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Görlitz zieht Blitze an

Die Stadt gehört zu den Gegenden Deutschlands, in denen es 2013 am häufigsten einschlug. Wo liegen die Ursachen?

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© dpa

Von Ingo Kramer

Grau und nass präsentierte sich das Wetter gestern in der Lausitz und in andren Teilen Sachsens – Donner und Blitze blieben jedoch aus. Das ist schon fast ungewöhnlich. Denn im vergangenen Jahr hat es deutschlandweit nirgendwo so oft geblitzt wie in der Stadt Coburg und im Südteil des Landkreises Görlitz. Während in der oberfränkischen Stadt 6,39 Blitze pro Quadratkilometer niedergingen, kam der Altkreis Löbau-Zittau mit 5,89 Blitzen auf Rang zwei. Insgesamt wurden 429 Städte und Landkreise untersucht. Auch die Stadt Görlitz (Platz 18) und der frühere Niederschlesische Oberlausitzkreis (Platz 40) landeten in der Spitzengruppe. Deutlich ruhigere Tage und Nächte erlebten hingegen die Bewohner im hessischen Landkreis Limburg-Weilburg und im bayrischen Schweinfurt. Hier schlugen gerade einmal 0,17 Blitze beziehungsweise 0,20 Blitze ein.

All das hat der Blitz-Informationsdienst von Siemens (Blids) jetzt herausgefunden. Er nutzt rund 150 verbundene Messstationen in Europa und betreut das Messnetz in Deutschland und anderen Staaten. „Aus den Werten der verschiedenen Messempfänger ermitteln wir genau, wo gerade ein Blitz einschlägt“, so Blids-Leiter Stephan Thern. Insgesamt gab es vergangenes Jahr 542 376 Blitzeinschläge in Deutschland.

700.000 Blitze in 13 Jahren

Sachsen ist auch in Langzeitstudien ein blitzreiches Bundesland. Durchschnittlich werden hier etwa 3,5 Blitze pro Quadratkilometer und Jahr gemessen. Das geht aus einer aktuellen Studie der TU Bergakademie Freiberg im Auftrag des sächsischen Landesamts für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie hervor. Zum Vergleich: In Thüringen ist die Blitzhäufigkeit (1,5) nicht einmal halb so groß. Insgesamt 700 000 der gewaltigen elektrischen Entladungen zählten die Wissenschaftler von 1999 bis 2012 über Sachsen. Die bislang höchsten gemessenen Blitzdichten innerhalb Deutschlands traten im Osterzgebirge auf.

Auch in der Blids-Untersuchung liegt bei den Langzeitergebnissen von 1999 bis 2013 das Erzgebirge klar vor dem Landkreis Görlitz. Die Zahlen aus dem Jahr 2013 haben also mit den Mittelwerten der vergangenen 15 Jahre nicht viel gemeinsam. Und: Sogar im früheren NOL gab es in den 15 Jahren mehr Blitze pro Quadratkilometer als in Görlitz und im Altkreis Löbau-Zittau. Letzterer kommt hier eher auf durchschnittliche Werte. Woran die plötzliche Verschiebung im Jahr 2013 liegt, weiß selbst Stephan Thern nicht: „Man kann nicht alles wissenschaftlich erklären.“ Vielmehr sei es so, dass sich solche Zahlen von Jahr zu Jahr deutlich unterscheiden können: „Eine einzige Kaltfront kann bis zu zehn Prozent der Jahresblitze auslösen.“ Generell, so Thern, gebe es für Blitze zwei Gründe: Die Existenz von erhöhten Punkten wie Bergen und Türmen und die Temperaturen: Ist es sehr warm und kommt dann eine Kaltfront nach, so ist oft mit Gewittern zu rechnen. Und in den Bergen stauen sich nun mal die Wolken – auch im Zittauer Gebirge, was die hohe Zahl für den Altkreis Löbau-Zittau mit erklärt. Die Landeskrone hingegen hält Thern nicht unbedingt für einen Auslöser: „Eine freistehende Erhebung wird sicher öfter getroffen als das Umland, aber auf eine größere Fläche betrachtet, spielt das keine Rolle.“

Auch der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif, der am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Universität Kiel forscht, hat keine Ursachen für die konkrete Blitzhäufigkeit zwischen Zittauer Gebirge und dem Flachland um Weißwasser parat. Für die Entstehung von Gewittern nennt er gleich mehrere Kriterien: Starke vertikale Temperaturunterschiede mit meist sehr heißer Luft an der Erdoberfläche und Kaltluft-Vorstößen in der Höhe, hohe Luftfeuchtigkeit, hochreichende Wolkenbildung sowie Vertikalbewegungen der Luft. „Bei Letzteren können Gebirge helfen“, so Latif. Er verweist auf die weltweite Verteilung von Blitzen. Sie zeigt, dass es in Deutschland ein Nord-Süd-Gefälle gibt. „Ich nehme an, dass das mit den Maximal-Temperaturen und den Bergen zusammenhängt“, so der Experte. In der Görlitzer Wetterwarte hingegen wird die Zahl der Blitze nicht erfasst. „Wir als Deutscher Wetterdienst zählen keine Blitze und können uns deshalb auch keine Interpretation der Siemens-Zahlen erlauben“, erklärt Wetterbeobachter Jens Findeiß. Ihm sei nur die alte Theorie bekannt, wonach es an erhöhten Orten häufiger blitzt als auf dem flachen Land. Dass Findeiß damit richtigliegt, zeigt der Blick auf die Blids-Deutschland-Karte. Sie enthält faktisch für ganz Norddeutschland niedrige Werte und für den Süden hohe. Langfristiger Schwerpunkt ist neben dem Erzgebirge vor allem der Alpenrand.