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Geheimnisse aus der Ritze

Polsterer restaurieren nicht nur, sie entdecken auch so einiges. Julia Hinkelmann berichtet von den skurrilsten Funden.

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© Dietmar Thomas

Von Franziska Klemenz

Was klappert da in meiner Couch? Bis der Besitzer darauf kommt, rät er sich schwarz. Was einmal in die Ritze rutscht, steckt ziemlich tief. Zumindest in den Polstern. Des Rätsels Lösung? „Ein Gebiss“, sagt Julia Hinkelmann.

... wie zum Beispiel dieses Flugblatt.
... wie zum Beispiel dieses Flugblatt. © Dietmar Thomas

Die 28-Jährige arbeitet für Hinkelmann Polstermöbel, benannt nach ihren Vorfahren. Inzwischen ist sie Prokuristin, schon zu Schulzeiten verbrachte sie die Ferien in der Restauration. Sie verfolgt noch heute aufmerksam, was dort alles zum Vorschein kommt. Neue Couch- und Sesselgarnituren verkaufen Hinkelmanns in Schweikershain seit Generationen, begonnen 1893. Alte Möbel restaurieren sie seit 1995. „Im Gegensatz zur Neuanfertigung muss das alte Modell erst einmal auseinandergenommen und analysiert werden. Der Stoff wird vorsichtig abgetrennt und als Schablone für den neuen Bezug genutzt“, sagt Julia Hinkelmann.

Das Polsterstück wird bis auf das Skelett zerlegt. Entgehen kann kein Fundstück mehr. Wie lange es auch in den Tiefen der Ritze verharrte. Ist das Versteck erst weg, taucht alles wieder auf. Geradezu prädestiniert scheint das Sofa als Ort für jegliches Geheimnis zu sein. „Einmal haben wir eine ganze Mülltüte voller Süßigkeiten-Papierchen aus einer Couch herausgezogen“, sagt Julia Hinkelmann.

Hitler und Honecker aufgetaucht

Auch versteckte Geschenke kamen schon zum Vorschein. Etwa ein Schlüsselanhänger, den der Schenkende wohl selbst verzweifelt gesucht hatte. Die Fundstücke aufzuheben, begann die Restaurations-Abteilung von Hinkelmann erst vor gut zwei Jahren. „Früher sind sie in der Produktion weggekommen. Dann haben wir uns überlegt, dass die Kunden sich über einige Dinge sicher freuen. Wir fotografieren sie, geben sie den Kunden dann zurück“, sagt Julia Hinkelmann. Außer, es handelt sich um Unrat. Der landet im Müll.

„Die Bonbon-Papierchen haben wir unseren Kunden natürlich nicht wiedergegeben.“ Und auch die Käse- und Salamistücke, die manchmal in den Ritzen lauern, ersparen Hinkelmanns den Kunden. „Jeder von uns nascht doch gern beim Fernsehen“, sagt die Polster-Prokuristin. „Da landet eben auch mal was zwischen den Federn.“

Oder hinter den Rückenkissen, zwischen Schnürung und Polsterung, Seitenteil und Sitzfläche. Die Fundorte sind vielfältig. Und die Fundstücke erstaunlich oft politisch. Manchmal erzählen sie sogar von der düstersten Zeit unserer jüngeren Geschichte. „Kommende Männer“ heißt es etwa auf einem Flugblatt, das Adolf Hitler und den früheren Reichskanzler Franz von Papen zeigt.

Hinkelmann und ihre Leute vermuten aber, dass die Besitzer des Sofas Propagandamaterial wie dieses nach dem Krieg verschwinden lassen wollten und es dann vergessen haben. Gedruckte Zeugnisse der auf das Dritte Reich folgenden DDR fanden sich in einem anderen Sofa. „Unserem Genossen Erich Honecker herzliche Gratulation zum 60. Geburtstag“ prangt es von einer Ausgabe der Zeitung Freie Presse aus dem Jahr 1972.

Ein Schnipsel der Beilage zum Chemnitzer Abendblatt aus dem Jahr 1921 berichtet über eine Brotmarkenbelieferung. Skurril und auf Papier gedruckt sind auch Fundstücke ohne politischen Hintergrund. So wie ein petrolfarbenes Heft, eine „Gebrauchsanweisung“, die ihren Leser über den Umgang mit „Radiumhaltigen Spezialitäten“ aufklären soll.

Welchen Kunden das Salami- und welchen das Propaganda-Sofa gehört, wo das Gebiss und wo die Atomspezialitäten lauerten, behalten Hinkelmanns für sich. Ebenso mögliche Fundstücke aus den eigenen Polstern. Ein paar Geheimnisse dürfen auch jene bewahren, die ansonsten so viel aus den Ritzen kramen.