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Ihr seid Helden

An der A 4-Raststätte Dresdner Tor helfen Tausende über Nacht beim Füllen der Sandsackreserve – die Facebook-Armee ist eine Riesenunterstützung.

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Die Facebook-Armee kämpft nicht mit Gewehren, sondern mit Schaufeln. Sie kann nicht offiziell alarmiert werden, ist aber da, wo sie gebraucht wird. Am Rastplatz Dresdner Tor an der Autobahn 4 haben Hunderte über Nacht mit Polizei und Technischem Hilfswerk ein wahres Wunder vollbracht.

Hunderte Helfer befüllen über Nacht die Sandsäcke auf dem Autobahnrastplatz. Sie kamen spontan und freiwillig. Bis gestern hatten sie eine Viertelmillion gefüllt. Foto: Alexander Schneider
Hunderte Helfer befüllen über Nacht die Sandsäcke auf dem Autobahnrastplatz. Sie kamen spontan und freiwillig. Bis gestern hatten sie eine Viertelmillion gefüllt. Foto: Alexander Schneider

Maik Thoma hatte wohl die längste Anreise. Er kam aus Wien nach Dresden, um beim Kampf gegen die Fluten zu helfen. Zu Hause bei seiner Mutter zog sich der 33-Jährige nur kurz um, dann ging er los. Zuerst stapelte er Sandsäcke in der Leipziger Straße. Als es dort nichts mehr zu tun gab, fuhr er mit seiner Frau und einem Freund zum Autobahn-Rastplatz.

Freitag, kurz nach Mitternacht, schippen die drei immer noch. Sie füllen Sand in weiße Plastesäcke, reichen sie in Menschenketten durch, Schulter an Schulter mit Soldaten, Polizisten – und Hunderten Zivilisten. „Ich hab’ mir extra Urlaub genommen“, sagt der Wahl-Wiener Maik. Zwar gibt es auch in Österreich eine Flutkatastrophe, doch die Solidarität der Sachsen, sagt er, sei einmalig. „Es helfen alle zusammen, das ist Wahnsinn.“ Keine Frage, dass er nach Hause kam. Er hat schon bei der Katastrophe vor elf Jahren mit angepackt.

Wo sonst Brummifahrer in ihren Lastern schlafen, entsteht ein Meer aus Zigtausend Sandsäcken – Sachsens zentrales Depot. Mit der Reserve von 800.000 Säcken sollen gefährdete Deiche beschwert werden. Auf einer leichten Anhöhe verfolgt Dirk Massi das ameisenhafte Gewimmel. Der 53-Jährige ist der Einsatzleiter vom Technischen Hilfswerk Dippoldiswalde und für die Logistik verantwortlich.

Dirk Massi hat zunächst die Anlieferung von 2.000 Tonnen Sand überwacht..Anfangs schaufeln Polizisten noch alleine schweißgebadet die Säcke voll. Doch die Zahl der Uniformierten wird immer kleiner. Gegen 15 Uhr entdecken die ersten freiwilligen Helfer den Rastplatz. Als in Dresden der Hochwasserscheitel erreicht ist, gibt es für sie dort nicht mehr viel zu tun. Über Facebook-Seiten im Internet erfahren sie von der neuen Einsatzstelle – so wie Maik Thoma. „Die Fluthilfe Dresden- und die Elbepegel-Seiten sind geil“, sagt er.

Abends dann strömen die Helfer auf den Rastplatz. Niemand weiß, woher, niemand hat sie gezählt. Doch die Facebook-Armee ist da und schippt. Sogar ihre Schaufeln bringt sie mit. Mirko Kirchner geht seit Montag nicht mehr ohne Schippe aus dem Haus. Er hat sie auf den Dachgepäckträger seines grauen Trabis geschnallt. Jetzt steht die gepflegte Pappe vom Baujahr ’66 mit rotbraunen Felgen direkt vor einem Sandhaufen. Die „fahrende Musikbox“, wie Mirko seinen Trabi nennt, beschallt die Helfer mit Elektromusik. „Ich konnte das Kratzen der Schaufeln nicht mehr hören“, sagt der 23-Jährige, „da hab’ ich gefragt, ob ich die Box hierher stellen darf und es war okay.“

Wer neu kommt, sucht sich einen Platz und fängt einfach an. Der Schwarm organisiert sich selbst, hierarchiefrei, entschlossen, diszipliniert – aber mit Partycharakter. Es wird auch geflirtet, und bei fluterprobten Helfern von 2002 kommt noch ein Schuss Nostalgie dazu. Ein ehrenamtlicher Helfer vom THW brummt mit seinem Radlader heran und transportiert die Paletten mit den Säcken zu einem Sammellager am Rand der Raststätte. Die Bundespolizei passt auf, dass rund um den großen Platz kein Verkehrschaos entsteht.

Grit Töpfer kommt mit ihrem Freund Felix Gottwald vom Sandsackfüllen von einer Dresdner Station. Sie war schon auf dem Heimweg, als sie auf ihrem Handy von dem Einsatz an der A4 las. „Wir sind gleich weitergefahren“, sagt die Juristin. Neben dem Paar stehen acht Mann aus Pulsnitz vom Hailife-Tuning-Club. Dahinter schaufeln 40 Soldaten aus Thüringen, gefolgt von vier Freunden aus Puschwitz bei Bautzen. Einen Einsatzbefehl bekamen nur die „echten“ Soldaten, die Facebook-Armee folgt anderen Notrufen. Katharina Kasirin und Christian Fern saßen um 22.30 Uhr gemütlich auf ihrer Couch in Dresden, als sie „Leute, helft uns“ auf Facebook lasen. Jetzt schippen auch sie mit. Und es werden immer mehr. Mitternacht ist längst vorbei.

Dirk Messi kann es kaum glauben. Inzwischen hat er 600 neue Paletten geordert, weitere 120 000 Säcke, Benzin für die Notstromaggregate und einen Gabelstapler. Sein THW-Zug versorgt die Helfer mit Getränken und warmem Essen. Doch auch die Facebook-Einheiten schaffen Brot, Würste, Wasser für die Helfer ran. Die Armee funktioniert autark. Nach 5 Uhr wird es ruhiger auf dem Rastplatz. Am Freitagmittag fährt die Bundeswehr den Sand zur Deichrettung nach Meißen und Zeithain.