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Im falschen Geschlecht geboren

Henriette-Harald Fiebiger lebt als Trans-Frau in Königshain. Der Weg dahin war für den Rentner nicht einfach.

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© Constanze Junghanß

Von Constanze Junghanss

Königshain. Harald Fiebiger streicht sich eine längere Haarsträhne aus dem Gesicht. Dezente Ohrringe blitzen. Ein leises Lächeln huscht über die zart geschminkten Lippen, als er seinen Personalausweis hervor holt. Dann hebt er die gezupften Augenbrauen: Kein ideales Foto sei das, zeigt der 64-Jährige auf das Bild. Viel zu männlich. Und dass da noch sein Vorname „Harald“ steht, soll sich irgendwann ändern. Denn Harald ist eigentlich Henriette. Und Henriette ist eine Frau. Die muss sich täglich den Bart nass rasieren, die Haare stylen und Brüste in den BH einlegen. Unter dem Wollpullover wölbt sich Silikon in kleiner Körbchengröße. „Ohne Brüste fühle ich mich nackt.“

Harald Fiebiger ist ein Transgender und sagt diesen Satz heute ganz selbstverständlich. Er gehört zu den Menschen, deren körperliches Geschlecht nicht mit dem gefühlten Geschlecht übereinstimmt. Wie viele Menschen in Deutschland im falschen Körper leben, dazu sind keine genauen Zahlen bekannt. Im Internet gibt es auf Portalen, die sich mit dem Thema beschäftigen, Schätzungen von 30 000 bis 80 000 Betroffenen im Land. Beim Statistik-Portal Deutschland findet man folgenden Vergleich: Im Jahr 2005 ließen 444 Menschen ihr Geschlecht operativ umwandeln. 2012 waren das 1 124 Menschen. Doch nicht jeder Transidente lässt sich operieren oder, wie es auch heißt, eine Geschlechtsanpassung durchführen. 2011 wurde die Operationspflicht für die Personenstandsänderung gesetzlich abgeschafft. Damit fiel der Druck für Betroffene, sich unter das Messer legen zu müssen. Henriette-Harald ist sich über eine Operation noch unsicher. „Das Risiko einer Geschlechtsumwandlung in meinem Alter ist wahrscheinlich höher als bei jungen Transgendern“, sagt der ehemalige Eisenbahnmitarbeiter. Und bis es überhaupt zu einer Entscheidung kommt, müssten noch viele ärztliche Untersuchungen gemacht werden. Momentan ginge es da aber nicht so richtig vorwärts bei der Suche nach den entsprechenden Fachärzten. Und Internet, wo er sich zu Speziallisten kundig machen könnte, ist in seinem Zuhause in Königshain nicht vorhanden. Dort wohnt er gemeinsam mit zwei Frauen, die sein „Anderssein“ akzeptieren.

Kennen gelernt haben sich die Drei bereits vor vielen Jahren durch die gemeinsame Arbeit beim Reichsbahnausbesserungswerk Görlitz. Sie sind schon lange miteinander befreundet. Heute leben sie als Rentner zusammen. Damals war Harald noch ein „richtiger“ Mann. Zumindest vom Äußeren her. „Innerlich fühlte ich mich schon von Kindheit an als Mädchen, trug als Erwachsener heimlich Frauenkleidung.“ Gesprochen hat Henriette-Harald mit niemandem darüber. Zu groß die Scham, zu groß die Angst vor Ausgrenzung. „Wenn ich damals heimlich in Frauenkleidung schlüpfte, legte ich mir meine Männersachen so zurecht, dass bei spontanem Besuch das Umziehen innerhalb weniger Sekunden möglich war.“ Kein Mensch sollte wissen, wie es in ihm drin aussah. Zumal Transgender lange Zeit ein Tabu-Thema waren. Mittlerweile hat sich das geändert. 2012 dann das öffentliche Outing von Harald Fiebiger. Dem vorausging ein einprägsames Erlebnis: „Ich war in Görlitz unterwegs und sah von weitem auf dem Lutherplatz zwei Männer, die sich in die Arme fielen und küssten. Ohne Scheu taten sie das, einfach so und ganz wie normal, ohne auf die Blicke der Leute zu achten.“ Das sei der Auslöser gewesen, sich nicht mehr zu verstecken.

Gisela Manertz unterstützte ihren ehemaligen Kollegen in dieser Phase besonders, sprach ihm Mut zu und begleitete seine ersten Schritte. Die fielen nicht leicht. Der erste Ausflug in Minirock, Nylonstrümpfen und Pumps führte in einen Görlitzer Einkaufsmarkt. „Ich habe mich nicht getraut, aufzuschauen und blickte nur nach unten auf den Boden“, erinnert sich Henriette-Harald. Befürchtetes Auslachen oder sogar Anfeindungen blieben jedoch aus. Und so wuchs der Mut, sich nun immer so zu zeigen. Schminke wurde angeschafft. Im Regal leuchten Dutzende Fläschchen Nagellack. Ohrringe, Schmuck und Parfüm gehören nun ganz selbstverständlich mit zum Repertoire. Seit einer Weile steht auch immer mal wieder der Gang zur Kosmetikerin auf dem Plan.

Nicht bei allen Bekannten kam das Outing an. Einige wenige hätten sich abgewendet. Der Großteil habe Henriette-Harald weiterhin einfach als Menschen angenommen. Mit den Nachbarn, so erzählt er, gab es schon Grillfeste und auf dem Dorf würden die Leute ihn problemlos tolerieren. Ein eher männlich wirkendes Hobby ist aber geblieben: Die Liebe zur Eisenbahn. Früher engagierte sich Harald Fiebiger im Vorstand des Kreisbahnvereins. Die Zeit ist zwar vorbei. Doch einige alte Waggons konnte er vor der Verschrottung retten, baute sogar eine mobile Gartenbahn, die jetzt in Ostritz zum Einsatz kam. Was allerdings in der näheren Umgebung fehlt, sei der Austausch mit anderen transidenten Menschen. In der hiesigen Region lebten nur sehr wenige so. In Dresden gibt es den nächstliegenden Verein, der Anlauf- und Beratungsstelle ist. Zu dem Verein haben die Königshainer, der auch für Angehörige offen ist, gute Kontakte.