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Freispruch öffnet Weg in normales Leben

Der Pirnaer Jugendrichter sieht im 22-jährigen Samuel W. aus Dippoldiswalde keinen Islamisten.

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© xcitepress/ce

Thomas Schade

Samuel ist ein scheuer junger Mann. Wie schon an den beiden vorangegangenen Verhandlungstagen im Amtsgericht Pirna bekommt ihn kaum einer zu sehen. Durch einen Nebeneingang betritt er das Justizgebäude auf dem Sonnenstein. Dabei gibt es spätestens seit diesem Montag keinen Grund mehr für so viel Zurückhaltung.

Die Jugendschöffenkammer sprach Samuel W. am Montagnachmittag nach drei Verhandlungstagen frei. Wie Gerichtssprecher Andreas Beeskow nach dem Prozess mitteilte, sei die Kammer zur Überzeugung gekommen, dass der 22-Jährige nicht nach Syrien gereist war, um sich in einem Terrorcamp ausbilden zu lassen. Das Pirnaer Gericht hatte die Hauptverhandlung vor Monaten auch nicht eröffnet. Es hatte den Fall als eröffnetes Verfahren vom Landgericht zugewiesen bekommen. Der erhobene Vorwurf war von Anfang zweifelhaft.

Der christlich erzogene Sportstudent Samuel W. war eigenen Angaben zufolge zu Jahresbeginn 2014 zum Islam konvertiert. Sein verändertes Verhalten war den Eltern nicht entgangen, sie verloren jedoch zunehmend den Einfluss auf ihren Sohn, der regelmäßig Moscheen in Dresden und seinem damaligen Studienort Jena besucht haben soll. Im September 2014 folgte er seinem zwei Jahre jüngeren Freund Max P. in den Nahen Osten.

Max P. verfügte über Kontakte, die beiden halfen, über die Türkei nach Syrien zu reisen. Durch ein Handyvideo, aufgenommen auf einem Bahnhof in Bayern, erfuhren die Eltern vom Ziel der jungen Männer.

Für das, was in den folgenden Wochen in Syrien passierte, habe es kaum objektive Beweise gegeben, so Gerichtssprecher Beeskow. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Anklage dem Sportstudenten vorgeworfen, er sei nach Syrien gereist, um Kontakte zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat aufzunehmen. Konkret hieß es, er habe die Absicht gehabt, sich in einem Terrorcamp des Islamischen Staates ausbilden zu lassen. Dafür habe die Staatsanwaltschaft keine hinreichenden Beweise vorlegen können, so das Gericht. Am Montag hatte die Kammer für die Prozessbeobachter überraschend noch zwei weitere Zeugen geladen. Doch auch die beiden Beamten des Landeskriminalamtes, die an den Ermittlungen beteiligt gewesen waren, konnten dem Gericht keine hinreichenden Argumente liefern, die eine Verurteilung nach Paragraf 89b gerechtfertigt hätten.

Verteidiger intervenierte frühzeitig

Samuel W.s Verteidiger Walter Venedey aus Berlin zeigte sich nach dem Prozess zufrieden mit dem Ausgang. Er hatte bereits frühzeitig gegenüber der Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass das Ergebnis der Ermittlungen nicht dem Vorwurf der Anklage entsprach. Am Montag sprach er davon, dass sein Mandant schwer unter der Vorverurteilung gelitten habe.

Samuel W. bestritt nach seiner Rückkehr im Dezember 2014 alle Vorwürfe. Auch am ersten Prozesstag im Gericht, so Andreas Beeskow, habe der Angeklagte sich in der Beweisaufnahme umfangreich geäußert. Dabei räumte Samuel W. lediglich ein, dass er in Syrien gewesen sei, um an den dortigen heiligen Stätten den Islam zu leben und wenn möglich Bürgerkriegsopfern zu helfen. Einige Wochen lang habe er eine Koranschule besucht.

Nach Abschluss dieser Ausbildung hätten sich die Wege der beiden jungen Männer aus der Gegend von Dippoldiswalde getrennt. Von Max P. gibt es nach Angaben des Landeskriminalamtes derzeit kein Lebenszeichen. Wie am Montag am Rande des Prozesses zu erfahren war, hatte er sich im Frühjahr des vergangenen Jahres das letzte Mal gemeldet.

Die Äußerungen des Angeklagten seien für das Gericht entscheidend gewesen, so Behördensprecher Beeskow. Man habe tief in die Gedankenwelt des jungen Mannes eindringen müssen, um seine Beweggründe zu erfahren. Aus diesem Grunde sei die Öffentlichkeit auch von dem Prozess ausgeschlossen geblieben.

Mit dem Freispruch eröffnet Amtsgerichtsdirektor Jürgen Uhlig dem 22-Jährigen den Weg zurück in ein normales Leben. Abhängig ist das allerdings davon, ob die Staatsanwaltschaft mit der Entscheidung einverstanden ist. Das ist nicht unbedingt zu erwarten, angesichts der Querelen zwischen den Instanzen im Vorfeld. Mehrfach hatten das Dresdner Landgericht und das Amtsgericht Pirna den Fall hin und her geschoben – immer mit der Begründung, man sei nicht zuständig. In Pirna hatte man keinen Hehl daraus gemacht, dass diese Hauptverhandlung vor das Landgericht gehöre – nicht zuletzt, weil es eines der ersten Verfahren in Deutschland ist, in dem der Antiterrorismus-Paragraf 89b erhoben wird. Da das Urteil am Amtsgericht gesprochen wurde, sind als Rechtsmittel die Berufung zum Landgericht oder eine Revision vor dem Oberlandesgericht möglich. Damit bleibt der Fall in jedem Fall in Sachsen.

Zufrieden zeigte sich am Montag auch Samuels Vater. Familie W. hatte sich wochenlang um die Rückkehr ihres Sohnes bemüht. Es gehe Samuel gut, sagte der Vater. Ab Oktober werde er wieder studieren – aber nicht mehr Sport in Jena, sondern Islamwissenschaften in Leipzig.