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GSG 9 nimmt fünf Freitaler fest

Die Spezialeinheit nimmt in Freital fünf Terrorverdächtige in Gewahrsam. Sie sollen Asylbewerberheime und ein Wohnprojekt angegriffen haben.

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© Screenshot: szo

Jörg Schurig

Karlsruhe/Freital. Der Zugriff erfolgte zu früher Stunde und von vielen unbemerkt. Für die Betroffenen selbst dürfte er kaum überraschend gekommen sein. Denn immer enger hatte sich das Netz um die Mitglieder einer rechtsextremen Bürgerwehr in Freital bei Dresden zusammengezogen. Schon im November 2015 kamen drei ihrer Mitglieder in Untersuchungshaft. Als die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vor kurzem die Verfahren von Dresdner Kollegen an sich zog, muss den Betroffenen Böses geschwant haben. Am Dienstag griff die Justiz zu und schickte dafür sogar die Männer der GSG 9 nach Sachsen.

Bei dem Einsatz der Antiterror-Spezialeinheit der Bundespolizei wurden der 18-jährige Justin S., der 39-jährige Rico K., die 27-jährige Maria K., der 25-jährige Sebastian W. und der 26-jährige Mike S. festgenommen, heißt es in einer Mitteilung vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Einschließlich ihrer drei bereits inhaftierten Gesinnungsgenossen stehen sie im Verdacht, spätestens im Juli 2015 eine rechtsterroristische Vereinigung, die von den Ermittlern „Gruppe Freital“ genannt wird, gegründet zu haben und in unterschiedlicher Tatbeteiligung schwere Straftaten verübt zu haben. Unter anderem geht es um versuchten Mord, die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung. Bei einem der Anschläge war ein Flüchtling im Gesicht verletzt worden.

Konkret wird den Verdächtigen versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, Sachbeschädigung und Vorbereitung eines Explosionsverbrechens vorgeworfen. Die Gruppierung soll eine „dreistellige Anzahl“ von pyrotechnischen Sprengkörpern verschiedenen Typs aus Tschechien beschafft und verwahrt haben. Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen sind der rechtsterroristischen Vereinigung bislang drei Sprengstoffanschläge zuzurechnen: ein Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Freital in der Nacht vom 19. auf den 20. September 2015, eine Attacke auf das Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ in Dresden-Übigau in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015 sowie ein Anschlag auf eine weitere Asylbewerberunterkunft in Freital in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 2015.

Rechter Terror in Deutschland

Im März 2005 werden Mitglieder des „Freikorps Havelland“ zu Haftstrafen zwischen acht Monaten und viereinhalb Jahren verurteilt. Die Jugendlichen hatten in den Jahren 2003 und 2004 mehrere Anschläge auf Geschäfte und Imbisse von Ausländern verübt. „Wenn sich elf junge Männer zu einer Vereinigung zusammenschließen, um „das Havelland von Ausländern zu säubern“, ist das terroristisch“, hieß es in der Urteilsbegründung des Brandenburgischen Oberlandesgerichtes (OLG).

Im Mai 2005 verurteilt das Bayerische Oberste Landesgericht in München den Neonazi Martin Wiese zu sieben Jahren Haft. Als Anführer einer selbst ernannten „Schutzgruppe“ hatte er einen Bombenanschlag auf die Einweihungsfeier des Jüdischen Zentrums in München geplant. Wiese und die drei mit ihm verurteilten Täter waren Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung „Kameradschaft Süd“.

Seit Mai 2013 wird in München gegen Beate Zschäpe und mutmaßliche Unterstützer der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verhandelt. Über Jahre sollen Zschäpe und ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt laut Bundesanwaltschaft unerkannt gemordet haben. Zwischen 2000 und 2007 erschoss die Gruppe nach derzeitigen Erkenntnissen zehn Menschen. Zudem soll sie mit Sprengstoffanschlägen Dutzende verletzt haben.

Am 27. April 2016 beginnt vor dem OLG München der Prozess gegen den mutmaßlichen Gründer der „Oldschool Society“ (OSS), Andreas H., und drei Mitangeklagte unter anderem wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Die Ermittler gehen davon aus, dass die mutmaßlichen OSS-Mitglieder Anschläge gegen Asylbewerber-Unterkünfte, Moscheen und Salafisten planten.

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Die Festgenommenen werden am Dienstag und Mittwoch dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der über den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden wird.

Erst Mitte April hatte die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen die sogenannte „Bürgerwehr FTL/360“ aus Freital wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung übernommen. Bereits im Herbst wurde eine Spezialeinheit unter der Führung der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen gegründet, die gegen die Beschuldigten - vier Männer und eine Frau - ermittelt. Auch der 27-jährige Busfahrer Timo S. zählt zu den mutmaßlichen Rechtsterroristen, er sitzt seit November in U-Haft.

Für Beobachter der rechten Szene in Sachsen ist die Entwicklung in Freital kein Zufall. Kerstin Köditz, Rechtsextremismus-Expertin der Linken im Landtag, wirft der hiesigen Regierung vor, aus dem „eigenen Behördenversagen“ beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) nur völlig unzureichende Konsequenzen gezogen zu haben. Die Freitaler Bürgerwehr sei bereits im Mai 2015 offen in sozialen Netzwerken in Erscheinung getreten. Laut Köditz hatten sich die mutmaßlichen Mitglieder teils unter Klarnamen zu erkennen gegeben und mitunter solche Taten kommentiert, die der Gruppe zur Last gelegt wurden.

„Ihre Radikalisierung ließ sich also „live“ verfolgen“, sagt Köditz. Man hätte daher viel eher einschreiten müssen. Ähnlich beschreibt es Köditz‘ Fraktionskollegin Verena Meiwald, die ihr Wahlkreisbüro in Freital hat. Die aggressive Stimmung unter den „besorgten Bürgern“ sei schon im Sommer 2015 besorgniserregend gewesen: „Die permanenten Schmierereien im Stadtgebiet, ob nun „NS“ oder „No Asyl“ oder sowas sind ja beinahe alltäglich.“ Jetzt ist Meiwald froh, dass es zu den Festnahmen kam und der Terror nun vielleicht ein Ende hat: „Es ist wichtig, dass die vermeintlichen Retter des Abendlandes da draußen merken, dass es für ihr Handeln auch noch Konsequenzen gibt.“

Tatsächlich ist Freital schon seit längerem ein Synonym für Fremdenhass und Gewalt gegen Flüchtlinge und ihre Helfer. Die Stadt, die nur wenige Autominuten von Dresden entfernt liegt, war im heißen Sommer 2015 ein Brennpunkt und sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Wochenlang demonstrierten Rechtsextreme im Schulterschluss mit vermeintlichen Normalbürgern vor dem Flüchtlingsheim in einem ehemaligen Hotel. Immer wieder kam es zu Angriffen und Anschlägen.

Der Ruf der Stadt hat extrem gelitten. Das ist auch Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) klar. Nach den Festnahmen am Dienstag wurde er von Medien bestürmt. „In unserer Stadt ist kein Platz für extremistische Straftäter“, sagte das Stadtoberhaupt immer wieder. Es klang hilflos. (szo/dpa)