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Hoffnung am Weinberg

Ohne Hunderte Kleinwinzer wäre die Weinlandschaft im Elbtal nicht zu erhalten. Nach der Hysterie um ein Spritzmittel ließ man ihre Genossenschaft im Regen stehen. Bringt die Lese jetzt den ersten Lichtblick?

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© Matthias Rietschel

Von Thomas Schade

Am Fuße des Kronenberges vor den Toren von Meißen sitzt Tobias Thürmer vor zwei Metallböcken. Auf denen liegt ein langer dicker Knüppel quer. An dem Knüppel hängt ein tropfenförmiges Drahtgestell. An dem Gerippe befestigt er eine Weintraube neben der anderen. Den Cabernet Blanc hat er gerade vom Stock geschnitten. Etwas mehr als 40 Kilo braucht Thürmer für die Kalebtraube, die er immer um diese Zeit bindet -- seit sechs Jahren schon. Sie ist ein Symbol mit religiösem Ursprung. Zwei Winzer, einer ist Thürmers Sohn Thomas, werden die riesige Traube am Abend zur Eröffnung des Meißner Weinfestes tragen. Die Kalebtraube symbolisiert Lebenslust, aber auch die Last, die Weinbauern gemeinsam zu tragen haben. Die eineinhalbtausend Kleinwinzer der Meißner Winzergenossenschaft haben in diesem Jahr schwer zu tragen.

Tobias Thürmer ist einer von ihnen. Vor 17 Jahren entdeckte er den Weinbau für sich, zunächst im benachbarten Reichenberg. Jetzt bewirtschaftet er den Kronenberg, auf dem schon vor mehr als 400 Jahren Rebstöcke wuchsen und der seinen Namen einer Steinmauer verdankt. Schaut man vom Fuße des Berges hinauf, so sieht die oberste Trockenmauer aus rotem Granit wie eine Krone aus. Der Weg dorthin führt vorbei an Traminerreben, an denen braungelbe Trauben in großer Menge auf die Lese warten. Thürmer quetscht den Saft einer Beere auf die Glasscheibe seines Refraktometers, richtet das Messgerät zum Himmel, schaut durch das Okular und sagt: „Über 90 Öchsle, ein paar Tage bleibt er noch hängen.“

Einsam liegt zwischen den Reihen ein Pflug, der aus der Zeit der Bodenreform stammen könnte. Oben unter der Kronenmauer steht die elektrische Seilwinde. Beide Gerätschaften wird Thürmer brauchen, wenn er nach der Lese im Spätherbst die Winterfurche zieht, um die Veredlungsknoten seiner Stöcke vor Frost zu schützen. Dann hängt er den Pflug an das Stahlseil der Winde, zerrt ihn hinunter bis zum Fuße des Berges. Die elektrische Winde zieht den Pflug wieder hinauf. Thürmer muss ihn führen, möglichst nah am Weinstock, ohne die Wurzeln zu zerstören. Reihe für Reihe – eine Knochenarbeit, auch für einen großen, stattlichen Kerl wie ihn, der etwa 2 500 Weinstöcke pflegt und damit schon einer der Größeren unter den Kleinwinzern ist. „Ein bisschen verrückt muss man schon sein, um so etwas zu machen“, sagt er und gesteht, dass ihm schon mal die Knochen schmerzen nach einem Tag hinter dem Pflug. Dabei zählt der 50-Jährige zu den jüngeren Mitgliedern der Winzergenossenschaft Meißen. Im Durchschnitt sei das eher eine Ü-60-Party.

Zurzeit bewirtschaften rund 1 500 Mitglieder der Winzergenossenschaft etwa die Hälfte der schwer zugänglichen Steillagen und Terrassen, die von Imageexperten so gern als landschaftliches Kleinod im Elbtal gepriesen werden. Es gab Zeiten, da waren es 300 Winzer mehr. Aber von Nachwuchssorgen mag keiner reden. „Wer diese Arbeit auf sich nimmt, ist mit der Sache auch innerlich eng verbunden und nimmt einiges in Kauf“, sagt Tobias Thürmer. Aber, was vor fast einem Jahr losgetreten worden sei, das könne einem „schon den Spaß an der Freude verderben“.

Im Herbst 2015 entdeckten Kontrolleure im Goldriesling eines privaten Weingutes den Pflanzenschutzwirkstoff Dimethoat, der im Weinbau nicht zugelassen ist. Die Winzergenossenschaft erfuhr erst am 26. Februar, also vier Monate später davon. „Wir haben daraufhin unsere Produktion gestoppt, Weine gesperrt und unsere Produkte eigenverantwortlich analysiert“, sagt Lutz Krüger, der Geschäftsführer der Winzergenossenschaft. Krüger und Thürmer verstehen bis heute nicht, dass die zuständigen Behörden des Landes diese Information monatelang für sich behielten, während in den Tanks der Genossenschaft und anderer Weingüter Tausende Liter betroffener Weine reiften. Bald war vom „Weinskandal“ die Rede. Mitte März seien 545 000 Liter Wein der Jahrgänge 2014 und 2015 mit Rückständen von Dimethoat belastet gewesen, teilte der Landwirtschaftsminister auf Nachfrage mit. Durch das Fehlverhalten einiger weniger sei die Arbeit von mehr als zweitausend sächsischen Winzern in Misskredit geraten, so der Geschäftsführer Krüger.

Seither bestimmt Krisenmanagement einen erheblichen Teil seiner Arbeit. Das Abfüllen der Weine des Jahrgangs 2015 auf die Flaschen wurde verschoben. „Bei den Selbstkontrollen fanden auch wir Hinweise auf belastete Weine in unserem Keller.“ Die Winzergenossenschaft verzichtete darauf, diese Weine auf den Markt zu bringen. Lutz Krüger: „Ein Verbot der Behörden lag nie vor.“ Tausende Liter blieben in den Tanks. Erhebliche Mengen wurden vernichtet, weil die Tanks für den neuen Jahrgang gebraucht werden. Konkrete Zahlen möchte der Geschäftsführer nicht nennen.

Fast gleichzeitig, als Tobias Thürmer im Kronenberg an seiner Kalebtraube arbeitet, düst Lutz Krüger in der Meißner Altstadt zwischen Roter Schule und Kleinmarkt hin und her. Seine Genossenschaft ist auf dem diesjährigen Weinfest mit zahlreichen Ständen vertreten. Hemdsärmelig gibt der Chef Stunden vor der Eröffnung letzte Anweisungen, teilt Wechselgeld aus und fragt, ob überall ausreichend Ware vorhanden ist. Nach dem Wochenende, an dem Tausende am Fuße der Albrechtsburg durch die Stadt zogen, hat er „ein gutes Gefühl“. Man habe gut verkauft, aber in Zahlen lasse sich das noch nicht fassen. Gerade in diesem Jahr sind die Umsätze bei solchen Festen wichtig. „Wir spüren, die Leute wenden sich nicht ab von unserem Wein, und das zählt“, sagt Krüger. Auch von den Kunden im Handel und in der Gastronomie sei kaum einer abgesprungen.

Die vielen Kleinwinzer, die ihre Trauben im Herbst 2015 an die Genossenschaft geliefert hatten, spüren nun die Folgen der Malaise. Er habe positive, aber auch schwierige Diskussionen mit den Genossen hinter sich, sagt Krüger. „Eine Genossenschaft kann nur das Geld verteilen, das vorher erwirtschaftet wurde.“ Vernichteter Wein sei vernichtetes Geld. Es habe Winzer gegeben, die für die schwierige Lage kein Verständnis hatten, sagt der Geschäftsführer. „Aber der größte Teil zeigt sich solidarisch. Man merkt, in der Not rücken die Mitglieder eher zusammen und sagen: Da müssen wir jetzt durch -- um der Zukunft willen.“ Die Auszahlung des Traubengeldes begann planmäßig. Nur nicht in voller Höhe. Dank des Verständnisses der Genossen und solider Arbeit in den letzten Jahren stehe „das Haus ordentlich da“.

Inzwischen hat die Winzergenossenschaft eine Sachverständigenkommission gebildet, die die Rebkulturen der Mitglieder begutachtet und den Vorstand informiert, wo sie Mängel festgestellt. Alle Kleinwinzer sind verpflichtet worden, den Pflanzenschutz in ihren Parzellen lückenlos zu dokumentieren. Erstmals nimmt die Winzergenossenschaft während der gegenwärtigen Weinlese schon aus dem Most Proben und schickt sie zur Analyse ins Labor. Diese teuren und aufwendigen Analysen sind notwendig, um frühzeitig eventuelle Belastungen zu erkennen. „Auf die Analysen, die der Freistaat am Ende der Produktionskette durchführt, können wir nicht warten“, sagt Krüger. Zufrieden stellt er fest: Alles, was an Trauben bisher gepresst wurde, sei auch sauber. Auch in Menge und Qualität erwartet der Chef der Winzergenossenschaft „einen Jahrgang, der über dem Durchschnitt liegen dürfte“.

Trotz guter Aussichten fühlen sich viele Mitglieder der Winzergenossenschaft im vielleicht schwierigsten Jahr seit der Gründung 1938 „im Regen stehen“ gelassen, sagt Tobias Thürmer. „In guten Zeiten prahlt man in Dresden gern mit der Weinkultur im Elbtal und den vielen kleinen Hobbywinzern, die sie erhalten“, sagt er. „In schwierigen Zeiten wie diesen flüstert man dort hinter vorgehaltener Hand ,Skandal‘ und steckt den Kopf in den Sand.“ Thürmer weiß, dass viele so empfinden, er engagiert sich auch in der Meißner Weinbaugemeinschaft, dem ältesten Winzerverein Sachsens.

Genossenschaftschef Krüger pflichtete Thürmer bei. „Ich habe vor Monaten Briefe an Landespolitiker geschrieben, um Hilfe gebeten und Vorschläge gemacht. Von einigen habe ich bis heute keine Antwort.“ Deswegen arbeite die Genossenschaft eng mit den zuständigen Stellen des Kreises zusammen. In Dresden sei lediglich „die Kontrollwut ausgebrochen“. Auch im Kronenberg habe man schon Rindenproben genommen, sagt Tobias Thürmer. In der Rinde des Stockes lassen sich Pflanzenschutzmittel auch nach Jahren nachweisen. „Ich habe nie wieder von den Leuten gehört“, sagt Thürmer, „wer etwas auf seine Weinstöcke hält, der spritzt eh mit Bedacht.“

Der Pflanzenschutz ist derzeit nicht der einzige Konflikt, der Elbtalwinzer derzeit zu schaffen macht. Hunderte streiten sich seit Monaten mit der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, die versucht, fast alle Hobbywinzer zu Unternehmern zu machen. Das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie hatte dieser Berufsgenossenschaft die persönlichen Daten sächsischer Weinbauern zur Verfügung gestellt. Seiher werde versucht, von den Hobbywinzern Beiträge einzutreiben. Die rechtliche Grundlage sei ein Gesetz aus Bismarcks Zeiten, sagt Lutz Krüger.

Um ihre Mitglieder vor dieser Zwangsmitgliedschaft zu schützen, hat die Winzergenossenschaft eine Musterklage auf den Weg gebracht und ist jetzt in der zweiten Instanz. „Wir müssen durch alle Instanzen“, sagt Krüger und hofft: „Ganz oben erkenne man vielleicht, dass hier antiquiertes Recht vollzogen wird.“ Nur höchste Gerichte seien in der Lage, den Gesetzgeber aufzufordern, das Sozialgesetzbuch an dieser Stelle zu ändern. „Auch die Politik selbst könnte darauf kommen“, sagt Krüger, „wir haben versucht, einige Politiker dafür ins Boot zu holen. Aber da ist es still geworden“. Lutz Krüger versucht, seine Mitglieder auch an dieser Stelle um Geduld zu bitten. Er schließt nicht aus, dass die sogenannte Zwangsmitgliedschaft in der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft mehr kleine Winzer veranlassen könnten aufzugeben, als die Sache mit dem Pflanzenschutz.

Am Fuße des Kronenberges knüpft Tobias Thürmer nach zwei Stunden immer noch an der Kalebtraube. Auch er hat Widerspruch eingelegt und will sich nicht in die Berufsgenossenschaft zwingen lassen. Derzeit hätten Kleinwinzer tatsächlich nicht allzu viel Grund zu jubeln. „Am besten, man schaut nur nach vorn“, sagt er. „Aber wir müssen auch lernen aus dem, was war.“ Beim Anblick seines Traminers hellt sich das Gesicht des 50-Jährigen auf. „Der bringt heuer mehr als 100 Öchsle.“ Tobias Thümmler zieht aus dem Kofferraum seines Autos eine Flasche Bier heraus und lacht: „Ist nicht verboten, auch nicht für Winzer.“