen geben bekannt, dass sie vom Auswärtigen Amt über den Tod der vermissten Eltern und des Jungen informiert wurden. „Gemäß hier vorliegendem zuverlässigen nachrichtendienstlichen Aufkommen wurden Johannes, Sabine und Simon Hentschel im Verlauf ihrer Entführung im Jemen getötet bzw. verstarben“, zitiert die Familie aus dem Schreiben des AA. (dpa)

1 / 8

Stichwort: Gefährliches Krisenland Jemen

Armenhaus: Der Jemen ist das Armenhaus Arabiens. Im Vergleich zum großen Nachbarn Saudi-Arabien sind Wirtschaft und Infrastruktur schwach entwickelt. Der Konsum der Volksdroge Kat beeinträchtigt stark die Wirtschaftskraft. Ihr Anbau verschlingt einen großen Teil der knappen Wasserreserven des 530.000 Quadratkilometer große Landes.

Starke Clans: Jemens schwache Zentralregierung hat große Probleme, die Staatsgewalt gegen traditionelle Stammesstrukturen durchzusetzen. Clanführer ließen mehrfach Ausländer entführen, um die Behörden unter Druck zu setzen.

Terrorproblem: Dazu kommt ein gewaltiges Terrorproblem. Al-Kaida nutzt das von Bergen und Wüsten geprägte Land als Rückzugsgebiet mit Ausbildungslagern.

Neue Al Kaida-Gruppe: Islamisten aus dem Jemen und Saudi-Arabien gründeten 2008 zudem „Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“. Die Gruppe setzte sich im Osten des Staates fest. Jemens Armee geht hart gegen die Islamisten vor, doch die Lage bleibt unsicher. (dpa)

1 / 4

Die traurige Nachricht habe die Angehörigen nicht plötzlich und unerwartet getroffen - auch wenn ein Funken Hoffnung in all den Jahren nie erloschen sei, sagte Pötschke. „Wir sind aber auch froh, jetzt wenigstens an einem Punkt zu sein, an dem wir in die Phase des Trauerns und des Abschiednehmens eintreten können.“ Die Familie plane eine Trauerfeier, und auch einen Gedenkstein oder etwas ähnlich wolle sie zur Erinnerung an Johannes, Sabine und Simon Hentschel errichten.

Keine Info zu Hintergründen

Das Schreiben des Auswärtigen Amtes habe die Familie Ende August erreicht, sagte Pötschke, der Schwager des getöteten Johannes Hentschel. Sie hätten in den vergangenen Wochen zunächst weitere Angehörige und Freunde der Familie über die Nachricht verständigt. Doch nun wollten sie auch die Öffentlichkeit informieren. Pötschke: „Es gibt viele im Land, die mit uns gehofft und gebetet haben.“ Wer die Familie verschleppt und getötet hat, gehe aus dem Brief des Auswärtigen Amtes nicht hervor. „Über die Hintergründe erfahren wir nichts“, sagte Pötschke. (dpa)