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„Ich finde, das Gehalt passt“

Bundesweit streiken Kita-Erzieherinnen in der dritten Woche. Doch längst nicht überall bleiben die Türen zu. In Dresden arbeiten viele Frauen bewusst weiter. Mehr Geld allein sei keine Lösung, sagen sie.

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© dpa

Von Christiane Raatz und Jörg Schurig

Dresden. Ulrike Boßeckert liest vor, bastelt, spielt mit den Jungen und Mädchen. Die Erzieherin kommt weiterhin zur Arbeit in die städtische Kita „Hügelland“ in Dresden - auch wenn bundesweit Tausende ihrer Kolleginnen streiken und viele Kitas geschlossen bleiben. Mittlerweile geht der Streik in die dritte Woche. Die 37-Jährige distanziert sich bewusst von der zentralen Forderung der Gewerkschaften: Einem Lohnplus von durchschnittlich zehn Prozent.

„Ich finde, das Gehalt passt. Ich möchte lieber mehr Erzieher und einen besseren Betreuungsschlüssel.“ Ein paar Euro mehr auf dem Konto lösten die Probleme in den Kitas nicht, ist die Diplom-Soziologin überzeugt. Sachsen gehört mit einem Betreuungsschlüssel von derzeit einer Erzieherin für 13 Kinder im Kindergarten und einem Schlüssel von 1:6 in der Kinderkrippe bundesweit zu den Schlusslichtern.

Auf dem Rücken der Familien

Der Streik werde zu sehr auf dem Rücken der Familien ausgetragen, findet Boßeckert. „Die Kinder können nichts dafür. Und für Eltern, die keine Möglichkeit haben ihr Kind abzugeben, finde ich das ganz schlimm.“ Dicht um sie gedrängt steht ein halbes Dutzend Dreijährige. Boßeckert liest wieder vor - und die Kinder flüstern und jubeln eifrig mit.

Mit ihrer Meinung steht Boßeckert nicht allein: Von den 19 Erziehern, die in der Kita „Hügelland“ rund 170 Kinder betreuen, kommen zwei Drittel auch in diesen Tagen zur Arbeit. Zwischen fünf und sieben Erzieher sind dagegen im Ausstand. Auch in anderen Dresdner Kitas sind die Erzieher unter sich gespalten.

Das macht sich im Kita-Alltag bemerkbar: Nur ein Teil der Kinder kann betreut werden, geplante Ausflüge müssen abgesagt, Öffnungszeiten verkürzt, neue Kinder können nicht eingewöhnt werden. „Wir sind wie aus den Angeln gehoben“, sagt Kita-Leiterin Cornelia Wunderwald. Auch sie kommt zur Arbeit. „Wir sind von der Anzahl der Kinder und dem Anspruch, den die Gesellschaft an uns stellt, schlichtweg überfordert“, sagt sie. „Das macht uns frustriert, nicht das Gehalt.“

Beruf im Wandel

Im Lauf der Jahre habe sich der Job einer Erzieherin verändert, so Wunderwald. Früher sei der Kita-Alltag klar strukturiert gewesen: Beschäftigung, Essen, Schlafen. Die Kinder mussten sich anpassen, Platz für Freiraum gab es kaum. „Träumer wurden herangezogen, die Schnellen gebremst.“ Heute gehe es darum, auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen, sie so gut wie möglich zu fördern. Auch die Anforderungen der Eltern seien gestiegen.

Neben mehr Erziehern bedürfe es daher einer Ausbildung, die dem heutigen Anspruch gerecht werde, meint Wunderwald. Vor allem Wissen über frühkindliche Bildung fehle vielen Neueinsteigern.

Frühkindliche Bildung ist spätestens seit 2002 ein Schlagwort. Damals löste die erste Pisa-Studie in Deutschland einen Schock aus. Auch wenn der internationale Leistungsvergleich 15-Jährige betraf, war klar, dass Defizite schon früher behoben werden müssen. Bereits 1998 konnten Forscher in einer Studie erhebliche Unterschiede im Entwicklungsniveau gleichaltriger Kinder nachweisen - je nachdem wie gut die pädagogische Arbeit in den Kinderkrippen und Kindergärten ausfiel. Auch die 2012 veröffentlichte Nubbek-Studie habe ähnliche kritische Ergebnisse wie die Untersuchung 14 Jahre zuvor erbracht, berichtet die Dresdner Erziehungswissenschaftlerin Yvonne Zill-Sahm.

Bildungspläne nicht immer verbindlich

Dass die 16 Bundesländer als Konsequenz aus Pisa damals jedes für sich eigene Bildungspläne auflegte, bewertet Zill-Sahm durchaus kritisch. Die Pläne bilden eine wichtige fachliche Grundlage und Orientierung für die pädagogische Arbeit in Kitas. Sie weisen aber nicht nur ein sehr unterschiedliches Niveau auf, sondern haben auch einen abweichenden Grad an Verbindlichkeit. „Es gibt Bundesländer, da ist das ein Muss, bei anderen ein Soll und bei manchen heißt es: man kann, wenn man will.“

Auch ihr Kollege Thomas Drößler hält die Debatte um eine höhere Wertschätzung für Erzieherinnen für angebracht. „Es klingt ja abgedroschen, wenn ich sage: Erzieherinnen haben als erstes unser größtes Kapital in den Händen. Aber so ist es nun mal.“ Betreuungsquoten von mehr als 95 Prozent in Ländern wie Sachsen machten deutlich, welche Bedeutung dieser Sektor habe.

In der Kita „Hügelland“ gibt es Themenräume wie Theaterwerkstatt, Forscherlabor oder Holzwerkstatt. Die Erzieher kümmern sich aber nicht nur um die Kleinen. Sie müssen für jedes Kind die Entwicklung dokumentieren, Elterngespräche führen, Praktikanten betreuen. Feste, Themenwochen und Ausflüge werden vorbereitet - oft außerhalb der regulären Arbeitszeit, weil es anders nicht geht.

Auch wenn der Job nicht immer leicht ist: „Ich habe mich bewusst für die Arbeit mit Kindern entschieden“, sagte Erzieherin Ulrike Boßeckert. Sie liebt ihren Beruf - und hofft, dass bald wieder Alltag in ihrer Kita einkehrt. (dpa)