Merken

Gefährliche Fantasien im Gimmlitztal

Am 10. Verhandlungstag sagt der Angeklagte erstmals selbst aus. Was genau passiert ist, kommt wohl nie heraus. Der Prozess wird aber früher als geplant enden.

Teilen
Folgen
© kairospress

Von Thomas Schade

Er hat es wieder getan. Wie schon im ersten Prozess hat Detlev G., der wegen Mordes angeklagte Kriminalkommissar, ohne Wissen seiner Verteidiger an das Gericht geschrieben. In zwei Briefen wandte er sich im August direkt an den Kammervorsitzenden Hans Schlüter-Staats. Der hatte die Behandlung der HIV-Infektion des Angeklagten nicht als Grund für eine Entlassung aus der Untersuchungshaft akzeptiert. Außerdem glaubte Detlev G. irrtümlich, dass die Kammer ihm das Abo eines Homosexuellen-Magazins nicht genehmigt hatte. In den Briefen ist von Arroganz, Selbstherrlichkeit und Ahnungslosigkeit des Gerichts die Rede.

Am Dienstag entschuldigte sich Detelv G. bei den Richtern für sein Verhalten. Die 5. Kammer ließ sich von der Attacke nie etwas anmerken. Schlüter-Staats bat seinerseits den Angeklagten sogar um Verständnis dafür, dass es im Prozess „manchmal etwas locker zugeht“ und begründete das damit, dass sich einige der Beteiligten schon sehr lange kennen.

Der Angeklagte sagte im zweiten Prozess erstmals selbst aus, berichtete über seinen beruflichen Werdegang und sein familiäres Leben. Demnach ging Detlev G. im südthüringischen Heldburg zehn Jahre zur Schule und wuchs in harmonischen Familienverhältnissen auf. Eigentlich wäre er gern Landarzt geworden. Eine gleichnamige Fernsehserie hatte diesen Wunsch geweckt, aber gereicht hat es nur bis zum Sanitäter und einem medizinischen Interesse, das bis heute andauert. Stattdessen lernte er nach der Schule im Schraubenkombinat von Hildburghausen den Galvaniseursberuf. Der war ihm aber zu gefährlich. Nach giftigen Verpuffungen kündigte er und entdeckte, dass die Volkspolizei gerade Nachwuchs suchte. Nach drei Jahren als Panzerkommandant bei der NVA schloss sich eine typische DDR-Polizeiausbildung an, bei der er sich 1983 zum Schriftsachverständigen spezialisierte. 1994 wechselte Detlev G. von Thüringen nach Sachsen. Zu dieser Zeit war er noch verheiratet, lebte aber schon getrennt von seiner Frau und begann seine Homosexualität auszuleben. Diese, so hat er dem psychiatrischen Gutachter Andreas Merneros berichtet, habe er schon als kleiner Junge entdeckt. Sein erstes homosexuelles Erlebnis habe er bei der NVA gehabt. In der Ehe sei diese Neigung in den Hintergrund getreten. Erst nach 1990 im Angesicht der neuen medialen Freiheit habe er wieder seinen homosexuellen Gefühlen nachgegeben, sei am Wochenende oft in die Berliner Schwulenszene eingetaucht. 2003 heiratete er den Mann, dessen Namen er jetzt trägt. Die eingetragene Lebensgemeinschaft sei nach dem Ereignis 2013 im Gimmlitztal auseinandergegangen. Sein Partner, ein Notar, habe berufliche Nachteile befürchtet. „Wir haben bis heute einen guten Kontakt“, sagt G. Auch zu seiner Familie halte er nach wie vor Verbindung.

Die Pension im Gimmlitztal habe er als Pächter geführt und einen SM-Keller eingerichtet, nachdem er seit 2006 auch ein Interesse für Sadomasochismus entdeckt hatte. Am 4. November 2013 war der gebürtige Pole Woitek S. in dem Keller gestorben. Detlev G. soll ihn laut Anklage stranguliert und danach zerstückelt haben; der Angeklagte bestreitet einen Mord.

Was in diesem Keller genau passierte, das werde auch in diesem zweiten Prozess nicht aufzuklären sein. Dieser bemerkenswerte Satz entfuhr dem Vorsitzenden am Dienstag eher nebenbei und stieß bei Verteidigern und bei der Staatsanwaltschaft auf gegensätzliche Resonanz.

Umso mehr Bedeutung bekommt, was der Sachverständige Andreas Merneros über das Seelenleben und die sexuellen Fantasien des Angeklagten zu berichten hatte. Neben 23 Aktenordnern mit den Ermittlungsergebnissen sind es vor allem die Einlassungen des Angeklagten, aus denen der Sachverständige seine Schlussfolgerungen zieht. Mehr als fünf Stunden lang trug er am Dienstag aus seinem Gutachten vor und bescheinigte dem Angeklagten wie schon im ersten Prozess die volle Schuldfähigkeit. Weder am 4. November noch vor- oder nachher habe eine krankhafte seelische Störung bei Detlev G. vorgelegen. Seine sexuellen Neigungen seien in die Regionen des Perversen vorgedrungen, bis hin zum sexuellen Kannibalismus.

Vieles davon habe sich jedoch in den Fantasien des Angeklagten abgespielt. Er habe nie seine Steuerungsfähigkeit oder die Kontrolle verloren. Er habe sich jederzeit im Griff gehabt. Das zeige sich daran, dass er wenige Wochen vor dem 4. November einen jungen Mann weggeschickt habe, der sich ebenfalls von ihm hatte schlachten lassen wollen. Der Sachverständige kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass G.s sexuelle Fantasien gesellschaftlich nicht akzeptabel seien, aber keine schwere Abartigkeit im Rahmen des Strafgesetzbuches darstellen.

Eine Frage blieb am Dienstag offen. Wie glaubwürdig ist, was der Angeklagte dem Gutachter anvertraut hat. Andreas Merneros‘ Auftrag war es nicht, das zu untersuchen. Diese Frage ist eine der schwierigen für das Gericht. Am Donnerstag werden bereits sie Plädoyers gehalten. Damit endet der Prozess früher als geplant.