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Idyll und Hass

Die gespaltene Gesellschaft – kaum irgendwo sonst ist sie so sichtbar und spürbar wie in den sächsischen Kleinstädten. Hinter den anheimelnden Fassaden brodelt es. Beobachtungen in Dippoldiswalde.

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© Thomas Kretschel

Von Ulrich Wolf

Es ist ein normaler Freitagabend für Hendrik Schwarz. Um halb sechs macht der 34-Jährige Feierabend, ordnet noch ein paar Unterlagen in seinem Containerbüro auf dem Firmengelände in Dippoldiswalde. Er setzt sich ins Auto, fährt heim ins zwölf Kilometer entfernte Hennersdorf. Abendbrot, ein wenig Fernsehen. „Nach der Heute-Show bin ich ins Bett“, sagt er. Wenige Stunden später, um kurz vor zwei Uhr früh am 31. Oktober 2015, klingelt das Telefon im Flur des Zweifamilienhauses in Hennersdorf. Hendrik Schwarz’ Mutter geht ran. „Wir brauchen eure Lkw-Schlüssel. Es brennt, es brennt“, brüllt eine Stimme durch den Hörer. Die Mutter weckt den Sohn. „Wie ein Berserker bin ich zur Firma gerast“, erzählt Schwarz. Als er ankommt, schlagen die Flammen fast 30 Meter hoch, an die 70 Feuerwehrleute sind im Einsatz, ebenso viele Schaulustige stehen herum.

Ende Oktober 2015 brennen 60 Bürocontainer einer Baufirma ab; das Unternehmen wollte sie als Flüchtlingsunterkunft verkaufen.
Ende Oktober 2015 brennen 60 Bürocontainer einer Baufirma ab; das Unternehmen wollte sie als Flüchtlingsunterkunft verkaufen. © privat
Im Juli 2015 stehen auf schwarzen Kreuzen fremdenfeindliche Botschaften.
Im Juli 2015 stehen auf schwarzen Kreuzen fremdenfeindliche Botschaften. © privat
Anfang März 2016 kommt es zum fünften Farbanschlag auf das Abgeordnetenbüro einer Linken-Politikerin innerhalb eines Jahres.
Anfang März 2016 kommt es zum fünften Farbanschlag auf das Abgeordnetenbüro einer Linken-Politikerin innerhalb eines Jahres. © privat

68 Bürocontainer, in drei Reihen und drei Etagen gestapelt, ausgestattet mit Laminat, Wand- und Deckenpaneelen, Sanitäranlagen, Elektrik, Telekommunikation, vor der Witterung geschützt durch ein Holzdach – all das wird in jener Nacht ein Raub der Flammen. Der Großbrand zerstört sämtliche Akten und Dokumente des Unternehmens. Was Schlimmeres hätte Schwarz junior beruflich kaum zustoßen können: Er war dabei, das Erbe seines Vaters anzutreten: Steinbrüche, Maschinen, Lastwagen, Bauprojekte und 23 Beschäftigte. Und er stand kurz davor, ein lohnendes Geschäft zu machen. Schon lange nutzte die Firma für die eigene Verwaltung nur zehn der Container. Im Herbst 2015 waren die Flüchtlinge da und Container Mangelware. Schwarz bot sie zum Kauf an. Er verhandelte mit dem Landkreis, zum Schluss wollte er 300 000 Euro haben für die 15 Jahre alte Containerburg. Wenige Wochen zuvor war das publik geworden. Gerüchte über eine „Eigensanierung auf Versicherungskosten“ machten die Runde. Vater Schwarz ist nicht unumstritten.

Zwei Tage vor dem Brand wird nachts in der Baufirma eingebrochen. Da nichts fehlt, verzichtet die auch in Dippoldiswalde personell ausgedünnte Polizei auf eine Spurensicherung. Am Tag darauf folgt ein anonymer Anruf. Hendrik Schwarz steht in einem Steinbruch, als sein Handy klingelt. „Man drohte mir. Ich sollte mir überlegen, an wen und für was ich die Container verkaufe. Und mich demnächst im Dunklen vorsehen“, berichtet Schwarz. Der Anrufer sei ein Mann gewesen, 30 bis 50 Jahre, raue Stimme, ortsüblicher Dialekt.

Bis zu diesem Anruf war schon monatelang eine Hasswelle über das beschauliche Dippoldiswalde im östlichen Vorerzgebirge geschwappt, ausgelöst durch Diskussionen um das Asylbewerberheim im ebenfalls zur Stadt gehörenden Schmiedeberg. Eine Unterkunft, die es seit Jahren gibt und die immer wieder Probleme macht. Elf Fälle von Körperverletzung, Raub und Erpressung hat die Polizei 2015 in dieser Unterkunft registriert. Mehrfach brannte es. Es kam zu Belästigungen in der Buslinie 360, die Dresden mit Dippoldiswalde verbindet.

Ende Februar vorigen Jahres ruft die NPD zum Widerstand. Sie lockt 600 Leute auf den Parkplatz des Penny-Marktes in Schmiedeberg. Der Dippoldiswalder Oberbürgermeister Jens Peter von den Freien Wählern, zuvor Lehrer, steht gegenüber auf dem Postplatz mit deutlich weniger Menschen. „Ich war erschrocken, wie viele gestandene Bürger dem Aufruf der NPD folgten“, sagt der 48-Jährige. Ruhig, besonnen, betont sachlich spricht er. Diese Demo ist für ihn „der Beginn der Radikalisierung in unserer Stadt.“

Der Stadtchef beginnt zu rotieren. Mit Gesprächen verhindert er die Gründung einer Bürgerwehr. Er ruft einen Arbeitskreis Asyl ins Leben, organisiert mit dem Schmiedeberger Ortschaftsrat eine Bürgerversammlung, bringt Offizielle und Ehrenamtliche des Willkommensbündnisses zusammen. 30 Unentwegte geben Flüchtlingen Sprachunterricht, wandern, kochen und backen mit ihnen.

Martin Eckstein, 49, Unternehmensberater und Außendienstler in der Kosmetikbranche, wird zu ihrem Sprecher. „Es nützt nichts, wenn man vor Heimen rumbrüllt. Wir müssen den Leuten helfen, dass sie sich bei uns zurechtfinden“, sagt er. Ein Bekannter aus der Stadt reagiert darauf im Internet: „Martin, du stellst dich hier als Gutmensch hin und laberst sinnlos rum. (...) Wenn dir das alles nicht passt bei uns, zieht doch mit ins Heim.“ Andere werden noch deutlicher, drohen dem eloquent auftretenden Eckstein. Er erstattet Anzeigen. Auf einer Bürgerversammlung in der Stadtkirche verlassen fast 50 Leute gleichzeitig den Raum, als Eckstein zu reden beginnt.

Seine Frau Ines, Inhaberin eines Friseursalons am Markt in Dippoldiswalde, stellt einen syrischen Flüchtling ein, selbst Friseur. Auf einmal gibt es orientalische Fadenenthaarung in Dippoldiswalde. „Und dann pappten Aufkleber auf meinem Schaufenster mit der Aufschrift ,Asylwahn stoppen‘“, sagt sie. Eckstein berichtet von Bedrohungen, von Boykottaufrufen. Stammkunden bleiben weg. „Ich scanne mittlerweile jeden. Wie ein Automat. Was darf ich sagen, was nicht. Schlimm“, sagt die Friseurmeisterin. Leise, fast ängstlich, sagt sie das. „Der Schritt hin zu Zuständen wie 1933 ist bei uns nicht mehr weit.“

Dem NPD-Protest in Schmiedeberg folgen Demonstrationen auf dem Markt von Dippoldiswalde, dem schönsten Platz der Stadt, direkt vor dem Rathaus. Nun organisiert von einer Bürgerbewegung. Bis zu 1 000 Menschen kommen an einem Demotag zusammen, ein Fünftel der Einwohner. Weitere 10 000 leben in den eingemeindeten 19  Ortschaften ringsum. Der Ausländeranteil beträgt 1,5 Prozent. 160 Asylbewerber sind in Schmiedeberg untergebracht, 20 dezentral in Dippoldiswalde. „Für ein Verbot hatten wir keine Handhabe“, sagt Bürgermeister Peter. „Wir konnten nicht einmal verhindern, dass die Organisatoren unsere historische Freitreppe als Bühne nutzten.“ Ab der zweiten Demo lässt er die Rathausbeleuchtung ausschalten.

Die Facebookseite der Bürgerbewegung bedient sich martialischer Lyrik: „Dorthin wo die Sonne scheint, aus dem Nebel der Vergangenheit, nur das Schicksal in der Hand und den Mut zum Widerstand!“ Im Impressum taucht ein Verein „Zukunft braucht Heimat“ auf, der zwar in keinem Vereinsregister eingetragen ist, aber zu Spenden aufruft und auch in Meißen zwei Anti-Asyl-Demos anmeldet. Als Kontakt wird eine Kanzlei in Dresden angegeben. Die gehört Jens Lorek, einem Pegida-Anwalt; zuletzt verteidigte er einen Freitaler bei dessen Hitlergruß-Prozess.

Zum Kopf der Bürgerbewegung avanciert ein junger Mann. Er sagt, er sei Sanitär- und Heizungsinstallateur in Schmiedeberg und 29 Jahre alt. Ein Video im Internet zeigt, wie er mitten in der Nacht die Pegida-Thesen am Rathaus von Dippoldiswalde anbringt. Unter seinen Freunden auf VK, dem russischen Facebook, sind Pegida-Größen ebenso zu finden wie Rechtsradikale. Wes Geistes Kind er ist, wird im Internet deutlich: „Das Wort bunt geht mir so auf den Sack, dass ich dieses Jahr sogar die Ostereier braun lasse.“ Er teilt Posts mit den Autonomen Nationalisten Berlin. Das vom Brandenburger Verfassungsschutz beobachtete Rapperduo A3Stus tritt in Dippoldiswalde zweimal auf. Zu den virtuellen Freunden des Installateurs gehört auch ein „Matcher HR“. „Matcher“ ist Mitglied im Asylkreis der Stadt. Oberbürgermeister Peter sagt, das habe er nicht gewusst. Besagter „Matcher“ habe gebeten mitzumachen, weil er zwischen Bürgerbewegung und Willkommensbündnis vermitteln wolle.

Bei den Einwohnern hält sich das Interesse an solchen Zusammenhängen in Grenzen. Wer am Markt versucht, mit Passanten darüber ins Gespräch zu kommen, scheitert. Immerhin sagen einige: Der Zusammenhalt in der Stadt stehe vor dem Kollaps. Freundschaften, sogar Ehen seien zerbrochen. Tolerante und weniger tolerante Fußballvereine hätten sich verfeindet. Deutlich wird: Viele sind gegen Flüchtlinge, wenige helfen, die meisten wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden.

4 300 Unterstützer zählt die Bürgerbewegung bei Facebook, zehnmal so viele wie das Willkommensbündnis. Wer sich durch die Kommentare der bewegten Bürger wühlt, findet Sätze wie: „Beim Erwischen keine Polizei rufen, sondern windelweich prügeln; alles andere wirkt bei denen eh nicht.“ Geschrieben haben solche Hasstiraden: Baggerfahrer, Sanitäter, Hotelfachkräfte, Landwirte, Schlosser, Verkäufer. Viele sind zwischen 20 bis 35 Jahre alt. Meist stammen sie aus den rings um Dippoldiswalde liegenden Dörfern. Ihre größten Schnittmengen sind: Autos, Dynamo, Pegida, Hunde, eigene Kinder, Mittelschule, Tattoos, Berufsschulzentrum. Wie bei Pegida kommentieren sie tatsächliche oder angebliche Straftaten von Asylbewerbern voller Häme: „Wieder ein bedauerlicher Einzelfall.“

Im Sommer 2015 tauchen in Dippoldiswalde schwarze Holzkreuze auf. Eingegraben auf öffentlichem Grund, rund 1,20 Meter hoch. Schlicht, aber solide. An allen prangen laminierte Zettel: „Deutsche Opfer – Fremde Täter. Wir schauen nicht weg. 7 500 Morde an Deutschen durch Ausländer. ES REICHT!“ Der Oberbürgermeister lässt die Kreuze entfernen, meldet es der Polizei. „Wir haben Probleme mit Rechtsextremismus, ganz unbestritten“, sagt Peter. „Aber welche sächsische Kleinstadt hat die denn nicht?“ Im Oktober stellt die Diakonie in Absprache mit dem OB einen Fördermittelantrag für die Stelle eines Sozialarbeiters. Eine endgültige Entscheidung der zuständigen Sächsischen Aufbaubank steht noch aus.

März 2016: Auf das Bürgerbüro der Linken-Landtagsabgeordneten Verena Maiwald in Dippoldiswalde wird binnen drei Monaten der fünfte Farbanschlag verübt. An Müllcontainern, Hausfassaden und Mauern ist „No Asyl“ gesprüht worden.

Bauunternehmer Hendrik Schwarz hat die Brandruine auf eigene Kosten beseitigen lassen. „Ich wollte keinen Wallfahrtsort für Extremisten“, sagt er. Von der Allianz-Versicherung hat er eine Abschlagszahlung von 30 000 Euro erhalten, der Schaden ist mindestens siebenmal so hoch. Bevor mehr Geld fließt, will der Konzern die Ermittlungen der Polizei abwarten. Am vergangenen Freitag hat Schwarz den ersten zwei Mitarbeitern betriebsbedingt gekündigt. Spezialisten des Operativen Abwehrzentrums der Polizei suchen die Brandstifter auch im Dunstkreis der Bürgerbewegung. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft ist überzeugt, „dass wir die Täter überführen können“.

Der Unternehmer, der Flüchtlingshelfer, die Friseurin, der Bürgermeister: Sie alle spüren eine bleierne Schwere über ihrer Heimat, sprechen von einer „derzeit überaus angespannten Ruhe“. So, als hofften sie, dass nicht noch mehr Asylbewerber kommen. „Dann könnte uns hier alles um die Ohren fliegen.“

Mitarbeit: Franz Herz