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„Ich wollte nur schlechte Graffiti kommentieren“

René Seidel, der Mann hinter „Löbau antwortet“, spricht über seine Plakate, die Anonymität – und böse Anrufe beim Chef.

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© Matthias Weber

Von Gabriel Wandt

Es war das Gesprächsthema Nummer 1 im vorigen Jahr: Die sommerliche Plakat-Aktion eines Löbauers, der unter dem Schlagwort „Löbau antwortet“ Aufmerksamkeit auf Missstände in der Stadt lenken wollte. Sehr schnell lenkte er allerdings die Aufmerksamkeit auf sich – auch, weil er sich lange Zeit nicht zu erkennen geben wollte. Die Löbauer reagierten gespalten auf das Projekt: Im Internet gab es viel Zuspruch, dazu kam eine erfolgreiche Gemeinschaftsaktion in der Brunnenstraße. Kritiker bemängelten das Fehlen konstruktiver Elemente in der Kritik. Jetzt steht die Aktion nach einem knappen Jahr vor ihrem Ende. Die SZ sprach mit René Seidel, der sich jetzt äußert zu „Löbau antwortet“, über seine Absichten – und darüber, wie es jetzt weitergeht.

René Seidel hat die Aktion „Löbau antwortet“ ins Leben gerufen.
René Seidel hat die Aktion „Löbau antwortet“ ins Leben gerufen. © privat

Herr Seidel, der Jahrestag von Löbau antwortet ist zum Greifen nahe. Warum beenden Sie die Aktion jetzt?

Ich habe einfach keine Zeit mehr, „Löbau antwortet“ angemessen zu pflegen. Das Projekt „Löbau lebt“ nimmt einiges an Zeit in Anspruch, und dadurch kommen auch viele Leute auf uns zu, die schon wieder neue Projektideen haben.

Was passiert am Ende?

Die Seite verschwindet. Ich habe als Privatperson eine Facebook-Seite erstellt, auf die ich vermutlich verweisen werde, weil ich nicht ganz die Füße stillhalten, sondern noch den einen oder anderen Kommentar zu verschiedenen Sachen schreiben will.

Es ist ein knappes Jahr her, dass Sie begonnen haben, mit Plakaten auf Missstände in Löbau hinzuweisen. Das hat teils heftige Diskussionen ausgelöst. Haben Sie das erwartet?

Überhaupt nicht. Die Grundidee war eigentlich auch nur, schlecht geschriebene Graffiti zu kommentieren. So waren auch die ersten fünf oder sechs Plakate gehalten. Zufällig kam ich nach der ersten großen Kleberunde nach Hause und habe in der SZ einen Artikel über die ungewisse Zukunft des Schulcoachs an der Pestalozzi-Oberschule gelesen. Daraufhin bin ich noch einmal losgezogen und die Aktion ist politischer geworden, als ich gedacht hatte. Danach kamen dann Zuschriften, die mich auf andere Dinge aufmerksam gemacht haben. Da ich damals in Elternzeit war, war ich sowieso viel draußen und konnte mir die Dinge in Ruhe ansehen.

Gab es einen bestimmten Punkt, an dem die Kritik bei den Reaktionen im Vordergrund stand?

Auf den Plattformen im Internet ist es bis zum Schluss eher positiv begleitet worden. Was außerhalb von Facebook passiert ist, hat mich zunächst wenig interessiert, weil ja niemand wusste, wer ich bin. Als das dann rauskam, habe ich eine einfachere Angriffsfläche geboten. Die hauptsächliche Kritik kam von der Stadt Löbau selbst.

Die Stadt hat zudem ja nicht nur kritisiert, sondern auch Anwaltsschreiben verschickt und Ihr als Geschenk verpacktes Fotoalbum an das Landeskriminalamt übergeben, um es auf verdächtige Substanzen untersuchen zu lassen ...

Ja, weil kein Absender dabei war.

Hat es inzwischen ein klärendes Gespräch mit dem OB gegeben?

Nein. Ich denke, der OB sieht mich eher in der Situation, dass ich auf ihn zukommen müsste, weil ich der Unruhestifter war.

Haben Sie Interesse an einem solchen Gespräch?

Wenn er es nur führen will, um mich abschließend zurechtzuweisen, kann ich es mir sparen. Wenn er sich anhören will, worum es eigentlich ging und ob man daraus etwas machen könnte, natürlich gern.

Wie stehen Sie zu der ablehnenden Haltung des OB?

Die ersten Aussagen aus der Stadtverwaltung waren ja gar nicht nur negativ. Aber je länger es dauerte, umso negativer wurde es. Das finde ich schade. Ich denke, es wäre relativ einfach gewesen, das zu nutzen und zu sagen, hier sagen Bürger, was ihnen nicht passt, vielleicht können wir da etwas draus machen. Das hätte ich persönlich schöner gefunden, als mit Anwaltsschreiben zu reagieren. Außerdem hat es wegen der Aktion Anrufe bei meinem Arbeitgeber gegeben. Ich denke, das kann keine angemessene Reaktion für eine Stadtverwaltung sein.

Gehört Resignieren zu den Gründen, wegen denen Sie jetzt aufhören?

Nein. Ich bin froh, dass mit „Löbau lebt“ eine Initiative da ist, in die ich genauso viel Zeit investieren kann, und die positiv wahrgenommen wird. Und ich lasse mir wie gesagt eine private Facebookseite offen, auf der ich noch Kommentare schreiben kann.

Welches Fazit ziehen Sie denn aus der Aktion?

Einerseits hat man gemerkt, dass die Leute im Internet nicht nur zu Hause sitzen wollen, sondern auch rauskommen, wenn man sie motiviert und ein bisschen dazu zwingt. Bei der Streichaktion in der Brunnenstraße waren nachdrückliche Aufrufe nötig. Dann hat sich zwar trotzdem nur ein Bruchteil aktivieren lassen, aber es waren halt immer noch 40 Leute da. Ich selbst habe dadurch viele neue Kontakte geknüpft. Auch die Mitglieder von „Löbau lebt“ sind sich dadurch zum ersten Mal begegnet. Schon dafür und um zu zeigen, dass man mit so einer Seite Stimmen von Einwohnern relativ leicht einfangen kann, hat es sich gelohnt.

Sie haben lange gezögert, sich mit Ihrem Namen in der Öffentlichkeit zu der Aktion zu bekennen. Warum?

Ich fand es einfach nicht relevant. Es hätte nur dazu beigetragen, das Ganze in eine politische Richtung einzuordnen. Ich habe versucht, es so lange wie möglich ohne Politik laufen zu lassen und nur die Plakate sprechen zu lassen. Am Ende war der Name ein offenes Geheimnis, da wollte ich dann aber trotzdem konsequent bleiben.

Hätten Sie etwas anders gemacht, wenn Sie gewusst hätten, wie sehr die Aktion polarisiert?

Wahrscheinlich nicht. Es ist einiges Positives passiert. Der Bürgerstammtisch zum Wettiner Brunnen war zum Beispiel sehr interessant. Früher oder später hätte ich auf eine politische Gruppierung zugehen müssen, um Unterstützung zu erhalten. Von daher ist es gut, dass es automatisch so passiert ist.

Hat es mit der Bürgerliste eine Zusammenarbeit gegeben?

Zusammenarbeit würde ich nicht sagen, aber es hat sich vieles überschnitten. Die Bürgerliste hat oft interessiert reagiert. Da bin ich hellhörig geworden und habe mich gern dort eingebracht. Die anderen Parteien habe ich auch angeschrieben. Es haben aber nicht alle reagiert. Außerdem fand ich die Dinge, die bei der Bürgerliste passiert sind, schon vorher gut. Ich hatte mich dort schon mal engagiert, das hatte sich dann aber verlaufen. Durch „Löbau antwortet“ bin ich dann das erste Mal stärker mit Politik in Löbau in Berührung gekommen.

Inzwischen ist die erste große Aktion von „Löbau lebt“ mit der Gewandhaus-Öffnung vorbei. Hätte es das ohne „Löbau antwortet“ nicht gegeben?

Ich denke, früher oder später hätte sich schon jemand mit einem ähnlichen Projekt gefunden. Es ist aber insofern daraus entstanden, dass wir uns bei einem Bürgerstammtisch, bei dem über „Löbau antwortet“ und die Sache mit dem Wettiner Brunnen gesprochen wurde, zum ersten Mal getroffen haben.

Wie geht es bei „Löbau lebt“ jetzt weiter?

Am 12. Juni sehen wir uns selbst zum ersten Mal alle wieder. Dann machen wir eine Grobauswertung der Gewandhaus-Aktion und legen unseren weiteren Zeitplan für das Jahr fest: Wie schnell geht die Vereinsgründung, welche Projekte wollen wir anschieben, was ist von außen an uns herangetragen worden?

„Löbau lebt“ hat sich nach der ersten Findungsphase mit Namen und Gesichtern präsentiert und sehr viel mehr bewegt als „Löbau antwortet“. Gehört es zum Fazit dazu, dass sich mehr erreichen lässt, wenn man mit offenem Visier kämpft?

Bei „Löbau antwortet“ war es gut, dass es am Anfang mysteriös war, weil sich sehr viele Leute gefunden haben und niemand ausgeschlossen wurde, weil ich schon in irgendeiner Richtung bekannt oder eingeordnet gewesen wäre. Ob mit meinem Namen oder Gesicht dahinter mehr oder weniger passiert wäre, kann ich nicht einschätzen. Bei „Löbau lebt“ ist die Offenheit ungeheuer wichtig und hat uns auch viel Zuspruch gebracht. Das wollen wir auch unbedingt so beibehalten.