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„Hass gibt es schon zu viel“

Justizminister Sebastian Gemkow spricht nach dem Angriff auf seine Privatwohnung über seine Familie. Einmauern kommt nicht infrage.

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© Robert Michael

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Sebastian Gemkow kommt allein. Keine unauffälligen Männer mit Trenchcoat und dunklen Sonnenbrillen, keine gepanzerte Limousine, einfach nur einen Milchkaffee trinken am Rande der Leipziger Innenstadt. Der sächsische Justizminister mag keinen großen Sicherheitsapparat, wenn es nicht sein muss. „Ich möchte“, sagt der junge CDU-Politiker, „auch meine persönliche Freiheit schützen.“ Er ist gerade mal 37. Doch er hätte allen Grund, vorsichtig zu sein.

In der Nacht zum 24. November vorigen Jahres warfen vermummte Männer Granitsteine groß wie Handbälle durch die Scheiben seiner Privatwohnung. Die Geschosse durchschlugen die Schutzfolien der Fenster im Hochparterre. Sie verfehlten nur knapp das Schlafzimmer, wo auch Gemkows Frau und die beiden kleinen Kinder schliefen. Es war der erste Anschlag auf ein Privatquartier eines sächsischen Regierungsmitglieds. Es haben nur wenige Zentimeter gefehlt, dann wäre womöglich jemand getroffen und schwer verletzt worden. Die Familie zog noch in der Nacht aus der Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung aus und kam seither nicht mehr zurück. „Durch den Gestank der Buttersäure ist die Wohnung bis heute nicht mehr nutzbar“, sagt Gemkow. Jetzt lebt die Familie in einem anderen Leipziger Stadtteil, mehrere Etagen höher als zuvor.

Vorfahr Hans Oster als Vorbild

Die Täter sind bisher nicht gefunden. Der Minister hat daher viel darüber nachgedacht, warum der Anschlag gerade ihm gegolten hat, in jener Nacht gegen 2 Uhr. Wenige Stunden zuvor waren Hunderte Anhänger des rechtspopulistischen Bündnisses Legida durch die Stadt marschiert, begleitet von massiven Protesten der linken Szene. Aber lag es daran? Oder lag es an seinem Engagement im Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge? Gemkow hat dem Leipziger Künstler Michael Fischer-Art gerade geholfen, das Grab seines Großvaters zu finden, der in Rumänien Arzt der Wehrmacht war. Hatte es mit der Einrichtung des politischen Sonderdezernats bei der Integrierten Ermittlungseinheit „Ines“ zu tun, das seit Oktober rechts- und linksextremistische Straftäter verfolgt? „Ich weiß es nicht. Und ich will auch keinen Verfolgungseifer entwickeln“, sagt der Jurist. „Hass gibt es schon zu viel.“

Tatsächlich gilt Gemkow selbst in anderen Parteien als ausgesprochen freundlicher, umgänglicher, offener Zeitgenosse – ohne Star-Allüren und bisher eher unauffällig. 2006 hatte er sich zunächst als Rechtsanwalt in Leipzig niedergelassen. 2009 wurde er zum ersten Mal Landtagsabgeordneter – mit einem der schwächsten Direktwahlergebnisse und nur 300 Stimmen mehr als der Direktkandidat der Linken, Volker Külow. Doch im Sommer 2014 wurde er Honorarkonsul der Republik Estland, im November 2014 machte ihn Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) zum Justizminister.

Die Wahrung einer gewissen Distanz zu den Vorfällen, das Sich-nicht-hineinsteigern-Wollen – es hat wohl auch etwas mit der Familie zu tun, die seit Generationen schlimme Erfahrungen gemacht hat mit politischer Gewalt. Gemkows Vater Hans-Eberhard, ebenfalls CDU-Mitglied, war seit August 1990 in Leipzig Beigeordneter für Recht, Ordnung und Sicherheit. Er hatte 1989 den elfjährigen Sohn auf den Schultern mit zu den Montagsdemos genommen, nun schlug er sich mit Auseinandersetzungen um Asylbewerberheime und mit Straßenschlachten in Connewitz herum: zerstochene Reifen und eine durchschnittene Bremsleitung am Auto inklusive. „Ich habe schon als Zwölfjähriger Morddrohungen am Telefon miterlebt“, erzählt Sebastian Gemkow. Im Mai 1994 starb sein Vater mit 39 Jahren an Krebs.

Als Vorbild über der Familie thront ebenso Hans Oster, ein Großonkel des Vaters und einer der führenden Hitler-Gegner vom 20. Juli, die noch im April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet wurden. Auch wenn der gebürtige Dresdner ein Generalmajor der Wehrmacht war, so habe er als konservativer Patriot doch schon in den 1930er-Jahren offensiv gegen die Nazis gearbeitet und immer wieder Informationen an ausländische Regierungen durchgestochen. „Hans Oster prägt die Familie bis heute“, sagt Gemkow.

Es ist unklar, ob dies auch für seinen Großonkel Rudolf Krause gilt, der 1990 unter Kurt Biedenkopf Sachsens erster Innenminister wurde. Wenige Tage nach den Ausschreitungen von Hoyerswerda im September 1991 trat Krause zurück. Ihm war eine langjährige Stasi-Spitzelei als IMS „Ries“ nachgewiesen worden. Ein wechselhafter Stammbaum. „Eine Erkenntnis für mich ist, dass ich für mein Handeln in jeder Hinsicht Verantwortung trage“, sagt Gemkow. Er habe daher für sich Grundsätze abgeleitet, vor allem Menschlichkeit, Friedfertigkeit, Gewaltlosigkeit. Es ist nicht gerade das, was er in Leipzig seit Monaten erlebt. „Aber wenn die friedlichen Menschen verstummen, gewinnen die gewaltbereiten die Oberhand“, sagt Gemkow.

Aber er wäre wohl nicht CDU-Minister in Sachsen, wenn er nicht auch eine repressive Antwort auf die Ausschreitungen in Leipzig geben würde: „Das Gewaltmonopol des Staates darf nicht unterspült werden“, sagt er. „Wir müssen unsere Rechtsordnung schützen.“ Ansonsten würden sich Menschen in Bürgerwehren organisieren oder versuchen, sich als „Reichsbürger“ in rechtsfreie Räume zurückzuziehen. Die Aggressivität der Gesellschaft nehme zu, und es sei nur eine Frage der Zeit, bis dabei jemand umkommt, fürchtet Gemkow. Auf diese Hassspirale müsse der Freistaat auch personell reagieren, wenn sich die Lage weiter zuspitzt. „Der Rechtsstaat muss sich selbst verteidigen können“, sagt der Justizminister. Noch so ein Leitsatz. Aber auch einer an die Adresse des Finanzministers.