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„Herbert hätte das auch getan“

Einen Tag vor Heiligabend ist Greta Wehner, Ehefrau der SPD-Legende Herbert Wehner, in Dresden gestorben. Eine persönliche Erinnerung von Christoph Meyer, dem Vorsitzenden der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung.

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© dpa/Matthias Hiekel

Von Christoph Meyer

Anfang 1998 kam ich als Geschäftsführer des Herbert-Wehner-Bildungswerks nach Dresden. Greta Wehner kennen zu lernen, erschien mir damals als Herausforderung. Sehr schwerhörig und nicht mehr gut zu Fuß, wirkte sie nicht besonders zugänglich. Doch im Arbeiten für gemeinsame Ziele wuchs schnell Vertrauen. Greta Wehner hatte Freude am Leben ohne je leichtlebig zu sein. Sie hatte Humor, völlig frei von Zynismus. Sie war in keiner Weise raffiniert, sondern stets geradlinig. Taktisch denken, das war ihr völlig fremd. Sie konnte auch anstrengend sein. Dabei war sie umsichtig und voller intuitiver Menschenkenntnis.

Als 2014 viele Flüchtlinge kamen, fühlte Greta sich an ihre Kindheit und Jugend erinnert. Damals, 1937, musste ihre Mutter Lotte mit ihr und ihrem Bruder vor den Nazis fliehen. Es war eine lebensgefährliche Situation. Aufnahme und Arbeitsmöglichkeit fanden sie in Schweden. Dort lernte ihre Mutter 1944 Herbert Wehner kennen – und ein neues Leben begann. Den Wehners wurde geholfen – und sie halfen selbst Flüchtlingen und politischen Gefangenen, ein Leben lang.

Greta, am 31. Oktober 1924 geborene Burmester, kam aus Norddeutschland. Sie arbeitete in Schweden als Säuglingsschwester, ging 1947 wieder nach Hamburg und machte eine Ausbildung zur Sozialfürsorgerin. 1953 war sie schon mehrere Jahre berufstätig, als Herbert Wehner, Bundestagsabgeordneter von 1949 bis 1983, sie nach Bonn rief.

Danach kam es zu einer familiären Symbiose, die ihresgleichen sucht. Als ich – auch mit Hilfe von Greta – die Biografie „Herbert Wehner“ geschrieben habe und die Unterlagen, Briefe und Notizen der Familie studieren konnte, wurde mir das ganze Ausmaß deutlich. Weil ihre Mutter durch die NS-Verfolgung chronisch krank geworden war, musste Greta aushelfen. Und dabei blieb es nicht. Sie wurde Wehners Fahrerin, leitete sein Büro und führte seine Terminkalender. Sie begleitete den SPD-Politiker auf Reisen und zu politischen Gesprächen. Sie führte die Korrespondenz bei Familienzusammenführungen und Häftlingsfreikäufen aus der DDR. Sie wurde seine wichtigste Mitarbeiterin, Überwacherin seiner Diät, schließlich 1983 seine Ehefrau und am Ende, die letzten Jahre, seine Pflegerin. Gretas Hilfe war für Herbert Wehner, der 1990 in Bonn starb, lebensnotwendig. Erst im Alter von 71 Jahren, 1996, ist Greta Wehner nach Dresden gezogen. Warum? Herbert hätte das auch getan, sagte sie, er hätte geholfen, die Demokratie in seiner Heimat aufzubauen. Das tat sie an seiner Stelle. Greta Wehner war 1992 Mitbegründerin des Herbert-Wehner-Bildungswerks, und in dessen Anfangsjahren versuchte sie, an so vielen Seminaren wie möglich teilzunehmen. Ihr Rat wurde angehört, wenn auch nicht immer befolgt.

Als Greta Wehner vor über 20 Jahren von Bonn nach Dresden zog, brachte sie die komplette Wohnung aus Bonn mit, Möbel, Bilder, andere Einrichtungsgegenstände, Bücher, Briefe und Schriftstücke. Wenn der Alt-SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel zu Besuch kam, pflegte er sich in den Lehnstuhl am Wohnzimmertisch zu setzen und meinte: „Hier hat immer Herbert gesessen, und hier saß ich“ – der Ort war derselbe geblieben, trotz 600 Kilometern Entfernung.

2003 rief Greta die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung ins Leben. Diese soll die politische Bildung fördern und das Andenken an Herbert Wehner nutzbar machen. Eine neue Aufgabe ist jetzt hinzugekommen: Die Stiftung wird auch das Andenken an Greta Wehner weiter tragen.

Unser Autor ist Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung.