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BND-Masche mit Liebesbriefen?

Wie eine Heiratsannonce die Stasi auf die Idee brachte, dass der Bundesnachrichtendienst in der DDR Agentinnen anwirbt. Eine Dresdner Archiv-Recherche.

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© BStU

Von Heinrich Maria Löbbers

Wer den ganzen Tag die Post fremder Leute liest, dem bleibt nichts Menschliches fremd. Doch so etwas war den Mitarbeitern in „Abteilung M“ der Staatssicherheit noch nicht untergekommen. Die Postkontrolleure, die immer alles heimlich mitlasen, entdeckten Anfang 1960 jede Menge Briefe mit dem gleichen Inhalt, die von Westberlin aus an Frauen in der DDR geschickt wurden. Nicht unbedingt heiß glühende Liebesbriefe waren das, aber doch vorsichtige Anbändeleien.

Die Stasi war sicher: dahinter steckte der BND.
Die Stasi war sicher: dahinter steckte der BND. © BStU

Höchst verdächtig das Ganze, ein Fall für die Hauptabteilung II/a: Spionageabwehr. „Wie aus dem Inhalt zu entnehmen war, handelte es sich dabei um Briefverkehr, der durch eine Heiratsannonce entstanden war“, heißt es im Sachstandsbericht. Schriftvergleiche bestätigten, „dass es sich bei dem Schreiber um ein und dieselbe Person handelt“. Für die Stasi lag schnell auf der Hand: hier versuchte der westdeutsche Bundesnachrichtendienst, Agentinnen in der DDR anzuwerben. Und so wurde daraus im Juni 1960 ein Zentraler Operativer Vorgang, der ZOV „Betrüger“, in den alle 15 Bezirksverwaltungen einbezogen wurden – über zehn Jahre lang .

In der Dresdner Außenstelle der Stasiunterlagenbehörde ist vor einigen Monaten eine schon sehr betagte Dame auf die Geschichte gestoßen, als sie ihre Stasi-Akte einsah. Sie hatte damals durch eine Kontaktanzeige einen Herrn kennengelernt, der offenbar weniger amouröse als politische Absichten hatte. Einmal hatte sie sich mit ihm getroffen, danach hatte sich die Stasi eingeschaltet, und die Sache war beendet. Die Offerte, in dieser Sache selbst Inoffizielle Mitarbeiterin zu werden, schlug die Dame aus.

Cornelia Herold, Sachbearbeiterin in der Dresdner Behörde, hat den Fall nun aufgearbeitet, sieben Aktenbände mit insgesamt über 1500 Seiten gesichtet, die es dazu allein in Dresden gibt. Ein Stück Zeitgeschichte aus einem Wust von Stasiakten.

Und das beginnt Weihnachten 1959. Am 26. Dezember gibt es in der „Wochenpost“ eine auffällige Annonce: „42jähriger, stattliche Erscheinung, strebsam, guten Charakter, wünscht Bekanntschaft zwecks späterer Heirat. Alter 28-36 Jahre. Vermögenslage unbedeutend, Herzensbildung entscheidet. Sehr gutes Einkommen und eigenes Haus vorhanden.“

Später erscheint das Inserat auch in anderen Zeitungen, insgesamt mit vier verschiedenen Westberliner Postfachadressen: Hans Schmidt, Peter Klinger, Willy Hahn und „Günter Hoffmann in Fa. Klink“.

„Offensiv, flächendeckend und plump“, so beschreibt Cornelia Herold die Aktion. Doch der Lockruf funktionierte. Die Stasi registriert insgesamt 125 Frauen, die mit den Adressen in Verbindung stehen. 84 werden konspirativ bearbeitet, davon allein 40 aus dem Bezirk Dresden. „Sie werden aktiv bearbeitet, d.h., es besteht reger Briefverkehr, und die Personen werden zu Besuchen nach Westberlin eingeladen“, notiert die Stasi

In einem Fall meldete sich eine besorgte DDR-Bürgerin sogar freiwillig bei der Staatssicherheit. Sie fand es offenbar verdächtig, dass ihre Freundin mit jemandem Kontakt aufnahm. Daraufhin schickte die Stasi sie selbst zum Treffen mit dem Herrn. Anschließend berichtet die Frau, der Herr habe kaum etwas von sich preisgeben wollen, aber im Café eine Quittung verlangt.

Er erzählte allerdings, dass er nicht in Berlin wohne, sondern von Westdeutschland einfliege. Daraus schließt die Stasi messerscharf, dass es sich um einen Werber des BND handeln muss, „da die Mitarbeiter des BND in Westdeutschland wohnen und zu Treffs nach Westberlin einfliegen“. Es gehe offenbar darum, weitere Kandidaten zur Werbung von Agenten kennenzulernen. Bei den Treffs habe sich gezeigt, „daß die Frauen in Westberlin ideologisch beeinflußt werden und in geschickter Weise versucht wird, sie für die Übermittlung von Nachrichten zu gewinnen“.

Allerdings ließ der Westmann, vielleicht waren es auch mehrere, die Ostfrauen zappeln. „Vielen Dank für Ihre Zuschrift. Wegen der ungeheuren Anzahl bitte ich um recht viel Geduld“, schreibt ein Günter Hoffmann an eines der Fräulein – auf einer Ansichtskarte vom deutschen Museum für Geschichte in Berlin.

In den Stasiakten gibt es viele solche Postkarten, zum Teil abgestempelt in Brasilien. Eine zum Beispiel zeigt das Teatro Amazon in Manaus. „Die Staatsoper inmitten des Amazongebietes. Gruß Günter“, steht darauf. Der BND, wenn er denn dahinter steckte, gab sich große Mühe und erfand Legenden, um die Frauen hinzuhalten. Brauchte man Zeit, um die Kandidatinnen zu überprüfen? In einem maschinengeschriebenen Brief aus Wuppertal erklärt „Hoffmann“ der „Sehr verehrten Freundin“, er habe „einen tollen Job erhalten, welcher mich vielleicht noch nach Südamerika führt“. Und er schlägt vor, die Herzensdame solle doch die Briefe an seinen Schwager senden, „denn er hat ständig meine wechselnde Anschrift bei der Hand“. Auch werde sie der Schwager „mit meiner Schwester recht nett ausführen, denn er lässt sich nie lumpen“.

Soweit die Aktenlage. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass der ZOV „Betrüger“ erst im Februar 1970 abgeschlossen wurde. Ob es sich tatsächlich um eine Kampagne des Bundesnachrichtendienstes handelte und ob wirklich Agentinnen angeworben wurden, geht nicht aus den Dresdner Akten hervor. „Da müsste man jetzt beim BND oder bei der Hauptverwaltung Aufklärung der Staatssicherheit weiterrecherchieren“, sagt Cornelia Herold.

Jedenfalls mache dieser Fall neugierig auf das Ergebnis der Historikerkommission, die im nächsten Jahr einen Bericht über das Wirken des Bundesnachrichtendienstes zwischen 1945 und 1968 vorlegen will.