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Gassi-Geher müssen auf die Schulbank

Nach teils teuren Vorfällen will das Tierheim die Hunde nicht mehr jedem mitgeben. Nun gibt es eine neue Idee.

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© Andreas Weihs

Von Annett Heyse

Freital. Namen und Zeitpunkt wolle sie nicht nennen, aber den Vorfall könne sie gerne einmal schildern. „Der fällt genau in die Rubrik: Nicht zugehört und dann noch falsch gehandelt“, sagt Anja Witzmann. Witzmann arbeitet seit 16 Jahren beim Freitaler Tierheim und leitet die Einrichtung für Hund, Katz und andere tierische Findlinge. Der Vorfall trug sich mit einem großen Hund zu. Einer, der durchaus mal kräftig an der Leine ziehen kann.

„Es kam ein Pärchen und nahm ihn zum Gassigehen mit. Die hatten schon mehrmals einen Hund bei uns ausgeführt. Wir hatten den Mann extra noch darauf hingewiesen, er solle ihn auf keinem Fall seiner Freundin geben“, erinnert sich die Tierheim-Chefin. Trotzdem lief der Rüde irgendwann an der Seite der zarten, unerfahrenen Frau, witterte eine Hündin und setzte sich in Bewegung. „Die Frau wurde von dem Hund durch den Wald gezogen, schließlich ließ sie los.“ Der Rüde hatte freie Bahn, verbiss sich in seine Artgenossin und verletzte sie.

Um genau solche Vorfälle in Zukunft auszuschließen, will das Tierheim seinen Gassi-Service in der jetzigen Form zum Jahresende einstellen. Wer in Zukunft die Hunde ausführen möchte, muss auf die Schulbank. Darüber informierte die Einrichtung kürzlich auf ihrer Internetseite und bei Facebook.

Bisher war es so, dass jeder, der es sich zutraute, zu den Öffnungszeiten vorbeikommen, ein Tier zum Gassigehen abholen konnte. „Das war für uns natürlich eine tolle Unterstützung und hat auch den Tieren, die sich gerne bewegen, viel geholfen. Wir selbst können das gar nicht immer so leisten“, sagt Anja Witzmann. Selbstverständlich habe man vorher mit den Leuten gesprochen, nach Erfahrungen gefragt, Hinweise und Tipps gegeben sowie die Regeln erklärt. „Und wir haben nicht jedem jedes Tier anvertraut, sondern geschaut, dass Hund und Person zusammenpassen.“

Und obwohl die meisten Hundefreunde ihren Gassi-Service ganz hervorragend gemacht hätten, gab es zunehmend kostspielige Vorfälle. So verfütterten etliche Gassi-Geher Leckerlis, welche die Hunde nicht vertrugen. Wenige Stunden später lagen die Tiere mit Durchfall in ihren Boxen. Oder die Tiere wurden von der Leine gelassen, was aber auf dem Windberg grundsätzlich verboten ist. Und es gab Beißattacken auf Tierheim- und Privathunde. „Die anschließenden Kosten für Tierarzt und Versicherungen erdrücken uns“, sagt auch Regina Barthel-Marr, Vorsitzende des Tierschutzvereins Freital.

Und es gibt einen weiteren Grund, weshalb das Tierheim die Reißleine zieht: Jeder behandelt Tiere anders. Es sei auch ein Problem für die Hunde gewesen, immer wieder mit anderen Menschen mitzulaufen. Barthel-Marr: „Der eine sagt: Sitz! Der nächste sagt: Platz! Der übernächste macht nur eine Handbewegung. Manche Tiere wussten dann gar nicht mehr, was sie machen sollten. Also machten sie, was sie selbst wollten.“ So kamen bei manchen Tieren Erziehungsprobleme hinzu.

Nun sollen die Gassi-Geher sozusagen erzogen werden. Das Tierheim möchte erstmals Mitte Dezember und dann wahrscheinlich in jedem Vierteljahr ein Seminar für Interessenten anbieten. Die Teilnahmegebühr kostet zehn Euro. Eine erfahrene Hundetrainerin soll die Gassi-Geher schulen.

„Wir wollen, dass alle einheitlich lernen, wie sie mit den Tierheimhunden umgehen sollen, wie sie die Körpersprache der Tiere entschlüsseln können und wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten sollen“, erklärt die Vereinsvorsitzende. Auch auf die Problematik, dass Tierheim-Hunde mitunter weniger stressresistent sind, soll in den Seminaren eingegangen werden. Selbstverständlich werden auch die Tierheim-Mitarbeiter an den Schulungen teilnehmen. Ziel sei es, gleiche Standards für jeden Gassi-Helfer zu setzen.

„Es ist uns nach wie vor eine große Hilfe, wenn Menschen die Hunde auf den Spaziergang mitnehmen“, betont die Tierheimleiterin. Man freue sich auf den neuen Abschnitt und sei schon ganz gespannt, ob das in Zukunft besser funktioniere. Die Zustimmung unter den Tierfreunden ist auf jeden Fall da: Mehr als 50 Anmeldungen für die erste Schulung liegen vor.

www.tierheim-freital.de