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Hilfe, die Post kommt

Flüchtlingsfamilie Sido zittert vor Behördenbriefen: Legionellenbeprobung? Schweigepflichtsentbindung? Wie bitte?

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© kairospress

Von Olaf Kittel

Jeder Gang zum Briefkasten ist für Familie Sido mit der bangen Frage verbunden: Was wollen die Behörden heute von uns? Und vor allem: Können wir verstehen, was da steht, selbst wenn wir die Worte kennen? Roshan und Rozan Sido, die syrischen Flüchtlinge, die die SZ seit über einem Jahr begleitet, lernen fleißig Deutsch, ihre Fortschritte sind beachtlich. Trotzdem ... Der Wohnungsvermieter Vonovia schickte kürzlich einen Brief mit der Überschrift: „Legionellenbeprobung“.

Wie bitte? Was? Klar, Deutsche kennen sich mit allerlei Bakterien aus und drehen brav vor der Beprobung den Wasserhahn auf. Kurdische Syrer verstehen Bahnhof. Die Vonovia, die sich sonst sehr gut und serviceorientiert um die Flüchtlinge in ihren Wohnungen kümmert, könnte da ruhig noch einen Satz einfügen, was Legionellen sind und dass regelmäßig Proben genommen werden müssen, damit wir alle gesund bleiben.

Aber es geht noch viel schwieriger. Als die Sidos im vergangenen Jahr aufgefordert wurden, sich eine eigene Wohnung zu suchen, hätten sie eigentlich einen eigenen Berater für Umzugsangelegenheiten gebraucht. Es fing damit an, dass das Jobcenter einen „Antrag zum Umzug“ schickte, den die Sidos ausfüllen mussten. Leicht verständlich, kein Problem. Ins Grübeln kam Familie Sido aber über den Titel:

Antrag zum Umzug für eine Zusicherung zur Angemessenheit einer neuen Unterkunft und der Notwendigkeit eines Umzugs nach § 22 Abs. 4 und 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“.

Deutsche Freunde gaben den einzig richtigen Tipp: Den Titel einfach ignorieren. Aber warum muss der überhaupt so über dem Fragebogen stehen? Und warum kann man den nicht ins Deutsche übersetzen? Dann sollten sich die Sidos beim Sozialamt einen Wohnberechtigungsschein besorgen. Hat geklappt. Der Schein ist auch gut zu verstehen. Doch dann wieder der Titel:

Bescheinigung über eine Wohnberechtigung zum Bezug einer belegungsgebundenen Wohnung nach der Satzung der Landeshauptstadt Dresden über die Erteilung von Wohnberechtigungsscheinen für vertraglich belegungsgebundene Wohnungen (Satzung WBS Typ „L“).

Mit langjähriger Behördenerfahrung kann ein Deutscher das unter Umständen begreifen. Der Wahnsinn ist aber steigerungsfähig. Anschließend lag folgender Brief vom Sozialamt bleischwer im Briefkasten:

Gebührenerhebung für die Unterbringung in einer Unterbringungseinrichtung; Einholung von Schweigepflichtsentbindungen zur direkten Verrechnung mit dem Jobcenter Dresden.

Entbindungen? Was denn für Entbindungen? Diesmal ist nicht nur der Titel ein einziges Rätsel, der ganze Brief ist in diesem Stil. Nur erfahrene Sozialbetreuer konnten noch erklären, worum es dem Amt überhaupt geht. Muss das sein? Können sich Mitarbeiter der Behörde vorstellen, einen solchen Brief in arabischer Sprache mit solch einem Kauderwelsch zu erhalten? Einen Brief, der auch noch sehr wichtig ist?

Familie Sido hat mit nun fast zwei Jahren Deutschland-Erfahrung ein mehrstufiges System für sich entwickelt, wie sie damit umgeht. Allerdings ist das nicht immer zu ihrem Besten. Zunächst versuchen sie natürlich, den Inhalt zu verstehen, nutzen Übersetzungsprogramme, fragen syrische Verwandte und Bekannte, die auch hier leben. Wenn sie den Inhalt dann immer noch nicht verstehen, sortieren sie: Was sie nicht für dringlich halten, legen sie zur Seite. Manchmal geht das gut. Meist folgt aber ein Mahnschreiben, aus dem oft nicht einmal klar hervorgeht, worauf es sich bezieht. Die Sidos fangen dann an, hektisch in ihren Unterlagen zu suchen. Manchmal ist den Mahnungen auch ein Gesetzesauszug angehängt:

Folgen fehlender Mitwirkung. Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.

Sachlich bestimmt alles richtig. Familie Sido würde ihren Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 auch gern nachkommen. Es sind schließlich gewissenhafte Leute, die jedes Schreiben, das sie bekommen, in Klarsichthüllen packen und dann sauber abheften. Da sind sie schon sehr deutsch. Zwei dicke Ordner sind bereits voll mit Schreiben von etwa 20 verschiedenen Behörden.

Vielleicht sollten Ämter aber lieber einen Juristen weniger beschäftigen und dafür einen Übersetzer für Behördensprache ins Deutsche einstellen? Darüber würden sich nicht nur Ausländer freuen.

Leider können die Sidos, wenn wieder ein wichtiger Brief kommt, ihre Sozialbetreuerin nicht mehr fragen. Denn anerkannte Flüchtlinge haben darauf kein Anrecht mehr. Dann bleiben nur die total überlaufenen Beratungsstellen wie die vom Flüchtlingsrat. Da braucht man einen Termin und viel Geduld und muss dazu quer durch die Stadt. Manchmal bitten sie auch deutsche Freunde um Hilfe, aber die wollen sie nicht ständig behelligen. Außerdem sind keine Verwaltungsexperten darunter.

Hoffnung macht, dass es auch gute Beispiele gibt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verschickt zum Beispiel ein Merkblatt zum Integrationskurs, in dem in einer klaren Struktur die wichtigsten Fragen gestellt und die wichtigsten Antworten gegeben werden. Dies alles in einfachen und kurzen deutschen Sätzen. Auffällig gut. Geht doch.

Briefe hat übrigens kürzlich auch das Bundeszentralamt für Steuern geschickt. Gleich vier Stück. Wieder kamen die Sidos ins Grübeln. Darunter war ein Brief an Revarozma Sido, in dem ihr die Steuer-Identifikationsnummer mitgeteilt wurde. Reva ist ein Jahr alt.

Wer bitte erklärt den Sidos nun wieder, warum in Deutschland auch schon Babys Steuernummern kriegen?