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Frühlingsgefühle im Schilderwerk

Weil nach dem Winter viele Straßenbaustellen beschildert werden müssen, herrscht in Langburkersdorf Hochbetrieb.

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© Dirk Zschiedrich

Von Jörg Stock

Martin Reh kann nicht anders: Sitzt er im Auto, muss er auf die Schilder gucken. Das machen andere auch. Doch Martin Reh guckt anders als die anderen. Ihn interessiert nicht bloß, was die Schilder anzeigen, sondern vor allem, wie sie es tun. Er nennt das seine Berufskrankheit. Neulich war er mal in Köln. Da geht es den Schildern schlecht: Angerempelt, verdreht und verblasst standen sie am Straßenrand, erzählt er. „Es war eine Katastrophe.“ Im Neustädter Ort Langburkersdorf befindet sich ein Jungbrunnen des deutschen Schilderwaldes, das Schilderwerk Beutha, Werk II. Im Moment sprudelt die Quelle besonders munter. Die Baustellen erwachen vom Winterschlaf oder werden neu aufgemacht, Straßenbesitzer und Verkehrssicherer kramen in ihren Vorräten nach Sperrscheiben, Umleitungspfeilen und Tempolimits. Und wenn die Lager leer sind, rufen sie in Langburkersdorf an.

Zurzeit der Renner: Mitarbeiterin Ilona Quitschau bereitet die Produktion eines Schlaglochwarnzeichens vor.
Zurzeit der Renner: Mitarbeiterin Ilona Quitschau bereitet die Produktion eines Schlaglochwarnzeichens vor. © Dirk Zschiedrich
Ab in die Mangel: Julian Schneider klebt am Applizierapparat das Schild „Einfahrt verboten“, auch genannt „Sparbüchse“.
Ab in die Mangel: Julian Schneider klebt am Applizierapparat das Schild „Einfahrt verboten“, auch genannt „Sparbüchse“. © Dirk Zschiedrich

Das Werk ist auf die steigende Nachfrage vorbereitet, sagt Martin Reh, Niederlassungschef, Außendienstler und Bauleiter in einer Person. Die Winterzeit hat man zum „Aufmunitionieren“ des Fertiglagers verwendet, sagt er. Auf fünf Regal-Etagen schmiegt sich Schild an Schild, rund und eckig, hoch und breit. Hier gibt es alles, sagt Reh, was gemäß Straßenverkehrsordnung zum Standard zählt. Etwa 10 000 Verkehrszeichen dürften es zurzeit sein.

Wie aufs Stichwort tritt ein Mann in orangefarbiger Montur herein, ein Stadtbediensteter, der sein Schilderpaket abholt. Einer der täglichen Zaungäste, sagt Herr Reh. Schnell hat er den Bestellzettel gefunden: Parken mit Zeitbeschränkung, Parkscheibe, zwei Stunden. Er überreicht dem Bauhofmann das grau eingeschlagene Päckchen und wünscht viel Spaß damit. Am Morgen schon ging eine Großbestellung nach Taucha bei Leipzig ab, an die hundert Schilder. Was die Kunden nicht persönlich abholen, das wird angeliefert oder verschickt. Etwa zwanzig Pakete verlassen täglich per Post den Betrieb.

Fragt man den Herrn der Schilder nach seinem Lieblingsschild, zuckt er die Schultern. Die Palette ist so groß, sagt Reh. Jeden Tag hat er was anderes auf dem Tisch. Der Normalbürger mag wohl das runde, weiße Schild mit den fünf schwarzen Schrägstreifen am liebsten – Aufhebung aller Tempolimits. Konjunktur hingegen hat jetzt ein unliebsames Zeichen: Achtung, Straßenschäden, die Erste Hilfe für Schlaglochpisten. Auch das Landratsamt Pirna hat kürzlich wieder vierzig Exemplare geordert.

Eine Schlaglochwarntafel zu produzieren, dauert in Langburkersdorf nur wenige Minuten, vor allem deshalb, weil der Rohling, eine mit Reflexfolie beklebte Aluminiumtafel, hergestellt im Chemnitzer Hauptwerk, schon auf Lager ist. In Langburkersdorf findet die Endmontage statt. Am Computer wählen die Schildermacher die Beschriftung aus und lassen sie vom Plotter aus schwarzer Klebefolie ausstechen. Dann werden die Buchstaben herausgelöst, entgittert, wie man sagt, und mit Übertragungsfolie und Gummiwalze auf den Rohling gebracht. Aus den Digitaldruckern der Werkszentrale kommen auch fertige Schilderfolien, von der „Sparbüchse“ bis zum „Schippemännel“. Man schiebt sie zusammen mit der blanken Alu-Scheibe durch den Applizierer, der einer Wäschemangel ähnelt – fertig ist das Verkehrszeichen.

Willkommen in Klein Gallien

Das brandneue Schild strahlt, als hätte es selber Licht in sich. Die hohe Leuchtdichte wird von Mikroprismen im Inneren der Folie erzeugt. Das sorgt für gute Sichtbarkeit, auch im Dunkeln. Doch der Glanz ist endlich. Mit der Zeit verblasst er. Je nach Foliensorte wird eine Haltbarkeit von sieben bis zehn Jahren angesetzt. Die Straßenbesitzer sind zu Reflexionstests verpflichtet. Entlang der Hauptrouten, sagt Martin Reh, sehen die Schilder meist noch ganz passabel aus. In den Nebenstraßen aber müsste manch trübe Scheibe längst ersetzt sein. „Der Bedarf ist riesig.“

Der Deutsche liebt seine Schilder, da ist Martin Reh sicher. Hätten es die Leute in der Hand, sie würden vor ihre Grundstücksausfahrten reichlich Parkverbotszeichen und Verkehrsspiegel stellen. Als Außendienstler sieht er auch die Auswüchse der Schilderliebe: den Schilderklau. Die Tempolimits 30 und 50 werden am häufigsten gestohlen, wohl als Geburtstagspräsent. Ortstafeln verschwinden als Maskottchen für Reisegruppen, die damit bei Festivals oder Sportevents posieren. Das muss nicht sein. Auf Kundenwunsch fertigt das Langburkersdorfer Werk Geburtstagsschilder mit persönlicher Note an. Herr Reh zeigt ein Muster zum 60., darauf ein Herr mit dickem Karpfen sowie stolz und Bier trinkend vor seinen Holzvorräten. Auch Ortstafeln hat das Schilderwerk schon für privat produziert, etwa für die Bürger von „Klein Gallien, OT Rückersdorf“.

Die Verkehrsschilder sind genormt, die Schildermacher aber sind flexibel. „Alles, was wie ein Schild aussieht, können wir machen“, sagt der Chef. Und was, wenn die Autos einmal autonom fahren, der Mensch nicht mehr lenken muss? Werden Schilder dann überflüssig sein? Darüber macht sich Martin Reh keine Sorgen. Er wird das vermutlich nicht mehr erleben. Und selbst wenn: Auch autonome Autos werden eine Orientierung brauchen, denkt er. „Schilder wird es immer geben.“