Merken

Honeckers Zugpferd

Eine von vier Loks des Regierungszugs der DDR steht in Pirna. Die 50 Jahre alte Dame tut noch immer Dienst.

Teilen
Folgen
NEU!
© Katja Frohberg

Von Franz Werfel

Sie sind nicht nur dicke Freunde. Sie sind auch fast ein Baujahr. 1964, als in Ost- wie Westdeutschland so viele Kinder wie nie zuvor und nie danach geboren wurden, entstand im VEB Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg die Lok V 180-052. Am 12. Januar des Folgejahres nahm sie ihren Staatsdienst auf. Mit zwei Dieselmotoren und einer Gesamtkraft von 1 800 PS.

Fünf Monate später wurde Rocco Barth geboren. Er machte eine Ausbildung zum Eisenbahnschlosser und später seinen Lokführerschein. Als kleiner Junge hätte er sich nie träumen lassen, einmal eine jener Loks selbst zu fahren, die auf vielen Reisen die Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, Willi Stoph und später Erich Honecker durch das In- und Ausland zogen. Unzugänglich für die Öffentlichkeit standen vier Sonderanfertigungen der Baureihe V 180 im Bahnbetriebswerk Berlin-Rummelsburg. Dort durfte man sie nicht einmal fotografieren. Zwar waren es serienmäßige Loks. Doch verfügten sie über einige Besonderheiten, wie den Zugfunk.

Nach 27 Dienstjahren wurde die Lok am 27. Juli 1992 entlassen – und zur Verschrottung freigegeben. Vor diesem Schicksal bewahrte sie die bayerische Regentalbahn, die zwischen Sachsen, Bayern und Tschechien verkehrt. Sechs Jahre später wird sie vom gerade erst gegründeten Eisenbahnunternehmen ITL gekauft. Neben dem Kaufpreis haben die neuen Besitzer noch einmal etwa 300 000 Euro in den 78-Tonner gesteckt. Will die Lok noch fahren, muss sie schließlich alle Kriterien für den deutschen Schienenverkehr erfüllen. Dazu gehören neben dem Zugfunk ein GPS-System sowie moderne Zugsicherungssysteme für schnelle Bremsvorgänge.

„Wir wollten diese Lok erhalten, weil sie eine besondere Geschichte hat“, erzählt Rocco Barth, der mittlerweile die ITL-Werkstatt in Pirna leitet. Der willkommene Nebeneffekt: Vor Ort arbeiten die Männer, die es noch gelernt haben, so eine Lok zu warten und zu reparieren. Notwendige Ersatzteile gibt es noch zu kaufen. Wie lange noch, ist ungewiss.

„Ihre Form und ihre Farbe – es ist die schönste Lokomotive, die je gebaut wurde“, sagt Barth. Bei der ITL fährt die Lok noch deutschlandweit planmäßig ihre Dienste. „Natürlich läuft sie über riesige Strecken nicht mehr so zuverlässig wie in jüngeren Jahren.“ Deshalb wird sie vor allem für Leertransporte oder zum Rangieren eingesetzt.

Da die ITL zu 100 Prozent der französischen Staatsbahn SNCF gehört, ist sie – wenn man so will – immer noch Staatsdienerin. Wenn das der alte Erich wüsste.