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Geschichtsstunde für Gestrige

Für den Sieg des Bösen reicht es, dass die Guten nichts tun, sagt Martin Schulz beim Kongress im Festspielhaus Hellerau.

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© kairospress

Tobias Wolf

Dresden. Der Saal im Festspielhaus Dresden-Hellerau ist bis auf den letzten Platz besetzt, als EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) das Podium betritt. Es sind fast die Schlussworte, die der Mann aus dem fernen Brüssel den Teilnehmern des Kongresses gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ins Stammbuch schreibt. Braucht es Geschichtsstunden in Europa-Politik?

Schulz findet ja. Immer mehr Populisten kämpften gegen die Europäische Union. Deren Rhetorik sei die „der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, des Ultra-Nationalismus, des Hasses, der Intoleranz“, so Schulz. Wer Europa abschaffen wolle, setze Dämonen frei, die diesen Kontinent wieder in den Abgrund ziehen würden, sagt Schulz. Angesichts wachsender Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremer Umtriebe ruft Schulz dazu auf, die Demokratie offensiv zu verteidigen. Diejenigen, die sie angriffen und riefen „Wir sind das Volk“, müssten in die Schranken gewiesen werden. Demokratische Werte könnten nur gemeinsam und nicht durch „Renationalisierung“ geschützt werden. Es sei eine Illusion, dass man ein Land einzäunen könne und dann die Globalisierung schon vorbeilaufe.

Frieden in Europa und die Union haben Wohlstand und Sicherheit gebracht. Die europäische Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei die Antwort auf die erste mit zwei verheerenden Weltkriegen. Für den Sieg des Bösen reicht es, dass die Guten nichts tun, sagt Schulz vor einem Publikum, dass diese Ermahnung eigentlich nicht bräuchte.

Gut 350 Menschen aller Altersklassen sind zum Kongress des Twitter-Projektes Straßengezwitscher gekommen. Seit vergangenem Jahr berichten die Organisatoren Johannes Filous und Alexej Hock von Pegida-Demonstrationen oder anderen Anti-Asyl-Kundgebungen im sozialen Netzwerk Twitter und haben dafür in diesem Jahr den Grimme-Online-Preis gewonnen. Der Kongress in Hellerau soll ein Signal gegen das Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen sein . In Seminaren lernen Besucher, wie sie gegen rechte Parolen argumentieren oder wie Hass-Kommentare in sozialen Netzwerken bei den richtigen Behörden angezeigt werden können.

Bei einer Podiumsdiskussion geht es schließlich um die Frage, wie mit Anfeindungen aus dem rechten Spektrum aber zunehmend auch aus der „normalen“ Bürgerschaft umzugehen ist. Denn längst stehen nicht mehr nur Politiker, Polizisten, Ehrenamtliche und Journalisten im Fokus. So berichtet der frühere katholische Pfarrer von Zorneding, einer Gemeinde bei München, über fremdenfeindliche Äußerungen von CSU-Lokalpolitikern und Morddrohungen, die er erhielt. Teilweise hatten sich die rassistischen Äußerungen persönlich gegen Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende gerichtet, der aus dem Kongo stammt. Der 67-Jährige trat schließlich von seinem Pfarramt zurück, obwohl 50 000 Menschen ihn in einer Petition unterstützt hatten.

MDR-Hörfunk-Journalistin Ine Dippmann beschreibt, wie sie auf einer Legida-Demo in Leipzig von einer älteren Dame geschlagen wurde, die eher nach einem Besuch in der Nikolaikirche ausgesehen habe, als wie eine gewaltbereite Radikale. Es sind Szenen, die schon viele erlebten, die im Umfeld von Pegida & Co arbeiten oder sich dagegen engagieren.

Österreich sei Deutschland in Sachen Populismus 30 Jahre voraus, sagt Regisseur und Autor David Schalko. Pegida und AfD verführen nach dem gleichen Muster wie die FPÖ in der Alpenrepublik. „Sie versprechen den Menschen, dass es wieder so wird, wie es nie war“, sagt der 43-Jährige. Die Rechten bräuchten Ausländer und den Islam sogar, weil sie sonst ihre Existenzberechtigung verlören. Was der Dresdner Kongress am Ende bringen wird, ist nicht klar. „Es ging uns vor allem um das Vernetzen und Kennenlernen“, sagt Mitorganisator Filous. Viele hätten sich hier Inspirationen für ihr eigenes Engagement geholt, wie eine Teilnehmerin aus Halle, sagt er. Ob es noch einmal solch einen Kongress geben wird, ist unklar. Dass er in Sachsen stattfinde, zeuge aber davon, dass es eben nicht Pegida & Co. allein sind, die für dieses Bundesland sprechen, sagt Martin Schulz.