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„Ikarus“ soll nicht vergessen werden

Wer zu DDR-Zeiten mit dem Bus unterwegs war, saß meist in einem „Ikarus“. Heute sind die Oldies nur noch ganz selten zu sehen. Gewerkschaftschef Harry Tisch soll ein besonderes Modell gehabt haben.

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© dpa

Von Lars Müller

Hartmannsdorf. René Junghans hat alle Hände voll zu tun. Eigentlich soll der 27-jährige Erzgebirgler in Hartmannsdorf bei Chemnitz beim Einweisen der Busse helfen. Aber eigentlich möchte er lieber die historischen Gefährte fotografieren. Mehr als 20 Busse sind gekommen, sagt Junghans sichtlich zufrieden und wischt sich Regentropfen von der gelben Warnweste. Er ist einer von zehn Mitstreitern in der Interessensgemeinschaft Freundeskreis „Ikarus“, die in Sachsen und Thüringen aktiv ist.

Rund 80 Fahrzeuge aus dem In- und Ausland sind auf dem Treffen zu bewundern.
Rund 80 Fahrzeuge aus dem In- und Ausland sind auf dem Treffen zu bewundern. © ZB
Die Busse stammen aus den Baujahren 1962 bis 1990.
Die Busse stammen aus den Baujahren 1962 bis 1990. © dpa

Zum dritten Mal haben die Busfans ein „Ikarus“-Treffen organisiert. Hunderte Besucher aus ganz Deutschland sind dazu am Samstag nach Sachsen gekommen. Was aber fasziniert einen 27-Jährigen an Bussen, die vor allem in der DDR den Stadt- und Regionalverkehr geprägt haben? „Es ist die Technik“, sagt Junghans. Über seinen Vater sei er zu Oldtimern gekommen und habe sich schließlich auf Busse spezialisiert. „Ich habe auch noch Erinnerungen eine eigene Fahrten in den „Ikarus“-Bussen, die bis nach der Wende im Einsatz waren.“ Als Schulkind sei er vor dem Aussteigen immer nicht an die Haltewunsch-Taste hoch über den Druckluft-Falttüren gekommen, erinnert er sich schmunzelnd.

„Man kennt sich in der Szene“ berichtet Roy Glaser, der das „Ikarus“-Treffen mit einem Budget von gerade einmal 1.000 Euro maßgeblich mit auf die Beine gestellt hat. Während der 39-Jährige erzählt, klopft ihm ein Mann auf die Schulter. Stolz zeigt er auf dem Display seiner Digitalkamera Bilder eines „Ikarus“, der halbfertig in einer Werkhalle steht. „Das ist Attila Toth“, stellt Glaser vor. Er baue sich das Fahrzeug in seiner Heimat, dem Mutterland der Busmarke, gerade wieder auf. Der Ungar sei extra nach Hartmannsdorf gekommen, um auf dem Bustreffen zu fachsimpeln - wegen der Sprache teils mit Händen und Füßen und in gebrochenem Englisch.

Zwei Busse sind aus Ungarn gekommen, einer aus dem tschechischen Prag. Neben allerlei Linien- und Reisebussen der Typen 55, 66, 630 oder aus der 200er Reihe sind auch echte Raritäten angerollt. Glaser zeigt einen Bus, den die DDR-Regierung beschafft hatte. „Er gehörte einst Politbüromitglied Harry Tisch, das wissen wir.“ Wohin der SED-Spitzenfunktionär und DDR-Gewerkschaftschef damit reiste, sei aber nicht bekannt. Im Innern sind bequeme Polstersitze längs zur Fahrtrichtung angeordnet, im Heck befindet sich ein Küchenabteil. Besondere Sicherheitsausrüstung besitze der Bus aber nicht, auch die Scheiben sind aus herkömmlichem Glas.

Gleich nebenan steht ein blau-weißer Reisebus. Das Öffnen der schweren Türe von Hand weckt Kindheitserinnerungen. „Der Bus ist Baujahr 1977 und gehörte einst zum Fuhrpark der Nationalen Volksarmee“, sagt Besitzer Lars Gersten. Das Fahrzeug befinde sich nahezu im Originalzustand und laufe reibungslos. Der Nachrichtentechniker aus dem sächsischen Mügeln besitzt nach eigenen Angaben mehrere historische Busse, die er auch für Ausfahrten anbiete. Seine Reisegesellschaften erinnerten sich vor allem an die einst täglichen Fahrten zur Schule oder in den Betrieb.

Für ostalgische Schwärmerei sind die „Ikarus“-Freunde aber nicht zu haben. Sie finden es in Ordnung, dass die Zeit der „Ikarus“-Busse mit ihren unbequem steilen Einstiegen vorbei ist. „Wir wollen dafür sorgen, dass „Ikarus“-Busse aber wenigstens nicht in Vergessenheit geraten“, sagt Glaser. Sein Mitstreiter Junghans atmet unterdessen durch. Er glaubt, endlich alle Busse abgelichtet zu haben. Doch gerade als er den Deckel auf die Linse steckt, kommt noch ein „Ikarus 311“, Baujahr 1968, auf den Hof gerollt. Damit waren dann 24 Busse der Baujahre 1962 bis 1990 beim dritten „Ikarus“-Treffen dabei. (dpa)

Das sächsische Nutzfahrzeugmuseum im Internet