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Hamburger Probewohner ziehen nach Görlitz

Barbara und Carsten Herder hatten mehrere Optionen für ihr Rentnerleben. Für Görlitz sprachen nicht nur die Kosten.

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© Pawel Sosnowski

Von Ingo Kramer

Görlitz. Die Umzugsfirma hatte es nicht einfach mit Barbara und Carsten Herder. Zweimal musste der Lastwagen mit Anhänger von Hamburg nach Görlitz fahren. Und dann alles hoch in den dritten Stock, große, schwere Echtholzmöbel, Kronleuchter und über 20 große, gerahmte Bilder. Aber die Männer haben einen guten Job gemacht: Alles ist heil geblieben. Nun hat das Ehepaar auf 141 Quadratmetern Görlitzer Innenstadt alles Schöne beisammen. „Hier würde ich nur ausziehen, wenn ich die Treppen nicht mehr hochkäme“, sagt Barbara Herder. Daran aber ist momentan nicht zu denken.

Sie wurde in Bremen geboren, ihr Mann im Bergischen Land. Den Großteil ihres Lebens aber verbrachten beide in Hamburg: mehr als 40 Jahre. Von hier aus fuhr er einst zur See, bis das nach einem Unfall 1986 nicht mehr möglich war. Seither arbeitete er in der Hafenverwaltung – bis zum Renteneintritt vor vier Jahren. Auch sie war Verwaltungsangestellte, und das noch bis zum vorigen Sommer.

Doch schon früh überlegte das kinderlose Ehepaar, im Rentenalter aus Hamburg wegzuziehen. Vieles passte nicht mehr so gut – die Bewohnerschaft in ihrem Stadtteil hatte sich verändert, die U-Bahn-Verbindungen waren schlechter geworden und dazu sind die Preise immer weiter gestiegen. Beide liebäugelten mit Städten wie Dortmund und Köln, wo Carsten Herder nah an seinen betagten Eltern gewesen wäre. Doch dann stießen sie irgendwann auf Görlitz. Wie genau, das können sie gar nicht mehr sagen. „Presse, Funk und Fernsehen“, vermutet der heute 67-Jährige.

Vor etwa fünf Jahren kamen sie erstmals für ein paar Tage als Touristen her, um sich die Stadt anzusehen. Seither immer wieder. Mit einer Bewerbung beim Görlitzer Probewohnen klappte es erst im zweiten Anlauf. Im Dezember 2015 durften sie für eine Woche in der Schwarze Straße wohnen. „Das war ganz anders als als Tourist“, sagt Barbara Herder: „Man lebt mittendrin und muss sich selbst versorgen.“ Das war für die heute 61-Jährige und ihren Mann sozusagen das i-Tüpfelchen: „Da hat alles gepasst, sodass wir danach angefangen haben, hier nach Wohnungen zu schauen.“ In Hamburg lebten sie auf 128 Quadratmetern. Etwas in dieser Größe zu finden, war in Görlitz anfangs gar nicht einfach, hat aber schließlich doch mitten in der Innenstadt geklappt – und zwar etwa zum halben Preis von Hamburg. Kaum war auch Barbara Herder Rentnerin, zogen die beiden mit ihren drei Katzen nach Görlitz.

Hier schätzen sie nicht nur die Kosten, sondern vor allem zwei andere Vorteile: Die Menschen und die kurzen Wege. „Alle sind hier so freundlich und hilfsbereit, vom Makler bis zu den Ämtern“, schwärmt Barbara Herder. Das sei sie gar nicht gewohnt. Und bei ihrem Haus haben sie zwei Bäcker, einen Fleischer, einen Gemüseladen und einen Friseur in der Nachbarschaft. Richtige Bäcker haben sie in Hamburg vermisst: „Dort gibt es ja nur noch die großen Ketten.“ Einzig die fachärztliche Versorgung sei hier schlechter als in Hamburg. Carsten Herder hat Rheuma: „Da wartet man ein halbes Jahr oder länger auf einen Termin.“

Inzwischen überlegen die Herders schon, was sie in Görlitz noch alles tun wollen. Beide sind Gewerkschaftsmitglieder, vielleicht findet sich da eine sinnvolle Beschäftigung. Carsten Herder interessiert sich zudem für das Brauwesen und überlegt, sich bei Landskron als Brauereiführer zu bewerben. Und er will an der Volkshochschule Polnisch lernen. Langweilig wird das Leben in Görlitz also ganz sicher nicht.