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Freisprüche im Skandal um herrenlose Häuser in Leipzig

Nach Ansicht des Landgerichts Leipzig haben die Mitarbeiter zwar Fehler gemacht, aber keine Straftaten begangen. Das sieht die Staatsanwaltschaft anders.

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© dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Freudentränen und Umarmungen auf der Anklagebank des Leipziger Landgerichts: Alle drei ehemaligen Mitarbeiter des Leipziger Rechtsamtes, die wegen des Skandals um die schlampige Veräußerung angeblich herrenloser Wohnhäuser vor Gericht standen, wurden gestern in allen Punkten freigesprochen.

Der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr betonte in seiner fast einstündigen Urteilsbegründung, es seien zwar verwaltungsrechtliche Fehler gemacht worden – aber den Beschuldigten seien keine vorsätzlichen Straftaten wie Untreue oder Betrug nachzuweisen. Auch eine beteiligte Rechtsanwältin wurde freigesprochen.

Leipzig hat seit Mitte der 90er-Jahre über sein Rechtsamt gesetzliche Vertreter bestellt und so rund 400 Häuser und Grundstücke an Dritte verkauft, die der Stadt nicht gehörten. Wollte ein Interessent eine scheinbar herrenlose Immobilie kaufen, wurde von der Stadt ein gesetzlicher Vertreter bestellt. Wurde kein Eigentümer oder Erbe ermittelt, wurde das Gebäude veräußert und der Kaufpreis auf ein städtisches Verwahrkonto eingezahlt.

Doch in einigen Fällen gab es massive Pannen: So wurde ein Eigentümer nicht gefunden, obwohl er seit Jahren Grundsteuern zahlte. Es wurde ein gesetzlicher Vertreter binnen eines Tages bestellt – also fast ohne Recherche. Zudem wurden Immobilien unter Wert verkauft. Als die nachlässige Praxis 2011 öffentlich wurde, ließ das Rathaus langwierige interne Ermittlungen anstellen und kam zum Ergebnis: „Diese Eigentümerrecherche war in Leipzig lückenhaft.“ In vier Fällen hat die Stadtverwaltung inzwischen einen finanziellen Schaden von fast einer halben Million Euro begleichen müssen.

Die strafrechtliche Aufarbeitung aber dauerte bis gestern an. Nun stellte Richter Harr fest: „Eine Strafkammer ist keine Aufsichtsbehörde und nicht dazu da, verwaltungstechnische Fehler aufzuklären.“ Und nicht jeder Fehler begründe eine strafrechtliche Verantwortung. Es sei kein vorsätzliches Handeln belegbar und es gebe keine Anzeichen für Korruption. Die Beschuldigten hätten sich nicht bereichert und teils zum Nachteil der Stadt gearbeitet. So waren an Anwälte zu hohe Honorare gezahlt oder keine Gebühren erhoben worden. Je nach Berechnung fehlen der Stadtkasse laut Anklage zwischen 21 000 und 173 000 Euro.

Kritik übte Richter Harr vor allem an der im April verstorbenen Rechtsamtsleiterin Heide Boysen-Tilly, die die Behörde bis 2006 führte. Unter ihr habe teilweise eine „chaotische“ Amtsführung geherrscht. Diese Umstände könne man aber nicht den Beteiligten anlasten, so Harr. Die Staatsanwaltschaft ging indes von mehreren Hunderttausend Euro Schaden aus und hatte für die früheren Rechtsamtsmitarbeiter Freiheitsstrafen auf Bewährung gefordert. Sie bleibt bei ihrer Rechtsauffassung und legte noch gestern Revision für alle vier Angeklagten ein.

Pikant an der Geschichte: Richter Harr ist in der Leipziger SPD aktiv und hatte dies im Vorfeld des Prozesses offen angesprochen. Ohne Konsequenzen. Allerdings gab es ein gewisses politisches Patt auf der Richterbank: Beisitzerin Andrea Niermann ist in der CDU engagiert und wird ab heute Stadträtin der neuen Ratsversammlung. Oberbürgermeister Jung sah sich indes nach dem Urteil bestätigt: „Die angeblichen Seilschaften hat es nicht gegeben und gibt es nicht.“