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Geordnetes Chaos

Jede Woche kommen neue Flüchtlinge vor dem Kamenzer Landratsamt an. Am Donnerstag kam der 3 000.

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Jana Ulbrich

Kamenz/Bautzen. Der 3 000. kriegt keine Blumen. Für Sentimentalitäten ist nicht die Zeit an so einem Tag. Einer der 33 Männer, Frauen und Kinder, die an diesem Donnerstagmorgen vor dem Kamenzer Landratsamt aus dem Bus steigen werden, ist der 3 000. Asylbewerber, den der Landkreis Bautzen jetzt gleich aufnehmen wird. Vielleicht ist es ja Ben Mohamed aus Tunesien, der viel lieber nach Leipzig zu seinen Angehörigen gebracht worden wäre. Oder der kleine Sajad aus dem Irak, der gar nicht begreift, was hier gerade passiert.

„Alle sitzenbleiben“, kommandiert der Chef vom Sicherheitsdienst. Dem scharfen Ton wagt sich keiner zu widersetzen. Die Asylbewerber im Bus sitzen still, fast ängstlich. Keiner von ihnen weiß, wo er an diesem Abend schlafen wird. Alle hoffen auf eine bessere Unterkunft, als es die riesige Fabrikhalle in Bischofswerda war, in der sie die letzten Wochen verbracht haben.

Eine Herausforderung

Die Mitarbeiter der Ausländerbehörde haben die Menschen im Bus schon verteilt. Letzten Freitag haben sie die Listen mit ihren Namen und Nationalitäten bekommen. 92 sind es heute – 33 aus dem Erstaufnahmelager in Bischofswerda, 59 kommen noch mit einem zweiten Bus aus Chemnitz. „Die Verteilung ist jedes Mal eine Herausforderung“, sagt Robert Domanja.

Seit August arbeitet der 34-Jährige im neuen Ausländeramt. Er muss sich darum kümmern, dass genügend Plätze da sind. Eigentlich soll er auch noch auf Befindlichkeiten achten. Es soll ja nicht zu unnötigen Konflikten kommen, etwa zwischen Nord- und Zentralafrikanern oder Syrern und Tunesiern. Im Notfall kann er darauf aber keine Rücksicht nehmen. Nicht, wenn jede Woche 100 Menschen kommen oder noch mehr. Für die 33 Neuen im Bus draußen ist diesmal Platz in Heimen in Kamenz, Hoyerswerda und Bautzen. Eine Kollegin kommt mit den Listen. Es kann losgehen.

Der wichtigste Mann ist jetzt Sadim Lefkir, 41 Jahre, Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst und Sprachgenie: Muttersprache Arabisch. Mit seiner Hilfe als Übersetzer ist das Chaos gleich geordnet. Sadim Lefkir steigt in den Bus und liest die Namen von den Listen vor. Die Aufgerufenen melden sich und geben ihm ihre „Ausweise“. Die Ausweise sind A-4-Blätter mit kopierten Passbildern, persönlichen Daten und Registrierungsnummern – vom vielen Vorzeigen geknittert und abgegriffen. Es gibt ein Problem: Eine Familie ist zu siebent im Bus, aber nur sechs Namen stehen auf der Liste. Eine Mitarbeiterin eilt zum Telefon.

Endlich aussteigen

Alle anderen Ausweise sind jetzt eingesammelt, die Leute dürfen endlich aussteigen. Aus dem Gepäckladeraum verteilt der Busfahrer das Hab und Gut. Ein paar Beutel und Taschen, Kinderwagen, die meisten haben ihre paar Habseligkeiten in blaue Mülltüten gepackt. Die schleppen sie jetzt erst einmal ins Foyer vom Landratsamt.

Robert Domanja hat den Tagungssaal ganz oben im Haus gemietet, in dem sich die Leute aufwärmen und aufhalten können, solange die Papiere fertiggestellt werden. Das dauert: Die Mitarbeiter müssen die Angaben von den Listen mit denen auf den Ausweisen vergleichen. Auf die A4-Blätter kommen neue Stempel mit neuen Registrierungsnummern und der neuen Adresse. Und alle Blätter müssen für die Unterlagen im Amt kopiert werden.

Ein kurzes Durchatmen

Die Menschen im Tagungssaal warten geduldig. Warten sind sie gewöhnt. Keiner spricht, selbst die Kinder sitzen mucksmäuschenstill. Sadim Lefkir zählt immer wieder die Personen im Raum. Es sind 33, alle da. Jetzt kommt auch die Mitarbeiterin mit den neuen Listen. Wieder werden einzeln die Namen aufgerufen. Jeder muss nach vorn kommen und unterschreiben. Sadim Lefkir erklärt den Leuten, wo sie künftig wohnen werden. Ben Mohamed aus Tunesien kommt in den Greenpark nach Bautzen. Der 21-Jährige holt tief Luft und schluckt. Der kleine Sajad aus dem Irak wird mit seinen Eltern und den drei Geschwistern auch im Greenpark unterkommen. Das Zimmer, das die Familie beziehen wird, ist nun das Ziel ihrer langen Reise über die Balkanroute.

Wer unterschrieben hat, darf sich unten an der Kasse unter den strengen Augen eines Wachmanns gleich das erste Geld auszahlen lassen: 326 Euro. Vor dem Landratsamt stehen zwei neue Busse. „Alle einsteigen“, kommandiert der Chef vom Sicherheitsdienst. „Kamenz, Hoyerswerda hier“, zeigt er. „Bautzen dort“. Die meisten zeigen ihm den neuen Stempel, sie können nicht lesen, was da steht. Sie laden ihre Habseligkeiten wieder in den Gepäckraum. Die Busse werden sie an ihr neues, unbekanntes Ziel bringen. Die Mitarbeiter im Landratsamt atmen kurz durch. Gleich kommt der Bus aus Chemnitz.