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Guter Käfer, böser Käfer

Im Nationalpark Sächsische Schweiz hilft der Borkenkäfer, naturnahen Wald zu schaffen. Manchmal stört er aber auch.

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© Karl-Ludwig Oberthuer

Von Jörg Stock

Es ist ein stiller und unsagbar langsamer Kampf, den Buche und Fichte da ausfechten. Wer wird siegen? Die Buche als Schattenliebhaberin käme mit wenig Licht klar. Aber jetzt ist plötzlich Sonne da. Viel Sonne. Und die lässt die kleine Fichte emporschießen. Unterliegt die Buche, wird sie größere Blätter bilden und trotzdem weiter wachsen. Zieht die Fichte den Kürzeren, wird sie unterm Buchenschirm verkümmern, wird ausgedunkelt werden, wie man sagt. Wer das Rennen macht, bestimmen nicht die Forstleute mit ihren Kettensägen, sondern allein die Natur.

Hier geht der Kampf gegen den Käfer weiter. Nationalparkförster Ralf Schaller braucht seine alten Fichten noch.
Hier geht der Kampf gegen den Käfer weiter. Nationalparkförster Ralf Schaller braucht seine alten Fichten noch. © Karl-Ludwig Oberthuer
Mit Harzfluss sucht sich diese Fichte gegen die bohrenden Käferattacken zu wehren, aber umsonst.
Mit Harzfluss sucht sich diese Fichte gegen die bohrenden Käferattacken zu wehren, aber umsonst. © Karl-Ludwig Oberthuer
Nationalparksprecher Hanspeter Mayr erklärt Justyna und Grzegorz aus Polen, wieso man den Borkenkäfer duldet.
Nationalparksprecher Hanspeter Mayr erklärt Justyna und Grzegorz aus Polen, wieso man den Borkenkäfer duldet. © Karl-Ludwig Oberthuer
Waldumbau nach Borkenkäferart: Frisst das Insekt in der Ruhezone des Nationalparks, lässt man es meist gewähren. Am Hochhübel im Großen Zschand sind aktuell sieben Hektar Fichtenwald befallen. Für Nachwuchs sorgt die Natur selbst.
Waldumbau nach Borkenkäferart: Frisst das Insekt in der Ruhezone des Nationalparks, lässt man es meist gewähren. Am Hochhübel im Großen Zschand sind aktuell sieben Hektar Fichtenwald befallen. Für Nachwuchs sorgt die Natur selbst. © Karl-Ludwig Oberthuer

Schauplatz der Konkurrenz ist die sandige Südseite des Hochhübels mitten im Nationalpark Sächsische Schweiz. Das viele Licht kommt vom Massensterben der Altfichten ringsumher, ausgelöst vom Borkenkäfer. Letztes Jahr hatte das fresslustige Insekt drei Hektar Fichtenwald besetzt. Dieses Jahr sind es schon sieben. Die neu befallenen Bäume tragen farbige Punkte am Stammfuß. Rund siebzig Infizierte hat man neulich gezählt. Einen nach dem anderen wird der Käfer vom grünen Riesen in ein fahles Totenskelett verwandeln. Und niemand wird ihn aufhalten.

Mit dem Taschenmesser pult Hanspeter Mayr, Sprecher der Nationalparkverwaltung, ein Stück befallene Borke ab. Der Käfer, kaum so groß wie ein Streichholzkopf, zeigt sich nur einen Augenblick, bevor er in sein Gangsystem entschwindet. Mayr zollt dem Tier Respekt. „Wenn ich ein Loch beißen müsste, wo ich selber durch passe…“ Er lacht. Hier ist der Käfer kein Feind, sondern einer, der von der widernatürlichen Monokultur profitiert. „Es ist unser Fehler“, sagt Mayr, „den er korrigiert.“

Im Nationalpark soll ein möglichst ursprünglicher Wald wachsen. Deshalb lassen die Förster den Käfer fressen. Sobald die Fichten kahl sind, kommt der Nachwuchs von selbst in Gang. „So entsteht ohne unser Zutun der Naturwald von morgen“, sagt Mayr. Man spricht gern vom „Ingenieurborkenkäfer“, der die Bäume aus dem Bestand „herausoperiert“, sorgfältig und behutsam.

Keine bayrischen Baumwüsten

Dass die Bekämpfung des Borkenkäfers eingestellt wurde, ist noch gar nicht so lange her. Erst seit 2015 darf er in der Ruhezone praktisch uneingeschränkt fressen. Das sind immerhin 60 Prozent der Waldfläche. Abgesehen vom Hochhübel ist der Käfer besonders am Kleinen Winterberg aktiv. Hier sind bereits 13 Hektar Fichtenforst befallen oder schon tot. Wüstenartige Bilder wie im Nationalpark Bayrischer Wald, wo in den 1980ern rund dreißig Prozent der Waldfläche abstarben, schließt Hanspeter Mayr aus. Die Wälder hier sind schon deutlich durchmischter als in Bayern. „Ein solches Ausmaß ist bei uns nicht möglich.“

Dass man den natürlichen Wandel im Wald live verfolgen kann, findet der Parksprecher faszinierend. Das Vergehen und Werden ist für ihn ein touristischer Wert. Dennoch sorgt er sich um die Akzeptanz bei den Besuchern. Eine Infotafel klärt Passanten auf. Bezeichnenderweise ist sie vom Jungwuchs schon beinahe überwuchert. Zwei junge Wanderer aus Polen, die gerade des Weges kommen, müssen gar nicht erst aufgeklärt werden. Dass Bäume im Wald absterben, gehört dazu, findet Grzegorz, 31, aus Poznan, und schaut sich um: „Es werden neue wachsen.“

Der Borkenkäfer ist ein Gestalter. Aber er bleibt auch Gegner. Während man ihm am Hochhübel das Zuckerbrot reicht, gibt man ihm anderswo die Peitsche, etwa dort, wo er zu nah an fremdem Wald frisst. Vor allem aber wird er in der „Entwicklungszone“ bekämpft, wo der Wald, um näher an den Naturzustand zu kommen, noch die Hand des Försters braucht.

Zum Beispiel die Hand von Ralf Schaller. An der sogenannten Knorre zu Füßen des Lorenzsteins steht der Revierleiter inmitten einer Landschaft aus Baumstubben. Da wuchsen bis vor Kurzem hundertjährige Fichten drauf. Schaller musste sie fällen lassen, weil plötzlich, keiner weiß woher, der Käfer angriff. Er hatte leichtes Spiel. Der Juni war äußerst trocken gewesen, die Bäume hatten Stress, die Abwehr versagte. So konnten sich die Insekten einbohren und ihr Brutgeschäft beginnen. Aus einem einzigen Käfer können binnen Jahresfrist bei passendem Wetter tausend werden.

Ralf Schaller darf dem Tod der Altbäume nicht tatenlos zusehen. Er braucht die Alten noch, als Schirm für den Nachwuchs, den er pflanzt. Hier an der Knorre hat er Weißtannen platziert. Da und dort guckt ein Pflänzchen aus dem aufgewühlten Boden. Ob sie überleben, ist fraglich. Die kleinen Fichten ringsumher kriegen nun plötzlich Licht, ein Konkurrenzvorteil. „Es wird ganz schnell gehen, dass die hochkommen“, sagt der Förster. Seine mühsam gepflanzten Tannen indes könnten das Nachsehen haben. Wie geht es weiter? Er ist unentschlossen. Man könnte was mit Eiche machen, sagt er. Aber man muss abwarten, wie sich die Fläche entwickelt, ob die Käfer weiterfressen. Laufend wird kontrolliert, auf verräterisches Bohrmehl oder laufende Harznasen. Zurzeit scheint Ruhe zu sein.

Aber der Schein kann trügen. Es kann aber auch sein, dass beim nächsten Gewittersturm eine Böe um den Lorenzstein fegt und in das Käferloch pustet. Dann liegen noch einmal dreißig oder fünfzig Bäume lang. Es kann auch sein, dass gar nichts passiert. Aber das ist für den Förster die unwahrscheinlichste Variante von allen. Er schaut über das Stubbenfeld: „Die Front ist aufgemacht.“