Merken

Hausmeister der Herzen

Wer im Alter einsam ist, der sucht jemanden, der die Katze füttert und zuhört. Jemanden wie Thomas Feuerhack.

Teilen
Folgen
© dpa

Von Jörg Schurig

Ein Mann, ein Mops. Wenn Thomas Feuerhack mit seinem Hund John Paul auf den Straßen von Chemnitz auftaucht, hat das Gassi-Gehen Methode. Der stattliche Mann ist zielgerichtet unterwegs. Als sogenannter sozialer Hausmeister der Chemnitzer Siedlungsgemeinschaft (CSG) kümmert sich der 48-Jährige um die Belange von vor allem älteren Mietern. Feuerhacks Job dient als Frühwarnsystem – damit die Genossenschaft möglichst zeitig von den Sorgen und Nöten ihrer Mitglieder erfährt und eingreifen kann, bevor es zu spät ist.

Als CSG-Vorstand Ringo Lottig vor zwei Jahren die Idee für eine solche Vertrauensperson hatte, war ihm schnell klar, dass er über eine normale Stellenanzeige nicht weit kommen würde. „Ich kann die Stelle ja selbst kaum beschreiben, die lässt sich nur an konkreten Aktionen erklären.“ Von Anfang an hatte er einen wie Feuerhack im Kopf, erzählt er. Offen, freundlich, hilfsbereit und schlagfertig, ein „Verkäufer-Typ“ – ohne dass der soziale Hausmeister wirklich etwas verkaufen muss. „Das ist sein Vorteil, er steht nicht unter Druck. Er ist mit keinem Pflegedienst verbandelt und muss keinen Umsatz machen“, sagt der Vorstand.

Inzwischen ist Feuerhack in den Siedlungsgebieten der Genossenschaft bekannt „wie ein bunter Hund“. Die Bezeichnung passt zum bisherigen Leben des Chemnitzers. Eigentlich wollte er Diplomlehrer für Polytechnik werden, doch die Wende machte den Beruf überflüssig. Feuerhack verkaufte Versicherungen und Autos, war beim heutigen Fußball-Drittligisten Chemnitzer FC im Marketing tätig und auch mal Stadionsprecher, wie er erzählt. Mit 40 begann er eine Lehre als Friseur. „Ich war wohl der älteste Lehrling von Chemnitz.“

Vernetzer statt Spiderman

Der Wunsch, sich sozial zu engagieren, habe ihn lange beschäftigt, erzählt er. Das hing vor allem damit zusammen, dass ältere Freunde von ihm auch als Rentner aktiv blieben und so ein Vorbild wurden. „Ich selbst will im Alter auch nicht vertrotteln, dem muss man vorbeugen. Außerdem sollte man der Welt etwas von dem zurückgeben, was man selbst erhalten hat.“ Wenn Feuerhack solche Sätze sagt, wirkt das dennoch nicht abgehoben. Der Hausmeister im besonderen Auftrag ist bodenständig.

Manchmal sieht er sich nur mit kleinen Wünschen konfrontiert, wie er erzählt. Da will jemand eine Glühbirne ausgewechselt haben oder braucht einen Fahrdienst zum Arzttermin. Manches erledigt der Hausmeister selbst, in den meisten Fällen schickt er ehrenamtliche Helfer vorbei. „Feuerhack kann nicht als Spiderman allen helfen“, sagt Lottig. Wichtig sei vielmehr, dass der soziale Hausmeister die Hilfsangebote vernetze und strukturelle Probleme herausfinde. Die Genossenschaft wolle wissen, wo die Säge klemmt – da sie nicht hinter alle Wohnungstüren schauen könne. Die Chemnitzer gehen davon aus, dass sie mit dem Modell bundesweit Vorreiter sind. Auch in Sachsens Landeshauptstadt Dresden gibt es inzwischen einen sozialen Hausmeister.

Das Durchschnittsalter der rund 9 500 Mitglieder in der Chemnitzer Siedlungsgemeinschaft liegt bei 62. Viele Wohnungen haben noch immer den Status „Erstbezug“. Obwohl viele Häuser in den 60er-Jahren entstanden, leben die ersten Mieter noch heute darin. „Das ist wie eine kleine Kommune, die kennen sich alle und wollen deshalb auch ungern weg“, sagt Lottig.

Damit das möglichst lange so bleibt, will er die Gefühlslage der Mieter erkunden und bei Bedarf Hilfe anbieten. Für viele sei es schwierig, sich als hilfsbedürftig zu outen. „Zuhören ist erst einmal das Wichtigste“, sagt Feuerhack.

Gleich sein erster Fall hatte es in sich. Vor zwei Jahren brauchte eine krebskranke Frau eine Begleitung zum Arzt. Anfangs, so sagt er, dachte er nur, er müsse den Fahrer spielen. Doch dann war er plötzlich beim Gespräch mit den Ärzten dabei. „Das war ein sehr emotionaler Moment. Sie brauchte mich nicht nur als Taxifahrer, sondern auch als seelischen Beistand.“ Die Dame wähnte sich nur kurz im Krankenhaus und bat Feuerhack, ihren Kater zu füttern. Aus dem erhofften Kurz- wurde ein Dauereinsatz. Der Hausmeister versorgte das Tier ein ganzes Jahr, erzählt er. Inzwischen lebe die Frau wieder in ihrer Wohnung.

An diesem Tag ist Thomas Feuerhack im Wohnpark am Bernsdorfer Bad zu Gange. Es ist das Vorzeigeobjekt der Siedlungsgemeinschaft. Hier errichtete die Genossenschaft 168 Neubauwohnungen. Im weitläufigen Areal gibt es unter anderem einen Kräutergarten, einen Kinderspielplatz und eine Spielecke für Jung und Alt – in zwei Tische sind ein Schachbrett und eine Vorlage für Mensch-ärgere-Dich-nicht eingelassen. Auch Fitnessgeräte und ein Café sind da. Es heißt Lounge und serviert Kuchen und warmes Essen. Auf die sonst übliche Bezeichnung Begegnungsstätte hat man bewusst verzichtet.

Mops ist keine Randfigur

Draußen vor der Lounge befindet sich die „Piazza“, ein kleiner Platz, wo ab dem Frühjahr wieder ein Springbrunnen sprudeln soll. Lottig ist Italien-Fan, sagt er. Da liegt es nahe, ein paar Sehnsüchte nach Chemnitz zu übertragen. Feuerhack macht gerade seine Runde. Der Mops an seiner Seite ist keine Randfigur. „John Paul ist für die Arbeit wichtig, ohne ihn würden viele Gespräche gar nicht zustande kommen“, sagt der Hausmeister. Viele ältere Leute hätten selbst Tiere und bezögen sich auch deshalb gern auf den Hund.

Tatsächlich steuern zwei ältere Damen auf ihrem Weg zum Mittagessen auf Feuerhack zu. Zuerst wird der Mops begrüßt. Feuerhack öffnet den Damen die Tür zum Café, er selbst will noch bei einem anderen Mieter nach dem Rechten sehen.

Kurt-Bernd Hesse ist seit ein paar Monaten beinamputiert und braucht mehr Beistand als andere. Der 60-Jährige ist nun auf einen Rollstuhl angewiesen. An die Steuerung seines elektrischen Gefährts muss er sich noch gewöhnen. „Mir fehlt das Lenkrad“, sagt der frühere Busfahrer. Er ist Feuerhack dankbar, weil der ihm die neue ebenerdige Wohnung besorgte. „Ohne ihn hätte ich die nie gefunden.“

Feuerhack hat auch schmerzvolle Momente erlebt, sagt er. Zum Beispiel wenn Mieter ihm die Tür nicht mehr öffnen konnten, weil sie in ihrer Wohnung gestorben waren. Er selbst habe durch den Job viel über das Altern erfahren. „Ich habe gelernt, dass man loslassen muss.“ (dpa)