Merken

Froh, nicht normal zu sein

Zum Folklorum auf der Kulturinsel Einsiedel kam ein buntes Volk aus Freaks, Hippies, Visionären und allen, die das gerne wären.

Teilen
Folgen
© Pawel Sosnowski

Von Rita Seyfert

Barfuß mit Glöckchen am Knöchel, eine John-Lennon-Brille, um die „Was-geht-mich-die-Welt-an“-Attitüde hinter dunklen Gläsern besser durchzuhalten. Und bunte Blümchen-Kleider zwischen minikurz und bodenlang, mitgebracht aus dem Goa-Urlaub. Sich sorglos treiben lassen und das Leben auf dieser Welt genießen, so lautete die Devise. Beim 23. Folklorum in der Kulturinsel Einsiedel haben sie ihre neuzeitliche Hochburg gefunden. Die Hippies. Wie in den 60er-Jahren geht es um Liebe, Musik und den richtigen Look zum Lebensgefühl.

Während andere Folk-Treffen vor allem den Älteren überlassen sind, können auf der Kulturinsel eben auch Kinder mitspielen wie dieser Junge im Zauberwald. Auch in diesem Jahr nutzten viele Besucher die Gelegenheit, das Festival ganz in Familie zu besuchen.
Während andere Folk-Treffen vor allem den Älteren überlassen sind, können auf der Kulturinsel eben auch Kinder mitspielen wie dieser Junge im Zauberwald. Auch in diesem Jahr nutzten viele Besucher die Gelegenheit, das Festival ganz in Familie zu besuchen. © Pawel Sosnowski
An allen Ecken der Kulturinsel tönte es am Wochenende. Die Palette reichte von Akkordeon-Musik bis hin zu mongolischen Rhythmen, von harten DJ-Klängen bis saftiger Jazz-Musik. Das Folklorum ist ohne Zweifel eine große Bühne.
An allen Ecken der Kulturinsel tönte es am Wochenende. Die Palette reichte von Akkordeon-Musik bis hin zu mongolischen Rhythmen, von harten DJ-Klängen bis saftiger Jazz-Musik. Das Folklorum ist ohne Zweifel eine große Bühne. © Pawel Sosnowski
Wem es zu heiß wurde, kühlte sich mit einem Sprung in die Neiße ab. Ohnehin verlebt ein Teil der Besucher die drei Tage an der deutsch-polnischen Grenze am liebsten hüllenlos. In diesem Jahr jedenfalls spielte das Wetter und die Temperaturen dabei bestens
Wem es zu heiß wurde, kühlte sich mit einem Sprung in die Neiße ab. Ohnehin verlebt ein Teil der Besucher die drei Tage an der deutsch-polnischen Grenze am liebsten hüllenlos. In diesem Jahr jedenfalls spielte das Wetter und die Temperaturen dabei bestens © Pawel Sosnowski

Am liebsten tanzen sie aber nackt. Und am Ufer der Neiße dürfen sie das sogar. Naturverbundene Männer, Frauen, Kinder, ganz ohne Feigenblatt, sitzen vereinzelt zwischen den Zuschauern, so wie Gott sie schuf – und verfolgen die turisedischen Festspiele. Ziel der Wettkämpfe ist die Taufe zum Ehren-Turiseder. Einer von insgesamt Dreien, die es bislang in den Silber-Status geschafft haben, ist Benjamin Jakob. Der 28-jährige Dresdener ist selber Spieleentwickler und Erzieher. Seit sechs Jahren besucht er das Folklorum. Und vor drei Jahren, als die Festspiele eingeführt wurden, um das Festival aus der Folkmusik-Ecke herauszuholen, ergriff ihn die Sucht. „Das ist schon ein gewisses Fieber, das von den Spielen ausgeht“, sagt er. Das Agieren mit den großen Holzspielzeugen sei nicht ohne. Alle müssen aufpassen, was die Sicherheit angeht. Das funktioniert. Als das überlebensgroße Hamsterrad am Sonnabend beim Wettrennen im Flussbett wegen einer Wurzel strauchelt und zur Seite kippt, eilt die konkurrierende Mannschaft zu Hilfe.

Für Benjamin Jakob ist der Besuch auf dem Festival zugleich ein Balance-Akt. Da wäre noch seine Frau, ein dreijähriges Kind und ein Baby. Und schließlich komme er auch wegen der Musik in die Neißeaue. Die Folk-Band „Hüsch“ wolle er keinesfalls verpassen. 400 Künstler traten am Wochenende auf 13 Bühnen auf. Unter dem Motto „Starke Frauen“ sangen auch stimmgewaltige Größen wie Ulla Meinecke, Pascal von Wroblewsky oder Annuluk.

Immerhin konnte sich Benjamin Jakob dieses Jahr auf seinem Silber-Status etwas ausruhen. Die Aufgaben für die Gold-Anwärter müssen sich die Programmmacher erst noch ausdenken. Für die nächste Stufe könnte es 2017 soweit sein. Hierbei folgen die schmerzbefreiten Erfinder drei klaren Regeln: Kreativität, ein bisschen Wahnsinn und Tests.

Einer derjenigen, der die Wettkämpfe im Urstadium ausprobiert, ist Melvin Haack, der in Berlin lebt und aus Braunschweig stammt. Im richtigen Leben übt der Mathematiker dreimal im Jahr in Kursen mit Schülern vorm Abitur, im Turiversum versteht sich der 33-jährige Künstler eher als Sportlehrer. Der Quatsch-Erfinder, wie er sich selber nennt, wandelt auf anderen Pfaden. Froh, nicht normal zu sein, steht auf seinem T-Shirt. Wie auch sonst kommt man auf die Idee, Spieler mit ausgeblasenen Eiern zwischen den Fingern einen Berg runterrutschen zu lassen? Wer gewinnt, das entscheiden aber nicht nur die Punkte auf dem Wettkampfschein. Auch ein Orakel schaut, ob Herz und Bizeps an der richtigen Stelle sitzen. Und mit selbstgedichteten Limericks, also fünfzeiligen Versen nach einem festen Reimschema, müssen die Anwärter zeigen, dass sie echte Poeten sind.

Was die Welt fernab die Stirn runzeln lassen mag, findet Besucher Christian Bartsch unterhaltsam. Jedes Festival brauche eben eine Art „Gute-Laune-Motto“, sagt er. Das Folklorum besucht der promovierte Chemiker inzwischen zum vierten Mal. Gemeinsam mit seinen Freunden vom Dresdener Studentenclub Wu5 konnte er noch einen Platz auf dem Zeltplatz ergattern. Da ein Großteil der Fläche dem Hochzeitslabyrinth weichen musste, wurde es spätestens am Sonnabend proppevoll. Dafür war der Zeltplatz auf polnischer Seite, unweit von Bielawa Dolna (Niederbielau) in diesem Jahr das erste Mal richtig ausgelastet. Was die Besucherzahlen angeht, war das Folklorum allemal erfolgreich. Zwar zählten die Organisatoren 2013 schon mal 20 000 Gäste, gestern Nachmittag gingen sie aber wieder von über 18 000 Besuchern an den drei tollen Tagen aus.