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Groß im Kleinen

Dank Kalk, Krieg und Künstlern ist das Dorf Maxen reicher als manche Stadt. Der Besuch lohnt selbst an trüben Tagen.

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© Ronald Bonß

Von Rafael Barth

Es sah lange nicht gut aus in Maxen. Der kolossale Kalkofen bröckelte vor sich hin, anderswo im Dorf standen von einem orientalisch bezirzten Gartenpavillon gerade noch die Außenmauern. Über Jahrzehnte lag die Naturbühne brach und verwandelte sich von einer Spielstätte in eine Lagerstätte für Müll. Dass der Märchendichter Hans Christian Andersen im Ort eine Lärche gepflanzt hatte, wusste keiner mehr. Dabei verbrachte Andersen dort herrliche Zeiten und reimte aus Begeisterung einen begeisterten Zweizeiler: „Des Herzens Sonnenschein in Sachsen,/ er strahlt am schönsten doch in Maxen.“

Es raucht fast wie in einer Vulkanlandschaft: Blick von Maxen in die Berge, vorn das benachbarte Schmorsdorf, in dem einst Clara Schumann zu Gast war.
Es raucht fast wie in einer Vulkanlandschaft: Blick von Maxen in die Berge, vorn das benachbarte Schmorsdorf, in dem einst Clara Schumann zu Gast war. © Ronald Bonß
Mitglieder des Heimatvereins mit Jutta Tronicke in der Mitte kümmern sich um vieles in Maxen. Zum Beispiel den alten Kalkofen, den man auch von innen besichtigen kann.
Mitglieder des Heimatvereins mit Jutta Tronicke in der Mitte kümmern sich um vieles in Maxen. Zum Beispiel den alten Kalkofen, den man auch von innen besichtigen kann. © Ronald Bonß

Heute strahlt Maxen selbst, wenn die Sonne nicht scheint. Man muss sich nur etwas auskennen in dem Bergdorf zwischen Pirna und Dippoldiswalde. Andere Dörfer wären froh, hätten sie Bäcker, Kirche, Schloss. Maxen aber hat viel mehr als das. Junge Familien zogen in Scheune oder Bauernhaus. Viel Ruinöses wurde gerettet. „Wir wollen die Dinge, die wir hier haben, nicht in Vergessenheit geraten lassen“, so beschreibt Jutta Tronicke ihren Ansporn zur Maxenverschönerung. Aus dem Alten lasse sich Kraft holen für Neues, sagt sie. Im Heimatverein mit seinen knapp hundert Mitgliedern zählt Jutta Tronicke zu den umtriebigen. Ruhestand ist nichts für die zupackende Rentnerin von 72 Jahren, die im roten Anorak durchs Dorf kommt.

Jeden Tag kümmert sich Tronicke anderthalb Stunden um Maxen, mindestens. Sie braucht die Zeit, etwa um Antwortmails zu tippen an Forscher oder Fernsehleute. Obendrein führt die Frau mit der Fleecemütze Busladungen von Gästen zu jenen Denkmälern, Kunstplätzen, Naturschätzen, die der Heimatverein auf einem Faltblatt gesammelt hat. Die Karte vermerkt auch den Gasthof in der Ortsmitte, in dem Wanderer ihr Schweineschnitzel kauen. Verdiente Rast auf dem Weg vom Lockwitz- ins Müglitztal. Von Maxen aus hat man einen fantastischen Blick in die Berge, an schönen Tagen bis nach Dresden. Und freut sich vielleicht auch an anderen Stellen. Klar: Je mehr ein Ort vorzeigt, desto besser. Das Faltblatt kommt auf sechzehn Sachen. Ein beachtlicher Schnitt bei fünfhundert Einwohnern. Manche Kleinstadt dürfte neidisch sein.

Alles prima also in Maxen? Dass sich viele Menschen so wie Jutta Tronicke für den Ort engagieren, ist zweifellos ein Plus. Doch die Ehrenamtler kommen an Grenzen. Das Arbeits- und Familienleben fordere heute mehr Einsatz als früher, sagen sie. Der Plan aus dem kunterbunten Haus gegenüber vom Gasthof, Künstler und Kunsthandwerker könnten ihre Arbeiten regelmäßig selbst verkaufen, ging nicht auf. So viel Zeit hat kaum einer. Der Heimatverein schätzt das Durchschnittsalter seiner Mitglieder optimistisch auf Mitte sechzig, ein paar Jüngere mehr dürften gern mitmischen. Es reicht ja nicht, ein Dorf neu aufblühen zu lassen. Man muss das alles erhalten. Jutta Tronicke sagt: „Wir sind jetzt gerade bei den Mühen der Ebene.“

Die Menschen waren neugierig, als das Heimatmuseum vor fünfzehn Jahren aufmachte. Inzwischen hat das Interesse nachgelassen, es reicht ein Öffnungstag pro Woche. In dem Haus am Dorfplatz besprachen sich früher Feuerwehrleute, und es gab eine Bibliothek. Nun zeigen sich dort jeden Sonntagnachmittag Kanonenkugel, Uniform und das große Gemetzel auf kleinem Raum. Ein Diorama mit über tausend bemalten Zinnfiguren stellt die Schlacht bei Maxen nach. Während des Siebenjährigen Krieges 1759 ergaben sich Preußens Truppen den Österreichern – ein „ganz unerhörtes Exempel“, schnaubte Preußenkönig Friedrich II.

Ohne Jutta Tronicke könnte das Museum wohl kaum öffnen. Besuchern erzählt sie vom alten Krieg und mit Humor von den anderen beiden K, die Maxen bekanntmachten: Kalk und Künstler. Außer dem Dichter Andersen logierten die Maler Caspar David Friedrich und Carl Christian Vogel von Vogelstein in Maxen, „das Who’s who der Romantik“, wie Tronicke sagt. Die Pianistin Clara Schumann schrieb über ihren Spaziergang zur uralten Linde im benachbarten Schmorsdorf. Bis heute streckt sich der wuchtige Baum in die Höhe, gleich daneben erinnert die Ausstellung im früheren Spritzenhaus an Clara und ihren Mann Robert Schumann. Noch so ein Kleinod.

Erstaunlich an Maxen ist, dass seine neuen Blüten in den letzten Jahren nicht unbedingt auf eigenem Mist wuchsen. Wo über lange Zeit Rittergutsbesitzer und Parteisekretäre das Sagen hatten, braucht bürgerschaftlicher Einsatz erst Übung. So waren es meist Auswärtige, die Dinge voranbrachten. Leute wie die Dresdnerin Jutta Tronicke, die in den Neunzigern eine Datsche suchte und in Maxen fand. Auf ihrem Grundstück steht auch das sogenannte Blaue Häusel, gebaut 1848 zur Erinnerung an einen Künstlergast aus Indonesien. Tronicke gab dem Pavillon die markante Kuppel zurück, auf dessen Spitze ein Halbmond tanzt. Zu besonderen Anlässen wie am Denkmalstag gehen Gäste durch Häusel und Garten. Sie blicken ins waldige Bergtal, und gerade mal ein paar Windräder und bisschen Autogebrumm erinnern an die moderne Welt da draußen.

Treffpunkt für Tausende

Wer in Maxen von einer Sehenswürdigkeit zur anderen läuft, kann damit locker einen Tag verbringen. Das lohnt bei Sonnenwetter umso mehr. Aber nicht nur. Die Webseite des Heimatvereins nennt Termine auch für Regentage. Es sind etwa jene Konzerte gelistet, die ein Privatmann im Schloss anbietet. Kaffeetrinken kann man dort ebenso wie im Kunsthof. Und dann gibt es noch den Kalkofen.

Der sechseckige Turm von 1856 war damals eine Neuheit. Arbeiter brannten hier Kalk, der besonders rein war. Sie sparten dabei Brennmaterial dank der besonderen Konstruktion des Ofens. Ein promovierter Physiker aus dem Heimatverein trieb die Sanierung des bröckelnden Denkmals voran. Im Inneren erzählen Schautafeln von der Geschichte und Marmorproben vom Steinbruch nebenan, aus dem sich Dresdens Hof bediente. Warm wird es im Ofen am letzten Novemberwochenende allein durch die Besucher. Bei Stollen und Glühwein kann man Kunst sehen, historische Maschinen mit Dampfbetrieb und Spielzeuge. Am ersten Advent verkaufen sie Karten für die Naturbühne, erzählt Jutta Tronicke. Das Laientheater zieht im Sommer Tausende an. Maxen ist voller Menschen, wenn was los ist. An anderen Tagen hat man das Dorf fast für sich, die Ruhe, die Ausblicke, 3 K und manches mehr.