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„Ich brauche den Staatsrollator nicht“

Holger Zastrow bleibt Chef der FDP. Er gewinnt die Abstimmung aber nur knapp. Die Partei wirkt gespalten.

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© dpa

Von Thilo Alexe

Nach der Hälfte seiner einstündigen Rede ist Holger Zastrow ganz bei sich. Seine Pointen zünden, er hat den Applaus auf seiner Seite und das liberale Gewissen gestreichelt. Der FDP-Landeschef präsentiert sich als Macher, den die schwerfällige staatliche Bürokratie hemmt: „Ich brauche den Staatsrollator nicht, ich will selber laufen.“ Zastrow will „die deutsche Krämerseele angreifen“, die FDP zur Lobby derer machen, die „anpacken“. Das alles klingt bekannt. Im Applaus geht fast unter, dass der 48-jährige Dresdner PR-Unternehmer auch nachdenkliche Töne anschlägt, die seiner flotten Rede eine Widersprüchlichkeit verleihen. „Wer in der Politik einfache Lösungen verspricht, der schwindelt.“ Mehr als 240 Delegierte müssen sich entscheiden: Wollen sie den seit 1999 amtierenden Landeschef Zastrow bestätigen? Oder braucht die mittlerweile außerparlamentarische FDP vor der Bundestagswahl im Herbst und zwei Jahre vor der Landtagswahl einen Neuanfang? Die Antwort: Die Liberalen wissen es nicht so genau. Sie wählen Zastrow mit knappem Ergebnis zum Landesvorsitzenden. Sein Herausforderer, der 37-jährige Parteivize Robert Malorny, erhält nur 26 Stimmen weniger.

Vorwurf: Kein sächsischer Schwung

127 FDP-Mitglieder wählen Zastrow, 101 Malorny, der Rest enthält sich oder lehnt beide Kandidaten ab. Anders gesagt: Zastrow hat etwas mehr als die Hälfte der Delegierten hinter sich – die FDP wirkt gespalten. Das bestätigen indirekt die unzähligen Appelle von Rednern in der Aussprache um Geschlossenheit. Unverblümt beschreibt Malorny, ehemaliger Offizier und Maschinenbauingenieur, das miese Klima in der Landes-FDP. Er berichtet von nächtlichen Anrufen und „Hasstiraden“, die ihn nach Ankündigung seiner Kandidatur erreichten. „Das gehört sich nicht für eine freiheitlich-demokratische Partei.“ Was ist der Grund für diesen tief verankerten Dissens? Delegierte geben Aufschluss: Helmut Froböse aus Meißen sagt, ein Neuanfang benötige auch neues Spitzenpersonal. Der Leipziger Marcus Viefeld führt jüngste Erfolge in Schleswig-Holstein und NRW darauf zurück, dass die dortigen Liberalen auf einen Mix aus Empathie, Weltoffenheit, Lösungsorientiertheit und Klarheit gesetzt hätten: „Mir fehlt die Übersetzung ins Sächsische.“ Der Dresdner Stefan Scharf richtet die Vorwürfe an Zastrow direkt. Vorgeblich besorgte Bürger drohten dem Dresdner FDP-Rathauschef Dirk Hilbert mit Mord, Zastrow aber kümmere sich als Stadtrat um Brückengeländer. „Es gab keine Silbe zur gesellschaftlichen Entwicklung.“ Der Beifall zeigt, dass Scharf damit einen zentralen Aspekt berührt. Wie soll es die Partei mit Pegida, mit Protest und Populisten halten? Zastrow predigt „Sachlichkeit und Fachlichkeit“, die die FDP auszeichneten, „während andere in Dresden Busse anbrüllen“. Doch etlichen ist das, was aus dem Landesvorstand an Debatten kommt, zu mau. Die FDP, bemängeln mehrere Redner, werde zu sehr auf das Thema Steuersenkung reduziert. „Wir führen zu wenig gesellschaftspolitische Diskussionen“, kritisiert Malorny. Und er fragt in den Saal, ob man Debatten, wie die um Leitkultur und Einwanderung, tatsächlich der politischen Konkurrenz überlassen solle.

Malorny wird bejubelt, letztlich entscheiden sich die Delegierten, entscheidet sich die FDP aber für das Bewährte. Sie wählen Zastrow, der die Partei 2004 zurück in den Landtag führte. Der Chef spricht angesichts der Verwerfungen von einem „klasse Ergebnis“. „Wir haben eine schlimme Zeit hinter uns“, ergänzt er und spielt auf die Abwahl der schwarz-gelben Koalition 2014 an, die die FDP erneut aus dem Parlament brachte. Die Spaltung, das zeigt sich am Beifall, verläuft teils durch die Kreisverbände. Dennoch wird der Zastrow-Vertraute Torsten Herbst als Generalsekretär bestätigt. Vize-Landeschefs sind unter anderem die Ex-Landtagsabgeordnete Anja Jonas und der frühere sächsische Justizminister Jürgen Martens. Der will „mehr Deutlichkeit“ mit Blick auf Pegida. Zastrow weiß: „Es wird meine Aufgabe sein, die Partei wieder zusammenzuführen.“